Jede, die eine einigermassen zumutbare Kindheit hatte, erinnert sich wohl an das eine oder andere Erlebnis, das rückblickend paradiesisch anmutet. Ein Moment in der Zeit, als die Eltern einander wohlgesinnt und die Geschwister vertraut waren, als Einheit realistisch und die eigene Welt noch überschaubar schien.
Bei mir sind das die Silvester-Schlittenfahrten in Davos. Beim Vater auf dem Schlitten, bei der Cousine auf dem Bob, immer schneller als mein Bruder und daher nie auf dem Davoser der Mutter (Vorsicht vor Tempo) war ich zufrieden.
Was will ich bloss in diesem Wallis?
Klar, dass ich diese Erlebnisse mit meinen eigenen Mädchen wiederholen will. Bekanntlich ist ja der einzige Zweck des Kinderhabens, vielleicht nie gehabte, aber dennoch verlorene Geborgenheit wiederzufinden. Ich habe also, vernünftigerweise, gewisse Erwartungen an die Weihnachtsferien.
Und dann fühle ich mich zuerst fremd. Das Postauto fährt mich vom Bahnhof Brig zur Bergbahn, in der Gondel schwebe ich weiter ins Retortenferiendorf Rosswald. Ich schaue aus dem Fenster, und da ist kein Berg, den ich kenne, keine Beiz, in der ich schon einmal eingekehrt bin. Und in der Gondel kein Dialekt, der wie das Echo meines Gedankenstroms klingt.
Was tue ich in diesem fremden Wallis?
Wir sind nicht ganz freiwillig hier: Wir waren spät dran und die Wohnung im Engadin, die meine Schwiegereltern sonst immer für die Weihnachtsferien mieten, war schon besetzt. Also haben wir kurzfristig ein Chalet auf dem Rosswald gemietet.
Schneebar gut, alles gut
Meine Familie ist schon drei Tage vor mir hochgereist. Als ich am Abend auf 1800 Metern aus der Gondel steige, schneit es dicke Flocken. Mann und Kinder warten vor dem Chalet, an einer selbstgebauten Schneebar, in der rote Kerzen stecken, die im Dunkeln flackern.
Es ist ein bisschen wie an diesem Abend vor 20 Jahren, als ich mit meinen Geschwistern meinen Vater besuchte. Der war auf den Berg gezogen, vor seinem Haus lag so viel Schnee, dass er eine Art Tunnel zur Tür graben musste. Im aufgetürmten Schnee steckten Kerzen, die den Weg beleuchteten.
Die Erinnerung lässt alles Fremdfühlen auf dem Rosswald verschwinden. Neben der Bar steckt eine Füdlirakete im Schnee, eine Sitzschale mit Griffen, etwas zwischen Plastiksack und Bob. Die Grosse zieht sie raus: «Soll ich dir zeigen, wie schnell ich fahren kann?»
Auf der Füdlirakete zum Weihnachtsglück
Schon laufen wir die Piste hoch und rasen runter, Piste hoch, Piste runter, bis zum Znacht. Auf dem Rosswald ist man eigentlich immer auf oder irgendwie direkt neben der Piste – so klein ist der Ort. Alles ist zu Fuss erreichbar, Autos gibts keine. Man kann immer gleich losschlitteln.
Und das tun wir täglich. Mal auf dem Schlitten die zehn Kilometer ins Tal, mal auf dem Bob die Piste runter. Die Kleine sagt: «Du musst mich richtig halten, ich falle sonst runter.» Und an Silvester, da schlittelten wir sogar zweimal. Einmal bei Sonnen-, einmal bei Sternenschein.
Es gibt sie noch, die glücklichen Weihnachtsferien. Im Wallis. (Merkt euch das für später, Kinder.)
- Freundlich: Noch nie, nie habe ich Bergler gesehen, die so nett waren zu Unterländern wie im Wallis. Habt ihr gehört, Bündner?
- Frittes: Gibts gute in der Bergbeiz Fleschboden. Serviert von einem netten Walliser.
- Frisch: Das Fondue Chinoise vom Metzger. Gibts im kleinen, aber feinen Lädeli Magusii. Die Betreiberfamilie ist, richtig, wirklich nett.