Die Passivität der Behörden frustriert die Fahrenden. Der Kanton Basel-Stadt evaluiert seit Jahren erfolglos Möglichkeiten für einen Standplatz. Franco und Nathalie sind aber nicht gewillt aufzugeben. Ein Besuch in Kaiseraugst.
Die schwarzen Wolken über dem Augsterstich müssen sich tagelang mit unguter Energie aufgeladen haben. Jetzt befreit sich der Himmel davon und schickt Regen herunter auf die Kiesfläche in Kaiseraugst, wo Fahrende einen Stellplatz haben. Dort sitzen an einem Campingtisch vor ihrem Wohnwagen Nathalie und Franco bei Pulverkaffee und Parisienne gelb. Ihr Frust entlädt sich wie eine Gewitterwolke.
«Wir wurden nach Strich und Faden verarscht.» Franco steckt sich eine an, und mit jedem Wort, das er spricht, kommt eine kleine Rauchwolke mit, wie aus dem Schlund eines erwachten Vulkans. Der 46-jährige Bündner zückt sein Handy und zeigt eine Karte des Bundes, auf der die Stand- und Durchgangsplätze für Fahrende eingetragen sind. «Nicht mal die Hälfte davon existiert wirklich.»
Seit zehn Tagen ist die kleine Gruppe in Kaiseraugst, jetzt würden sie gerne weiterziehen – doch wohin? Ihre Reise ist zu einem Halt gekommen.
Dafür verantwortlich macht Franco nicht nur die Behörden, auch die Vertretung der Fahrenden in der Schweiz, die Radgenossenschaft, habe versagt: «Sie hat jahrelang Subventionen kassiert, aber uns keinen einzigen Platz beschafft.»
Standplatz für Fahrende in Kaiseraugst. (Bild: Nils Fisch)
Auch die Durchgangsplätze im Grossraum Basel sind voll belegt. Der Stellplatz in Kaiseraugst, der grösste in der Region, ist so gut wie immer ausgebucht. Gedacht für ausländische Roma, dient er inzwischen auch Schweizer Jenischen als Zwischenhalt, was immer wieder für Reibereien sorgt.
Eine brauchbare Alternative besteht nur in Liestal, wo die Stadt nach einer Protestaktion von Jenischen im Jahr 2000 einen Platz für zehn Wohnwagen bereitgestellt hat. «Liestal ist vorbildlich», sagt Franco. Dort hat es Duschen, Strom- und Wasseranschlüsse. In Kaiseraugst haben die Plumpsklos noch nicht mal Türen. Ein Wasserhahn muss für den ganzen Platz genügen.
Frischwasser nein, Platzmiete ja
Kleine Plätze gibt es noch in Wittinsburg und Aesch, allerdings ohne die einfachste Infrastruktur zu bieten. In Aesch müssen sich Fahrende erst bei der Gemeinde anmelden, bevor sie auf den Platz können. Für Frischwasser müssen sie den nahen Tennisclub angehen und auf Verständnis hoffen. Platzmiete entrichtet wird freilich trotzdem.
Türe vergessen: sanitäre Anlagen in Kaiseraugst. (Bild: Nils Fisch)
«Die Situation ist desolat», sagt Franco und lacht bitter. «Das Lied ‹Lustig ist das Zigeunerleben› muss umgeschrieben werden.» Daran ändert auch nichts, dass Baselland seit 20 Jahren einen Verfassungsartikel hat, wonach der Kanton den Fahrenden Plätze anbieten muss. Soeben hat der Landrat ein neues Gesetz verabschiedet, dass den Kanton in der Raumplanung zur Zusammenarbeit mit den Gemeinden anhält, damit die 10 Stand- und 20 Durchgangsplätze realisiert werden, die ein Gutachten des Bundes seit 2001 vom Baselbiet verlangt.
Basel foutiert sich um Bundesgerichtsurteil
In der Region lässt sich ein Phänomen beobachten, dass schweizweit anzutreffen ist. Unkomplizierte Lösungen fallen eine nach dem anderen weg und werden ersetzt durch ein bürokratisiertes Verfahrens, das in der Regel ergebnislos bleibt.
Früher konnten Fahrende auf dem Parkplatz im St. Jakob ihren Wagen abstellen, informell versteht sich, ohne zonenrechtliche Konformität, vereinzelt wurden Überwinterungen im Riehener Sarasinpark geduldet. Diese Standplätze sind alle verschwunden in den letzten Jahren, ohne dass neue dazugekommen wären.
Rosalina (46) war in Bern dabei während der Räumung. Auf dem Handy hat sie Bilder der Aktion festgehalten. (Bild: Nils Fisch)
Aus zonenrechtlichen Bedenken hat die Basler Regierung davon abgesehen, den Fahrenden das ehemalige Migrol-Areal im Hafen freizugeben, obwohl der Richtplan verlangt, «bietende Gelegenheiten» bei Zwischennutzungen für einen Standplatz zu ergreifen. Dass auf dem selben Gebiet das linksalternative Wohnprojekt Wagenplatz geduldet wird, sei «ein Widerspruch», sagt Marc Keller, Sprecher des für die Fahrenden zuständigen Baudepartements. Bemüht um einen Platz hat sich Basel nie.
Bereits zu Beginn der 1990er-Jahre reichten Aktivisten eine Petition mit 3000 Unterschriften ein, der die Behörden nie nachgekommen sind. 2003 verlangte das Bundesgericht unmissverständlich, dass auch Basel einen Standplatz herrichten muss. Passiert ist seither wiederum nichts. Zehn Plätze müsste der Stadtkanton demnach eigentlich anbieten.
Wachhund auf dem Durchgangsplatz Kaiseraugst. (Bild: Nils Fisch)
Bis Ende Jahr, verspricht Keller, sei die Evaluation möglicher Plätze abgeschlossen. Den Prozess verzögert habe die Klärung der Frage, ob die Stadt einen Standplatz, der für die Wintermonate gedacht sei, oder einen Durchgangsplatz finden müsse. Auch personelle Wechsel hätten zur Verzögerung beigetragen. Die Chancen eine Lösung zu finden, sind gering. «Es ist durchaus möglich, dass wir zum Schluss kommen, in Basel gäbe es keinen geeigneten Ort dafür», sagt Keller. In diesem Fall werde man versuchen, in der Agglomeration einen Platz zu suchen. Schnelle Ergebnisse sind auch bei dieser Variante nicht zu erwarten. «Gespräche mit Baselbieter Gemeinden haben noch keine stattgefunden», räumt Keller ein.
Verständlich, dass sich Franco und Nathalie nicht ernst genommen fühlen. Die 26-jährige Mutter umschreibt ihre Situation so: «Es ist so, wie wenn sich 100 Menschen um fünf Wohnungen bewerben müssten.» Seit Kindesbeinen ist sie auf der Reise, wie das die Fahrenden nennen. Zwei, drei Wochen am selben Ort, dann weiter. Und einmal im Jahr die grosse Wallfahrt ans Zigeunerfest nach Saintes Maries de la Mer in der Camargue. Einmal im Leben dort den Rockzipfel der Schutzheiligen Schwarzen Sara berühren, während sie während der Prozession ins Meer getragen wird.
Wie Camping nur anders: Wohnwagen auf dem Stellplatz. (Bild: Nils Fisch)
Einmal hat Nathalie den Versuch unternommen, sesshaft zu werden. Vier Monate habe sie in einer Wohnung gelebt, «dann habe ich Depressionen bekommen». Auch finanziell wurde es schwer. Die Jenischen verdienen ihren Lebensunterhalt mit dem Türverkauf von Haushaltsprodukten, zunehmend auch mit Handwerksarbeiten. Franco etwa verkauft Kehrbesen. Um seine Stammkunden zu bedienen, muss er vor Ort sein.
Familie schützt gegen Gängelungen
Durchzukommen sei schwieriger geworden, sagen beide. Ein Tag auf einem Stellplatz kostet bis zu 25 Franken. «Aber wir helfen einander, die Familie ist das, was uns stark macht», sagt Nathalie. Hat jemand kein Geld, springt ein Bekannter oder ein Verwandter ein. Der familiäre Zusammenhalt, die gemeinsamen Feste, die Erstkommunion der Kinder in Einsiedeln, das sind die schönen Seiten eines oft nicht einfachen, von täglichen Gängelungen und Beleidigungen belasteten Lebens.
Der Regen in Kaiseraugst setzt aus, als Nathalies kleiner Sohn von der Schule zurückkommt. Vielleicht ein symbolischer Augenblick. Sie setzen viel auf die neue Generation. Diese lasse keinen Zweifel daran, dass sie das Leben als ewig Reisende weiterführen will. Die Jungen, sagt Franco, seien bereit, um einen Platz in der Gesellschaft für die Jenischen zu kämpfen. Anders scheint es nicht zu gehen.