Schneewittchen und die Multikulti-Zwerge

Was kann Schneewittchen über das nicht immer einfache Miteinander von Jugendlichen aus X Nationen erzählen? Erstaunlich viel, wie das Theaterprojekt der Klasse 3c aus der OS-Brunnmatt/Gundeli beweist, die in der Theaterfalle Basel eine neue Reihe der transkulturellen Bühnenprojekte unter dem Titel «fremd» einläutete.

Zwerge aller Länder ... (Bild: Matthias Wäckerlin)

Es geht auch so: Auch ohne grosses Orchester, ohne professionell einstudierte und getanzte Choreografien, wie wir sie aus den leicht überkandidelten Education-Projekten des Kantons Basel-Stadt her kennen, können Kulturprojekte mit jugendlichen Laien überzeugen. Wie bei den interkulturellen Theaterprojekten «fremd», die mit einem Abend mit der OS-Brunnmatt/Gundeli eine neue Reihe gestartet haben.

«Ayna, ayna söyle bana …» Die  proper herausgeputzte junge Frau wiederholt die poetisch klingende Zeile im Singsang-Ton immer und immer wieder. «Ayna, ayna söyle bana …» Auch wenn viele der Zuschauerinnen und Zuschauer in der Theaterfalle die türkischen Verse wahrscheinlich nicht verstehen, ist doch allen klar, was sie bedeuten. Spätestens dann, wenn das Gegenüber der jungen Frau antwortet: «Ihr, Frau Königin seid die Schönste im ganzen Land.»

Jawohl, es geht natürlich um Schneewittchen. Schneewittchen als transkulturelles Theaterprojekt? Nun ja, nicht so, wie man das vom Kindertheater oder Disney-Filmen her gewohnt ist. Die Geschichte der Gebrüder Grimm gibt hier den originellen Rahmen für einen Theaterabend, der viel über das Leben der 13- bis 14-jährigen Jugendlichen aus dem multikulturellen Gundeliquartier erzählt. 17 Schülerinnen und Schüler aus sieben Nationen teilen sich in der dortigen Klasse 3c der OS-Brunnmatt/Gundeli die Schulbänke. An diesem Abend steht die Rolle der bösen Königin für den Schönheitsfanatismus der Jugendlichen und für den Neid und Konkurrenzdruck, der durch den stressigen Wettbewerb des schönen Scheins verursacht werden kann.

Gesellschaftliches Laboratorium

Der Theaterabend, er hat keinen Titel, ist Teil des Transkulturellen Theaterprojekts «fremd». Seit 2006 trommelt die künstlerische Leiterin Anina Jendreyko Künstlerinnen und Künstler aus unterschiedlichen Sparten zusammen, die dann mit 12- bis 15-jährigen Jugendlichen Theaterprojekte erarbeiten. Dabei geht es nicht darum, wie etwa im jungen Theater Basel oder bei den theaterpädagogischen Projekten, eine Auswahl von theaterbegeisterten Jugendlichen herauszupicken. Gearbeitet wird mit Schulklassen, also mit heterogen zusammengewürfelten Gemeinschaften, deren einzige wirkliche Gemeinsamkeit oftmals aus nicht viel mehr als dem Alter besteht und dem Schulstoff, den sie zu bewältigen haben. Es sind also Jugendliche mit den unterschiedlichsten Begabungen, unterschiedlicher Bereitschaft zum Engagement und vor allen mit sehr verschiedenen kulturellen Hintergründen.

Das ist eine Basis, die für ein gemeinschaftliches Theaterprojekt nicht gerade als ausgesprochen geeignet erscheint. Aber es ist auch der Humus, aus dem spannende Resultate herauswachsen können, wie das Beispiel der Klasse aus dem Brunnmatt-Schulhaus zeigt. Aber es braucht Gärtnerinnen und Gärtner, die diese Theaterpflänzchen mit viel Geschick und Motivation hegen und pflegen. Im hier beschriebenen Projekt waren es die Schauspielerin Susanne Abelein, der Tänzer Aram Sürmeli und der Rapper Kush, die Erstaunliches erreicht haben.

Gamen, gamen gamen

Zurück also zum Schneewittchen. Das sieht aus, wie sein Vorbild aus dem Walt-Disney-Klassiker: mit gelbem Rock und einem blauen Oberteil mit Plusterärmeln. Dieses Schneewittchen reisst von zuhause aus und wandelt mehr oder weniger ziellos durch den Wald. Dort trifft sie aber nicht auf die süssen Tierchen des Disney-Streifens, sondern auf jugendliche Schlägertruppen mit Kaputzenjacken. Und am Ziel angelangt, dient sie nicht sieben süssen Zwergen, sondern zwölf Jungs von heute, die eben so sind wie die Jungs von heute: Hinter Bergen von leeren Petflaschen scheinen die meisten von ihnen nur ein Interesse zu haben, nämlich Gamen, Gamen, Gamen – eine Dauertätigkeit, von der sich schliesslich auch das Schneewittchen anstecken lässt.

Die Adaption des Schneewittchen-Stoffs kommt sehr fantasiereich daher. Mit witzig-hintergründigen Elementen – etwa, wenn der giftige Apfel, in den Schneewittchen beisst, mit dem Firmensymbol des für das Gamen so praktischen Smartphones in Verbindung gebracht wird. Immer wieder lassen die Jugendlichen aber auch kritische Anmerkungen zur eigenen Kultur durchdringen: «Im Kosovo hett fascht jede Mensch e Waffe dehaim», sagt einer, der sogleich bestätigt wird: «In Kroatie au». Und ein anderer erklärt: «D Schwyz isch bekannt fürs Matterhorn, Käs, Fondue und Raclette, dr Zürisee, Murtesee, Gänfersee …»

Gemeinsamer Nenner: Hip-Hop

Das Spiel ist manchmal spritzig, zuweilen wirkt es auch etwas unbeholfen. Diese Unbeholfenheit ist aber verblüffenderweise jeweils wie weggefegt, wenn die Jugendlichen zum Mikrofon greifen und zu rappen beginnen. Der rhythmische Sprechgesang scheint für die Jugendlichen ein ausgesprochen wirksames Mittel zu sein, die Hemmungen, vor Publikum Persönliches preiszugeben, aber auch sich in der eigenen Muttersprache auszudrücken, abzubauen. Hip-Hop, das ist offensichtlich die gemeinsame künstlerische Sprache von Jugendlichen aus den unterschiedlichsten Kulturen. Das hat sich auch beim Nachfolgeprojekt «was heisst denn hier fremd?» gezeigt, zum dem sich vor einem Jahr Jugendliche aus verschiedenen vergangenen Klassenprojekten zusammengefunden hatten. Dieses Projekt tourte erfolgreich durch die Schweiz und wurde beim Secondo Theaterfestival in Aarau mit einem Preis gekrönt.

Die Schneewittchen-Adaption der Klasse 3c aus der OS-Brunnmatt/Gundeli (nächste Vorstellungen: 24.05., 19.00 Uhr, 25.05., 10.30 und 19.00 Uhr in der Theaterfalle) ist eines von drei Projekten, die dieses Jahr auf dem Programm stehen. Als nächste folgen in der Kaserne Basel die Klasse 3c aus der OS-Insel/Kleinhüningen (30.05., 19.00 Uhr, 31.05 und 01.06., 10.30 und 19.00 Uhr) und im Vorstadttheater die Klasse 3d aus der OS-Dreirosen (06.06., 19.00 Uhr, 07.06 und 08.06., 10.30 und 19.00 Uhr) mit jeweils selbst erarbeiteten Projekten. Weitere Informationen auf: www.projektfremd.ch

 

 

 

 

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