Schüler wehren sich gegen Zensur

Der Leitung des Basler Gymnasiums am Münsterplatz gefielen Inhalt und Sprache eines Schultheaters nicht: Sie drohte einem Pädagogen mit Kündigung und gab den Schülern einen Maulkorb.

Die Schulleitung fand diese Wortwahl für eine gymnasiale Schulaufführung nicht akzeptabel – und setzte den Rotstift an. (Bild: Hans-Jörg Walter)

Der Leitung des Basler Gymnasiums am Münsterplatz gefielen Inhalt und Sprache eines Schultheaters nicht: Sie drohte einem Pädagogen mit Kündigung und gab den Schülern einen Maulkorb.

Die Geschichte dieses Schultheaters erzählt sich ganz von alleine. In den Hauptrollen: die Konrektorin des Gymnasiums (Karin Ricklin), der Rektor (Eugen Krieger), der Theaterpädagoge (Christian Müller) und die Schulklasse 4D.

«Wir sind Helden» heisst das Theaterprojekt, das der Theaterpädagoge Müller gemeinsam mit der Klasse 4D des Gymnasiums am Münsterplatz im vergangenen Frühjahr erarbeitet. Im März, knapp einen Monat vor der ­Premiere, schickt er der Schulleitung das Skript zum Gegen­lesen und hört erst einmal lange nichts.

Dann, zwei Wochen vor der Pre­miere, kommt die schrift­liche Reak­tion von Konrektorin Karin Ricklin: «Der Sprachgebrauch ist für eine gymnasiale Schulaufführung nicht ak­zeptabel. Zudem enthält der Text grenzüberschreitende sexualbezogene Formulierungen. In der jetzigen Form bewilligt die Schulleitung keine Aufführung dieses Theaterstücks.» Die Schulleitung fordert Müller auf, die ­Defizite verbindlich zu beheben. Welche Textstellen konkret nicht akzep­tabel sind, darüber schweigt sich die Konrektorin aus. 

Superhelden in der Pubertät

Der Theaterpädagoge fühlt sich an­gegriffen. «Ich bin enttäuscht über die undifferenzierte Kritik», schreibt er per E-Mail zurück. In vorausei­lendem ­Gehorsam geht er das Stück Satz für Satz durch. Ohne zu wissen, woran sich die Schulleitung stört, ­erklärt er provokative Passagen und Anspielungen.

In einer weiteren E-Mail versucht er, die Bedenken der Schulleitung zu zerstreuen. «Dass sich Zuschauer pro­voziert fühlen können, das kann ich nachvollziehen. Aber das ist ja auch der Schlüssel zu jeder fruchtbaren Anregung (…). Pädagogik soll den jungen Menschen die Werkzeuge geben, sich über das ganze Panorama menschlicher Eigenarten ein Bild zu machen, ohne künstliche Scheuklappen auferlegt zu bekommen.»

Im Stück kämpfen sich die Gymnasiasten durch den alltäglichen Anforderungsdschungel: Geschirr spülen, Papier bündeln, der kleinen Schwester bei den Aufgaben helfen, das Weltklima retten. Auf der Flucht vor der Überforderung entdecken sie ihre ­Superkräfte: Einer linst mit seinem Röntgenblick den Mädchen hinter die Kleider. Ein anderer wird zum sportlichen Alleskönner, und ein dritter schreibt während einer Klausur dank seinem Zoomblick drei Tische weiter beim Klassenprimus ab.

Röntgenblick sieht zu viel

Und sonst tun die Jugendlichen auf der Bühne, was Jugendliche halt hie und da auch in ihrer Freizeit tun: Sie machen derbe Sprüche, blöde Witze, betrinken sich und träumen von der Zukunft. Am Ende steht die Frage: Was ist eigentlich ein Held?

Während die Proben weiterlaufen, wird der E-Mail-Verkehr zwischen der Schulleitung und Müller gehäs­siger. «Es steht Ihnen frei, sich an ­un­sere Rahmenbedingungen anzupassen oder ihr Stück ausserhalb des schulischen Rahmens aufzuführen. Darin eingeschlossen wäre die so­fortige Sistierung Ihres Anstellungs­verhältnisses sowie die Beendigung des schulischen Theaterprojekts der Klasse 4D inklusive Streichung der Theaterhalbtage», schreibt die Konrektorin.

Der Theaterpädagoge weiss bis zu diesem Zeitpunkt noch immer nicht, welche Textstellen der Schulleitung missfallen. Er wird für den kommenden Tag zu einem Gespräch aufs Rektorat eingeladen. Begriffe wie «Sau» oder «geil» muss er aus dem Text streichen. Ebenso «Kanak» und «Samen».

Auch dass der Superheld mit seinem Röntgenblick der Mitschülerin auf die Haut sehen kann, geht der Schul­leitung zu weit. Der Satz «Du schaust super aus unter deinen Kleidern» heisst nach dem Korrekturlauf «Du schaust super aus». Und auch den fiktiven ­Alkohol muss Müller aus dem Skript nehmen. In der angepassten Fassung trinken die 17-jährigen Gymnasiasten Energydrinks statt Bier.

Zum Schweigen gezwungen

Kurz vor der Aufführung erreicht das Drama seinen Höhepunkt. Die Schulklasse schreibt dem Rektor einen Brief und kritisiert darin das Vor­gehen der Schulleitung. Die Antwort kommt prompt: Rektor Eugen Krieger stürmt, so erzählen es die Schüler, aufgebracht ins Klassenzimmer, im Schlepptau die Konrektorin.

Den Gymnasiasten legt der Rektor ­eine Art Vertrag vor. Mit ihrer Unterschrift müssen sie sich dazu verpflichten, die Zensur des Textes bei den Aufführungen weder zu er­wähnen noch andersartige Protestformen zu wählen. Im Fall einer Zu­widerhandlung drohe der Ausschluss von Skilager und Maturreise. Ein Doppel davon erhalten weder die Schüler noch die Klassenlehrerin.

Theaterpädagoge Müller erfährt während der nächsten Probe von diesem Zwischenfall, lässt die Sache aber vorerst auf sich beruhen. Wenig später findet die Aufführung statt. Die Aula ist gut besucht, doch Krieger und Ricklin nehmen nicht am Anlass teil.

Einige Tage nach der Aufführung meldet sich Müller erneut bei der Schulleitung. Er möchte gerne eine Kopie jenes Textes, den die Schüler unterschreiben mussten. Die «Zensur» könne er zwar akzeptieren, sagt Müller, «wie die Schulleitung aber mit den Schülern umspringt, finde ich absolut inakzeptabel».

Die Schulklasse krebst zurück

Als die Schulleitung seiner Bitte eine Absage erteilt und den weiteren Kontakt verweigert, entscheidet sich der Theatermacher für eine Beschwerde. Er beschreibt darin das Vorgehen der Schulleitung und wirft ihr ­«Nö­tigung» vor. «Ich erwarte von der Schulleitung eine Stellungnahme», sagt Müller.

Auch die Schulklasse kritisierte gegenüber der TagesWoche das Vorgehen der Schulleitung mit klaren Worten. Kurz vor Redaktionsschluss bat jedoch ein Schüler darum, sein Zitat aus dem Artikel zu streichen. Die Aussage würde die Klasse in «Schwierigkeiten» bringen. Die Schüler hätten sich entschieden, generell nur Folgendes zu sagen: «Die Klasse gibt keine öffentliche Stellungnahme zu dieser Sache ab und wird weiterhin das Gespräch mit der Schulleitung suchen.»

Diesen Freitag (31. Mai) um 20 Uhr befreien sich die Schüler im Theater Fauteuil am Basler Spalenberg erstmals von den restriktiven Vorgaben der Schulleitung und spielen das Stück in seiner ungekürzten Fassung. Dann dürfen die Schüler – wie vorgesehen – an den Bühnenrand treten und den Zuschauern zurufen: «Du hast aber fettige Haare» und «Du hast aber schöne Brüste». Ein Mann darf einem «lesbischen Paar» wieder seinen «Samen» spenden anstelle seines «Erbguts», und die Schüler dürfen auf der Bühne wieder zu ihrer Alltagssprache zurückfinden. Wie dieses Schuldrama ausgehen wird, ist aber ungewiss. 

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 31.05.13

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