Schüler aus Seltisberg tauchen ein in die Welt des Tanzes

Am Donnerstag beginnt Steps, das grösste Tanzfestival der Schweiz. Was die wenigsten wissen: Vorher und nachher finden spezielle Schülerworkshops statt. Ein Augenschein vor Ort.

(Bild: Alexander Preobrajenski)

Am Donnerstag beginnt Steps, das grösste Tanzfestival der Schweiz. Was die wenigsten wissen: Vorher und nachher finden spezielle Schülerworkshops statt. Ein Augenschein bei einer Primarklasse in Seltisberg.

Zwölf Kinder und ihre zwei Lehrerinnen stehen in einem Kreis und folgen den Anweisungen eines Profitänzers. Es ist Marco Volta, der im Rahmen des Tanzfestivals Steps eine Einführung in drei Choreografien gibt. Etwas unsicher noch hören die vier Mädchen und acht Jungen zu und probieren, sich die vorgegebenen Schrittfolgen zu merken und zu repetieren, zuerst bedächtig und dann immer schneller und mutiger. Wenigen will es auf Anhieb gelingen. Aber Volta, der in Basel lebt und an der Höheren Fachschule für zeitgenössischen und urbanen Tanz in Zürich lehrt, ermutigt sie immer wieder.




(Bild: Alexander Preobrajenski)

«Super!», ruft er in die Runde oder lässt eine witzige Bemerkung fallen, um die Mädels und Jungs bei der Stange zu halten. Besonders die vier jugendlichen Mädchen wirken schüchtern und zum Teil etwas staksig. Nichts entgeht der Aufmerksamkeit von Volta. Einem Mädchen, dessen Füsse sich verheddert haben, zeigt er nochmals geduldig die einzelnen Schritte. Auch streng ist er – und man spürt dabei die grosse verinnerlichte Disziplin eines Tänzerlebens, wenn er mit einer kurzen Bemerkung klarmacht, dass Hände in einem Training nicht in die Hosentaschen gehören. 

Schulworkshops: Tanzen statt turnen

Die sechste Primarklasse, die am ersten Schultag nach den Osterferien im Gemeindesaal des Baselbieter Dorfes Seltisberg erste kleine Choreografien einübt, bringt keine besonderen Tanzerfahrungen mit. Es ist eine ganz normale, durchschnittliche Klasse. Nur gerade ein Junge hebt die Hand, als Volta fragt, wer in seiner Freizeit tanze – Break-Dance natürlich.

Die beiden Lehrerinnen haben sich für das Angebot entschieden, weil sie in den folgenden Turnstunden den Schwerpunkt aufs Tanzen legen möchten. Der Nachmittag soll ein Einstieg ins Thema sein, wie sie erzählen. Nach dem zweistündigen Workshop meinen zwei Kinder erleichtert, sie hätten etwas mit Ballett erwartet und wären daher mit Vorbehalten gekommen. 

Auch Basel-Stadt ist heuer mit von der Partie 

Wenn sich Steps, das grösste Tanzfestival der Schweiz, auf grossen Plakaten ankündigt, gehen auch die Ausschreibungen für Workshops an die Schulen raus. Die Veranstalterin, das Migros-Kulturprozent, hat das erste Vermittlungsangebot 2004 auf die Beine gestellt. Die ersten Kantone, die sich bereit erklärten, sich auch finanziell daran zu beteiligen, waren Zürich und Baselland. Der Kanton Basel-Stadt ist zum ersten Mal mit dabei. Heuer profitieren gesamtschweizerisch 3000 Kinder und Jugendliche von diesen Tanzworkshops. Das sind erstaunlich viele.

Was die Kinder hier in Seltisberg einüben, sind Teile aus drei Choreografien, die vom Ballet Junior de Genève auf ihrer diesjährigen Steps-Tournee getanzt werden. Die Compagnie unterstützt junge Tänzerinnen und Tänzer zwischen 18 und 22 Jahren beim Einstieg ins Berufsleben. Längst aber ist sie über diesen pädagogischen Grundgedanken hinausgewachsen und zu einer eigenständigen, hochprofessionellen Adresse geworden. Da die Genfer Compagnie aus zeitlichen Gründen diese Schülerworkshops nie geben könnte, übernehmen den Job freischaffende Tänzer, die mit den jeweiligen Stücken bestens vertraut sind.

Wie sich ausserirdische Wesen bewegen

Marco Volta bringt den Schülern in Sequenzen nicht nur bei, wie sich die Tänzer als ausserirdische Wesen in der Choreografie von Sharon Eyal und Gai Behar bewegen, er bringt sie auch dazu, vertikale Linien und Diagonalen in den Raum zu legen. Und er fordert sie auf, ihre Fäuste wie Fernrohre auf die Augen zu setzen: «Merkt ihr, dass euer Gesichtsfeld eingeschränkt ist und ihr den Kopf bewegen müsst, um zu sehen, was rechts von euch passiert?»




(Bild: Alexander Preobrajenski)

Die Kinder sollen nachempfinden können, wie es ist, wenn die Tänzer im Stück weisse Kontaktlinsen tragen. Inzwischen fühlen sich die Schüler schon so sicher, dass sie zum Rhythmus der Musik abwechselnd eigene eingeübte Sequenzen wählen: einmal schreiten sie im Takt voran, ein anderes Mal gucken sie durch ihre Fäuste in verschiedene Richtungen; dazu wird gezählt. Die Stimmung im Raum hebt sich immer mehr. Manche werden übermütig, gestikulieren wild und scherzen mit den Kollegen.




(Bild: Alexander Preobrajenski)

Zwei Jungen entwickeln spontan aus dem Moment heraus eine kleine Szene: der eine schwingt ein Lasso und fängt den anderen damit ein. Volta lobt und fordert sie auf, dies den anderen vorzuspielen. Applaus.

«Besser als Schule!»

Überhaupt bekommen die Kinder nicht nur eine Einführung  in die drei Choreografien, die sie dann am Festival während einer Schüleraufführung sehen werden. Sie lernen nebenbei auch, warum Applaus für die Künstler auf der Bühne wichtig ist. Warum es Sinn machen kann, Bewegungen synchron auszuführen. Oder was es bedeutet, eine Rolle und Haltung einzunehmen. Und dass man im Theater besser keine knackigen Chips essen sollte.  

Nicht, dass nach diesem Nachmittag zwölf Kinderherzen im Gleichtakt für den Tanz schlagen würden. Aber bei einigen hat sich sichtlich etwas bewegt. So sagte ein Junge, er hätte die Schrittfolge so vertrackt schwierig gefunden, dass er jetzt unbedingt die originale Choreografie auf der Bühne sehen wolle. Und ein anderer setzte wie ein gewiefter Redner ein schönes Schlusswort: «Das war besser als Schule!»

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Das Ballet Junior de Genève gastiert am 18. April in der Kaserne Basel.
Das Tanzfestival Steps dauert vom 7.4. bis 1.5. 
Weiteres Programm siehe unter www.steps.ch

 

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