Schöne neue Insta-Welt

Vor sechs Jahren wurde die App Instagram erfunden. Seither gilt weltweit: Filter, Freude, Eierkuchen.

Das neue Schauen: Hillary mit Selfie-Mob in Florida.

(Bild: ©Victor Ng/Twitter)

Vor sechs Jahren wurde die App Instagram erfunden. Seither gilt weltweit: Filter, Freude, Eierkuchen.

Eigentlich wollte sie den jubelnden Massen ihr Programm vorstellen. Aber als Hillary Clinton kürzlich auf einer Wahlveranstaltung in Florida aufs Podestchen stieg, sah niemand hin:



Das neue Schauen: Hillary mit Selfie-Mob in Florida.

Das neue Schauen: Hillary mit Selfie-Mob in Florida. (Bild: ©Victor Ng/Twitter)

Das Bild ging um die Welt. Ekstatische Wähler, zufriedene Präsidentschaftskandidatin – und dazwischen jede Menge Bildschirme. Stell dir vor, es ist Hillary und keiner schaut hin. 

Dabei bedeutet hinsehen eben längst nicht mehr mit eigenen Augen hinsehen. Hinsehen funktioniert heutzutage auch hervorragend durchs Smartphone. Noch besser, wenn man sich dabei selbst mit ins Bild zwängt.

Seit jeder ständig seinen eigenen kleinen Fotoapparat bei sich trägt, hat das Gültigkeits-Credo «Pics or it didn’t happen!» absurde Ausnahmen angenommen. Jeder Moment muss festgehalten, dokumentiert und mit ein paar reisserischen Hashtags versehen werden, um zu beweisen: Das hat tatsächlich so stattgefunden. Und wichtiger noch: Ich war dabei. 

Nicht ohne meinen Filter

Massgeblich beteiligt an diesem Trend ist eine App, die für immer verändert hat, wie Digital Natives ihre Welt wahrnehmen – durch einen Filter. Am 6. Oktober 2010 lancierten zwei Geeks in Kalifornien einen Onlinedienst, der das Teilen von Fotos ermöglichte.

Das war an und für sich nichts Neues, die Plattform Tumblr, auf der man Bilder, Zitate, Video- und Audiodateien mit anderen aus der Community teilen kann, hatte zu der Zeit bereits über 20 Millionen Nutzer. Was Instagram so einzigartig machte, war etwas anderes: Die Bilder, die man teilte, liessen einen so richtig gut aussehen.

Dank Filter-Funktion konnte man so tun, als hätte man das Bild bei schönster Sonne aufgenommen, in buntester Umgebung oder – und das war die beliebteste Funktion – 50 Jahre früher. Die Retro-Filter ermöglichten Instant-Nostalgie, jedes Bild sah aus wie aus Grossmutters Album, jeder Füdli-Moment wie ein herrlicher Schnappschuss aus einer Zeit, wo man sich noch mit richtigen Dingen beschäftigte und nicht alle ständig am Handy hingen und Filter über ihre Fotos legten.

Zehn Millionen Nutzer in einem Jahr

Reichlich paradox, würde man meinen, aber das Konzept schlug ein: Kurz nachdem die Gründer Kevin Systrom und Mike Krieger das erste Bild veröffentlicht hatten (Systroms Flipflop-Fuss plus Golden Retriever), dauerte es keine paar Tage und die App hatte ihre ersten zehntausend Nutzer.

Ein Jahr später waren es zehn Millionen, Apple kürte Instagram zur «iPhone-App des Jahres» und Mark Zuckerberg klopfte an. 2012 übernahm Facebook die App für eine Milliarde Dollar – ein Vermögen für ein Start-up, das zu der Zeit keine zwanzig Menschen beschäftigte.

Aber Zuckerberg weiss, was die Leute wollen und die Leute wollen Instagram: Heute nutzen 500 Millionen Menschen die App, täglich werden 80 Millionen «Ich war da»-Statements geteilt. Oder wie es Kevin Systrom an einem Symposium im April ausdrückte: Momente festgehalten. Das ist Instagram ganz wichtig: Es geht nicht um Profilierung, es geht um das Teilen von Momenten. #sharingiscaring.

Um das Erzählen der eigenen Geschichte, genauso wie es die Menschen seit jeher machen. Nur dass Erinnerungen heute nicht mehr aufgeschrieben, sondern abgebildet werden. Und zwar so, wie sie nie stattgefunden haben: Weichgezeichnet, übersaturiert, sorgfältig kuratiert. 

Aber das tut für Instagram nichts zur Sache. Hier wird auf «positivity» gesetzt, genau wie bei Facebook, wo nur «Gefällt mir» infrage kommt, und der Rest über Emotions-Buttons verhandelt wird. Ganz im Sinne Systroms: Das Zusammenleben und der Diskurs zwischen Menschen würde in Zukunft nur noch emotionaler und unmittelbarer werden, meinte der Gründer am Symposium. Das Teilen von Bildern ermögliche eine Intimität, wie sie durch Worte selten vorhanden gewesen sei.

Eine Intimität, die besonders für Unternehmen ein gefundenes Fressen darstellt: Für Firmen wie L’Oréal oder Nike ist Instagram einer der wichtigsten Kanäle, um Jugendliche zu erreichen. Fernsehen und Reklametafeln sind längst vorbei, heute nehmen Firmen an der digitalen Lebenswelt ihrer potenziellen Kunden teil, indem sie Profile analysieren, Präferenzen herauslesen und geeignete Produkte per Blogger oder Werbung direkt auf den sozialen Kanälen vermarkten.

Mit gutem Grund ist das beliebteste Foto aller Zeiten auf Instagram eines, das die Gleichung Werbung + Lebenswelt perfekt beherrscht: 

 

when your lyrics are on the bottle ? #ad

Ein von Selena Gomez (@selenagomez) gepostetes Foto am25. Jun 2016 um 14:03 Uhr

Popstar Selena Gomez mit einer Cola-Flasche, auf der eine Strophe ihres Songs «Me and the rhythm» abgebildet ist: Jackpot. Alle lieben Gomez (mit 100 Millionen Followern ist sie die meist beachtete Person auf Instagram), alle lieben Cola, alle lieben Instagram. Ergebnis: Ganze 5,6 Millionen Mal wurde das Bild bis jetzt gelikt.

Zahlen zum entsprechenden Cola-Absatz sind noch nicht vorhanden und ob Gomez tatsächlich Cola trinkt, sei dahingestellt. Es ist auch absolut egal. Pic and it did happen. 

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