Mit einer «Anti-Psychiatrie-Ausstellung» ködert Scientology Passanten in Basel. Ein Augenzeugenbericht.
TagesWoche-Leserin Lisschen (Name der Redaktion bekannt) war an diesem Tag schlecht drauf, «und ich sah auch danach aus». Prompt sei sie von einem netten Herrn angesprochen und zu einer Ausstellung über die Gefahren der Psychiatrie eingeladen worden. «Mir wurde alles erklärt, ganz nebenbei kam die Frage, ob auch ich schlechte Erfahrungen mit Ärzten gemacht habe. Ich erzählte, dass es mir oft schlecht gehe und dass ich Angst habe, zum falschen Arzt zu gehen. Dann erzählte mir der Herr von seiner eigenen Methode. Preis: 150 Franken für ein 2-Tages-Seminar.»
Irgendwann habe es dann «klick gemacht», sagt Lisschen. «Auf meine Frage, ob das Seminar etwas mit Scientology zu tun habe, erklärte er mir, dass es die gleiche Methode sei, dass man aber getrennt arbeite und die Räumlichkeiten wegen der Materialien am selben Ort habe.»
Das Erlebnis von TagesWoche-Leserin ereignete sich am ersten Dezember-Samstag um die Mittagszeit. Seit diesem Tag ist im einstigen Modehaus Rümelin in Basel die Ausstellung «Psychiatrie – Tod statt Hilfe» der Bürgerkommission für Menschenrechte (CCHR) zu sehen. Und seit diesem Tag sprechen CCHR-Vertreter Passanten an, um sie in die Ausstellung zu locken (die TagesWoche berichtete).
Besuch von der Polizei
Am Montag erhielten die Betreiber der Ausstellung Besuch von der Polizei. Diese bat sie, mit dem Verteilen von Flyern auf dem Rümelinsplatz aufzuhören, da sie dafür keine Bewilligung hätten. In den folgenden Tagen sprachen die CCHR-Leute die Passanten trotzdem weiter an. Felix Altorfer, Organisator der Anti-Psychiatrie-Ausstellung, beruft sich auf das Recht der freien Meinungsäusserung. «Wir vertreten ein politisches Anliegen. Dafür brauchts keine Bewilligung.»
Auf der Allmendverwaltung im Basler Baudepartement sieht man sich nicht zuständig. Scientology und ihr nahestehende Organisationen wie die CCHR hätten ein Kontingent für das Aufstellen ihrer Infostände. Die aktuellen Aktivitäten auf dem Rümelinsplatz würden aber nicht darunterfallen. Das Verteilen von Flyern ohne Bewilligung sei nach der Strassenverkehrsordnung geregelt – womit also die Polizei zuständig sei. Dort wiederum gibt man sich entspannt. «Wir hatten seit Jahren keine Beschwerden wegen Scientology», sagt Polizeisprecher Klaus Mannhart.
Scientology plant Basler Kirche
Scientology will ihre Aktivitäten in Basel verstärken. So ist eine sogenannte «Ideal-Org»-Kirche geplant. Der neue Tempel, einer von vieren in Europa, soll auf einer 4000 Quadratmeter grossen Parzelle im Hegenheimerquartier zu stehen kommen.
Der Sektenexperte Roland Schmid von der Evangelischen Informationsstelle Relinfo sieht die Aktivitäten als eigentliche Verzweiflungstaten. Die Organisation leide unter Mitgliederschwund: «Seit 1990 ist die Zahl aktiver Scientologen in der Schweiz von 3000 auf unter 1000 gesunken.» Aktionen wie die CCHR-Ausstellungen seien auch ein Versuch, das Image der Sekte aufzubessern. «Die Psychiatrie ist traditionell das Feindbild Nummer 1 von Scientology.» Die Organisation mache sich Fehler zunutze, die die Psychiatrie in ihrer Entwicklung durchaus gemacht habe, um sie zu diskreditieren.
«Vieles davon, wie etwa das Verschreiben von Psychopharmaka oder die Zwangsbehandlung, ist immer noch aktuell», schrieb der in Basel tätige Psychiater Piet Westdijk auf tageswoche.ch. Auch er wurde von den CCHR-Leuten angesprochen. Der Hinweis, dass er sich als Psychiater durchaus für das Thema interessiere, Aufklärung aber nicht von Scientology wünsche, genügte, um den Belästiger loszuwerden.
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 09/12/11