Viele theoretische Überlegungen mache ich mir zu meinem Vater-Dasein nicht. Das meiste ergibt sich aus der Realität.
Mittagessen mit väterlicher Anleitung (Bild: Florian Raz)
Ein Text über meine Rolle als Vater also. Schwierig. Schwierig darum, weil ich feststelle, dass ich mir darüber eigentlich noch nie so richtig Gedanken gemacht habe. Lange Zeit stand für mich sowieso fest, dass ich keine Kinder haben möchte. Dann wurde ich älter. Und Ende 20 wollte ich dann doch. Einfach so. Weil ich das Gefühl hatte, dass es schön wäre, ein Kind zu haben und ihm die Welt zeigen zu dürfen.
Heute ist Selma sechs Jahre alt. Und es ist tatsächlich unglaublich schön mit ihr. Es ist manchmal auch ganz schön anstrengend. Anstrengender, als ich mir das vorgestellt hatte. Etwa wenn ich am Morgen den harten Vater geben muss, weil die Hosen zwicken und die Schuhe angeblich zu klein sind, weil der Kindergarten «doof» ist, wenn sie sich verweigert und ich unter Zeitdruck nicht einmal ansatzweise so souverän reagiere, wie ich das von mir erwarte. Nach einem solchen Tagesbeginn möchte ich mich hinlegen und weinen, weil ich physisch und psychisch einfach leer bin.
Dafür könnte ich Bäume ausreissen, wenn Selma und ich einen schönen Morgen hatten. Einen mit Gschichtli zum Zmorge, mit der gemeinsamen (Wieder-)Entdeckung von Mani Matters «Sidi Abdel Assar vo El Hama», mit selbst gebundenen Schuhen. Mit einer Tochter, die selbstbewusst und voller Freude in den Kindsgi rennt. Und diese Tage überwiegen bei Weitem. Ich habe eine tolle Tochter.
Seit zwei Jahren leben Selmas Mutter und ich getrennt. Für Selma bedeutet das, dass sie Mami und Papi nur ab und an gemeinsam hat – in den Ferien oder manchmal am Wochenende. Für Andrea und mich bedeutet es viel Organisationsarbeit. Wobei die Kinderbetreuung nur dank zwei engagierten Grossmüttern ohne Krippe möglich ist (Danke!).
Fünf Nächte in der Woche schläft Selma bei Andrea, zwei bei mir. Damit alle Tage abgedeckt sind, nimmt Andrea den Donnerstag frei und ich den Dienstag. Dafür arbeite ich am Samstag oder Sonntag. Am anderen Tag des Wochenendes bin ich für Selma zuständig.
Für mich war klar, dass ich arbeiten will. Dasselbe gilt für Andrea. Auch als wir uns entschieden, ein Kind zu haben, war es nie ein Thema, dass einer den Beruf aufgeben könnte. Dass wir uns beide in beidem engagieren würden – Kinderbetreuung und Job – war logisch. Also kümmern wir uns heute auch beide um unser Kind und arbeiten. Ich zu 100 Prozent in Basel. Sie zu 70 Prozent in Zürich.
Seit wir nicht mehr in einem Haushalt leben, heisst das, dass ich an den Tagen, an denen sie pendelt und Selma nicht bei mir schläft, jeweils am Morgen bei Andrea zu Hause übernehme und Selma für den Kindergarten bereit mache. So sehe ich meine Tochter immer mindestens fünf Tage die Woche. Gross aushandeln mussten wir diese Aufteilung bislang nicht. Sie ergibt sich aus der Realität.
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 11.05.12