Schnipo Schranke: ganz schön trashig der Bandname, gewitzt feministisch ihre Texte. Die zwei Musikerinnen Daniela Reis und Fritzi Ernst brechen mit den Konventionen der prüden, männlich dominierten Pop-Industrie. Und sind dabei zu obszön für Youtube. Also hitverdächtig.
Schnipo Schranke in fünf Aussagesätzen: Die Band besteht aus zwei jungen Frauen, die sich in Frankfurt an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst kennenlernten. Mittlerweile sind sie gemeinsam nach Hamburg gezogen, im September erscheint ihr Debüt-Album «Satt». Der veritable Vorab-Hit hat mehr Klicks, als deine Mutter je kriegen wird, und heisst «Pisse». Der Name Schnipo Schranke steht für die kulinarische Abkürzung «Schnitzel Pommes mit Ketchup und Mayonnaise». Schnipo Schranke wecken Assoziationen mit Charlotte Roches «Feuchtgebiete» – nur bei den beiden ist einfach der Sound besser.
Der Hit
Ganz eng mit der Geschichte des Duos verknüpft findet sich dieser unaufhaltsame Youtube-Hit, dessen Titel «Pisse» keineswegs blanke Koketterie darstellt. Im Gegenteil.
Ein harter Keyboard-Anschlag, der den Rhythmus der Drums noch unterstützt, und das war es dann auch schon. Mehr Instrumente braucht dieser Hybrid aus Chanson, Battle-Rap und Punk-Attitüde nicht. Die Stimme gibt dem Hörer ohnehin den Rest, wenn sie die Geschichte einer ausgezählten Liebe darbietet. Denn obwohl der traurige Lovesong zum Repertoire fast jeden Musik-Acts gehört, so wie hier hat man ihn dann doch noch nicht gehört.
Was sich durch die wehmütige und eingängige musikalische Darreichung da so locker ins Ohr dreht… man beginnt ob der partiellen Obszönität zu stutzen. Und weiter gehts:
«Dein Handy mit den Arschbacken gehalten
nur um dich zu unterhalten.
Doch du findest so was komisch
seitdem liebst du mich platonisch.»
Spätestens wenn dann auch noch der Refrain mündet in «Ich bin auch nur ein Mädchen, wenn auch unrasiert, brauche Liebe, brauche Halt und einen, der mich knallt», ist klar, hier sind gerade all die handzahmen, marktfähigen Pop-Frauenrollen implodiert. Schnipo Schranke scheinen auf diesem wie auf ihren anderen Songs komplett dem Dogma enthoben, wie Frauen in der Musik «zu sein haben». Dort gibt es Nischen für ätherische Stimmen (Joanna Newsom), die entrückten Elfen (Björk), die schicken Elektro-Acts (The Knife), die sexy Rockröhren (Die Happy) und dann, ja, dann wirds auch schon langsam eng.
Dass sich eine Newcomer-Band aber mit derartiger Nonchalance das Recht rausnimmt, über das «volle Sackhaar» eines Angebeteten zu singen, darüber einen Text zu schreiben, dass man sich eben nicht jeden Tag wäscht und darüber, wie es ist, betrunken und oben ohne an der Cocktailbar zu sitzen, das ist einfach ein Dealbreaker mit den Konventionen der prüden und männlich dominierten Pop-Industrie.
Der Skandal
Und noch ein weiterer Dealbreaker spielt in Bezug auf die Band eine grosse Rolle: Nachdem das Stück «Pisse» so dringlich Fahrt aufnahm, musste schnellstens ein Video her. Daniela Reis und Fritzi Ernst entschieden sich für ein bewegungsarmes Frühstückstisch-Kammerspiel im Gegenlicht, dessen einschlummerndes Kaffeekannen-Ambiente in der zweiten Hälfte heftig erschüttert wird, wenn plötzlich ein Mann erscheint und im Penis-Close-Up in eine der Tassen pinkelt. Bei jenem Mann handelt es sich dabei um die Yoko Ono von Schnipo Schranke, um Danielas Freund mit dem Künstlernamen Ente Schulz. Live unterstützt er die Band an den Tasteninstrumenten – und hier nun zog er sogar blank für die Kunst.
Youtube machte das natürlich nicht lange mit. Das Video wurde gelöscht und findet sich nur noch auf der Plattform Vimeo, auf dem Clip-Primus Youtube verblieb lediglich der blanke Song mit dem Standbild jener Compilation, auf der er 2014 veröffentlicht wurde. Doch auch das hielt den versaut romantischen Ohrwurm nicht auf, und als die Zugriffszahlen sechsstellig wurden, schnappte sich das Label Buback, das auch für die Touren von Jan Delay Sorge trägt, die Band. Das Album ist angekündigt für den vierten September, die Release-Show in Hamburg ist bereits heute restlos ausverkauft. Produziert wurde die Platte mit dem Titel «Satt» übrigens von Ted Gaier, der dem geneigten Musikhörer von seiner Band Die Goldenen Zitronen ein Begriff sein dürfte.
Das Phänomen
Das Phänomen Schnipo Schranke besitzt bei all dem grellen Trubel etwas erfrischend Feministisches, allein schon wegen der Selbstermächtigung in Bezug auf eine non-konforme weibliche Körperlichkeit. Auch wenn die Band sich selbst nicht unter jenem Banner sieht. «Wir sind höchstens zufällig Feministinnen», erklärt Daniela Reis im Gespräch mit der TagesWoche. Wobei sich ein interessanter Bezug zur Schweiz herausstellt: Einer der grössten musikalischen Träume der beiden wäre nämlich, einen gemeinsamen Song mit Dagobert zu machen. Der Exil-Schweizer, der im Kanton Aargau aufwuchs, ist vor einiger Zeit nach Berlin gezogen und macht mit seinem Schweizer Akzent und Elektro-Schlager in der bundesdeutschen Musikszene Furore.
Ob diese Connection in Zukunft tatsächlich zustande kommt oder nicht – Schnipo Schranke werden sich so oder so ihren Weg bahnen. Selbst wenn man wollte: In der zweiten Jahreshälfte wird man dieser Band nicht entkommen können. Aber warum sollte man das auch wollen?