«Sie sind ja so negativ, das ist ja schrecklich!»

Desirée Meiser mag sich nicht die Festlaune verderben lassen: Statt sich mit Zukunftsängsten zu plagen, feiert die künstlerische Leiterin voller Verve das erste grosse Jubiläum des Gare du Nord. Im grossen Interview spricht sie gemeinsam mit Barchef Bruno Zihlmann über Kulturförderung, Neue Musik, König Fussball und ihre Highlights aus den letzten zehn Jahren.

Freuen sich auf das Jubiläumsfest: Desirée Meiser und Bruno Zihlmann. (Bild: Marc Krebs)

Desirée Meiser mag sich nicht die Festlaune verderben lassen: Statt sich mit Zukunftsängsten zu plagen, feiert die künstlerische Leiterin voller Verve das erste grosse Jubiläum des Gare du Nord. Im grossen Interview spricht sie gemeinsam mit Barchef Bruno Zihlmann über Kulturförderung, Neue Musik, König Fussball und ihre Highlights aus den letzten zehn Jahren.

10 Jahre Gare du Nord und Bar du Nord, was überwiegt: Freude oder Zukunftsangst?

Bruno Zihlmann: Bei mir sind es sicher keine Ängste, vielmehr ein Erstaunen darüber, dass schon zehn Jahre vergangen sind. Wir haben hier Fuss gefasst, die Abwechslung aber ist geblieben: Konzerte, Hochzeiten, Parties, Fussball – die Zeit geht schnell vorbei, es bleibt spannend. Man verliebt sich immer wieder neu in die Räumlichkeiten.

Die Zukunftsangst erwähne ich, weil der Kanton Baselland mit über 300 000 Franken jährlich grösster Subventionsgeber ist – und in einer grossen finanziellen Krise steckt. Machen Sie sich keine Sorgen?

Desirée Meiser: Nein. Unser Jahresbudget (2012 rund 900’000 Franken, die Red.) ist recht bescheiden. Der Summenbereich, indem wir uns befinden, trägt nicht wirklich zum grossen Sparen bei. Auch habe ich überhaupt keine Lust, mich jetzt mit solchen Sorgen zu belasten. Erstens habe ich keine Zeit dafür, zweitens ist das hypothetisch. Ich glaube, dass es diesen Ort jetzt zehn Jahre gibt, war nur möglich, weil wir uns nicht dauernd überlegt haben, wie es weitergeht. Mit jeder Spielzeit haben wir bei Null angefangen, stellten mit wenig Geld ein tolles Programm auf die Beine. Hätte ich dauernd daran gedacht, dass wir auf einer Abschussliste landen könnten, weil wir nicht ein massentaugliches Programm machen, würde es uns heute sicher nicht mehr geben.

Der Gare du Nord steht auf städtischem Boden, wird aber vom Kanton Baselland exterritorial gefördert. Eine spezielle Situation.

Meiser: Weil Baselland damit eine Lücke im Angebot schliessen wollte. Nun gibt es erfreulicherweise Bemühungen, die Kulturangebote beider Kantone gemeinsam zu unterstützen, die Hoffnung also, dass vielleicht irgendwann einmal Basel-Stadt und Baselland die Subventionen zu gleichen Teilen tragen.

Haben Sie schon entsprechende Signale vom Basler Kulturchef Philippe Bischof bekommen?

Meiser: Nein. Er hat ja erst vor einem Jahr angefangen und ich habe mich noch nicht länger mit ihm darüber unterhalten. Aber ich erwarte von ihm, dass er sich interessiert und sich ein Bild über unser Angebot macht.

Die meisten Musiklokale in der Region könnten nicht ohne die Quersubventionierung durch die Gastronomie existieren. Ist das beim Musikbahnhof auch der Fall?

Zihlmann: Das ist schwer zu sagen, weil die Bar dem Gare du Nord und der Deutschen Bahn Miete bezahlt, wir aber dennoch eine kleine Familie sind, die sehr eng zusammenarbeitet.

Meiser: Wovon wir als Kulturbetrieb profitieren, sind die Privatvermietungen.

Sie sind also im Clinch: Sie müssen einerseits den Ansprüchen, die man an einen Subventionsempfänger stellt, gerecht werden. Andererseits könnten Sie das Budget erheblich auftstocken, wenn Sie mehr Hochzeiten durchführen würden.

Meiser: Wir haben als Gare du Nord den Auftrag, jährlich mindestens 80 Konzerte mit zeitgenössischer Musik zu veranstalten. Das hat Priorität. Neben diesen sind Termine in der Vorplanung frei für mögliche Privatvermietungen. Zudem veranstalten wir noch rund 20 Crossoververanstaltungen, von Rock, Pop, Jazz bis Multimedia.

Den Begriff «zeitgenössisch» erachte ich als schwierig, ist eine stilistische Abgrenzung heutzutage doch gar nicht mehr einfach. Auch experimenteller oder urbaner Hip-Hop ist zeitgenössisch…

Meiser: Ja gut, aber wir nennen uns ja auch Bahnhof für Neue Musik. Mit «zeitgenössisch» deute ich einfach an, dass wir den Begriff etwas offener halten. Wir fahren ja auch nicht den ganz harten Kurs, sondern suchen eine Verbindung mit anderen Musikgattungen. Die Neue Musik, wie sie nach dem Zweiten Weltkrieg entstand definiert sich ja auch immer wieder neu, indem Tabus gebrochen werden. So findet etwa eine Generationenablösung statt, das Genre verjüngt sich und experimentiert heute auch mit dem DJ-ing.

Schon ganz zu Beginn des Gare du Nord war Mauricio Kagel Gast. Ein grosser Name, der mit seiner Musik aber eine eher ältere Hörerschaft anspricht. Steht der Gare du Nord zehn Jahre später an einem Scheideweg, manifestiert sich auch beim Publikum ein Generationenwechsel?

Meiser: Ja, das Publikum ist mittlerweile viel gemischter, der Altersdurchschnitt variiert von Veranstaltung zu Veranstaltung – die Reihe Gare des Enfants führt ja sogar Kindergärtner ins Haus und damit an die Musik heran. Auch etablierte Reihen wie etwa jene der internationalen Gesellschaft für Neue Musik sind im Wandel. Man will in andere Stilbereiche vordringen, was zu einer spannenden Veränderung führt.

Mittlerweile gibt es – ebenfalls an der Peripherie der Stadt gelegen – ein Haus für Elektronische Künste, unter anderem Heimat des Shift Festivals. Ist Basel gross genug für zwei progressive Institutionen?

(Meiser verwirft die Hände): Sie sind ja so negativ, das ist ja schrecklich! Sie zeigen ja ständig auf, was uns alles gefährden könnte.

Ich stelle nur Fragen, die offenbar provozieren.

Meiser: Ich finde solche Fragen schwierig, nein, richtiggehend nervig und uninteressant. Sie könnten mich so viel zum Gare du Nord fragen, was wirklich interessant wäre. Die CMS interessiert sich nicht für Musik, das ist nicht ihr Auftrag, nicht ihr Interesse. Da sehe ich kein Problem. Die neuen Medien könnten wir in der Dimension, wie das konzipiert ist, in keiner Weise auffangen, interessante Crossover-Möglichkeiten wären denkbar, wenn dieses Haus dann mal wirklich Fahrt aufgenommen hat.

Zihlmann: Was wirklich provoziert bei solchen Fragen ist doch, dass dabei impliziert wird, dass ein Programm ohne Subventionen gar nicht möglich wäre. Dazu muss man sagen, dass der Gare du Nord, verglichen mit anderen Kulturinstitutionen, nur eine Eigenproduktion pro Jahr machen kann. Sonst könnten wir keine Löhne, keine Kopiermaschine, keine Presseabteilung, keine Miete, keinen Strom, kein Wasser bezahlen. Es erfordert grossen Einsatz, diesen Ort zu halten und Tolles anzubieten. Das ist unsere Arbeit und unser Stolz. Natürlich wäre es ein Problem, wenn die Subventionen wegfallen würden. Es ist genial, dass es bei uns funktioniert.

Meiser: Mich interessiert das wirklich nur peripher. Ich bin für den Inhalt zuständig. Wäre ich für das Geld zuständig, gäbe es uns schon lange nicht mehr. Ich kann nicht mit Geld umgehen, ich trage den Leuten das Geld hinterher. Mir ist es wichtig, dass die Künstler gute Bedingungen haben. Dass sie ein Glas Wein bekommen nach dem Auftritt. Dass wir grosszügig sind.

Für Musiker ist es ja auch wichtig, am Ort willkommen zu sein.

Meiser: Das sind die Sachen, die mir wichtig sind. Auch wenn wir nicht das fette Budget haben. Die Leute sollen sich wohlfühlen. Mit kleinem Budget haben wir eine gute Atmosphäre, mit ein paar schlauen Tricks können wir grosse Sachen einladen, einmal im Jahr eine grosse Produktion und im Januar einen speziellen Schwerpunkt realisieren. Die Realisation dieser Projekte braucht allein ein Jahr Vorlaufzeit. Das macht für mich 10 Jahre Gare du Nord aus. Wir haben eine Art Grundvertrauen in das, was wir machen. Das ist unsere Kunst. Wir haben uns mit der Entwicklung treiben lassen, wir sind auf einem guten Fluss, auf einer guten Spur.

Was wären Verbesserungs- oder Veränderungswünsche?

Meiser: Es wäre toll, wenn wir einen grösseren Produktionsetat hätten, wenn wir ein paar Reihen ganz nach unserem Gusto machen könnten.

Was schwebt Ihnen vor?

Meiser: Eine Carte Blanche anbieten, so wie einst der «Composer of the week» beim Europäischen Musikmonat, damit die Leute merken, dass wir nicht ein elitärer Tempel sind. Es gibt hier einfach eine grosse Szene von guten Musikern und Komponisten, dauernd werden gute Leute aus der Musikhochschule ausgespuckt, die man sich anhören sollte.

Die Nachfrage seitens der Musiker ist mit Sicherheit gross. Wie sieht es mit dem Publikum aus?

Meiser: Die Auslastung hat sich auf 70 Prozent eingependelt, was gut ist. Es gibt Veranstaltungen mit 140 Besuchern und solche mit 30, das variiert, was an der Natur der Sache liegt.

Auch an der Grösse der Stadt Basel?

Meiser: Wir könnten das Lokal trickreich mit Anlässen auffüllen, die mehr Publikum anziehen. Aber wir planen immer wieder ganz bewusst Anlässe mit guten Leuten, die wenig Publikum anlocken. Das ist Teil unseres Auftrags.

Je nach Produktion stellt sich Ihnen zudem dasselbe Problem wie in der Kaserne: Tribünenumbauten sind kosten- und personalintensiv. Schränkt das ein?

Meiser: Wir machen ja vornehmlich Konzerte. Sind Partys terminiert, etwa jene von «Unsere Liga», dann überlegt man sich, daran anknüpfend passende Konzerte zu programmieren.

Zihlmann: Ich bin ständig am buckeln. Es gibt immer wieder Veränderungen, was an die Substanz geht – aber auch eine willkommene Abwechslung ist: Da gibt es an einem Sonntag mal einen fliessenden Übergang vom Brunch zur Fussballübertragung zum Konzert. Diese Wandlungsfähigkeit macht uns zum einen originell, zum anderen verlangen diese Überraschungen – läuft gerade Fussball, ein Konzert oder eine Hochzeit – für den Besucher auch mehr Flexibilität als in einer normalen Bar. Denn wer nicht weiss, was er gerade antrifft, überlegt es sich gut, ob er von der Stadtmitte zum Badischen Bahnhof rausfährt, um ein Glas Wein zu trinken.  

Zumal Sie hier kulturell nicht eingebettet sind: Das Förnbacher Theater ist hier, aber naheliegende Lokale wie das Kino Royal oder das nt/Areal sind passé. Spüren Sie das im negativen Sinn, in Form von weniger Laufkundschaft?

Meiser: Nein, wir waren diesbezüglich immer schon unabhängig. Dass es Publikum gab dank der Nähe zum Kino oder zum nt/Areal, glaube ich nicht.  

Zihlmann: Als wir vor zehn Jahren begannen, war dies ein toter Bahnhof. Mittlerweile herrscht hier wieder Leben, es gibt ein Angebot im und durch den Bahnhof, das vermehrt Leute anlockt.

Sie haben zuvor den Fussball angesprochen: Für die Übertragungen ist die Bar du Nord stadtbekannt. Hier wurden schon Spiele auf Grossleinwand gezeigt, als der Begriff «Public Viewing» noch niemandem vertraut war. Wie wurden Sie diesbezüglich die Nummer 1 in der Stadt?

Zihlmann: Das Sportmuseum machte im Eröffnungsjahr des Gare du Nord, 2002, bei uns eine Ausstellung rund ums Thema Fussball. Das erinnerte mich an meine Zeit in Zürich, wo ich während der Ausbildung zum Schauspieler nebenbei eine illegale Bar betrieben hatte und Fussballspiele zeigte. Worauf ich die Idee aufnahm und hier während der WM in Japan/Südkorea erstmals Spiele zeigte. Später wurde der FCB wieder Meister, die Mannschaft kam gelegentlich hierher zum Frühstück, Christian Gross wurde Präsident des Fördervereins des Gare du Nord – und wir wurden so auch zur Bar für Fussballfans.

Spielübertragungen haben seither an Popularität gewonnen. Wie können Sie die Leute halten?

Zihlmann: Das fragen mich auch immer wieder andere Barbetreiber. Ich glaube, man merkt bei uns, dass wir grosse Fussball-Fans sind. Wir überlegen uns gut, welche Champions-League-Spiele wir zeigen wollen und sind mit vollem Enthusiasmus bei der Sache. Die Fussball-Fans geniessen die Atmosphäre unter Gleichgesinnten und schätzen die Möglichkeit, emotionale Momente teilen zu können.

Fühlte sich das Musikpublikum anfänglich vor den Kopf gestossen?

Zihlmann: Nein. Hier in Basel sind 95 Prozent aller Musikfans auch fussballinteressiert. Das ging immer reibungslos aneinander vorbei.

Was war für Sie der grösste Glücksmoment der letzten zehn Jahre?

Zihlmann: Die Hausproduktion «Tante Hänsi» bescherte mir 2006 grossartige Eindrücke. Der Jodlerklub Wiesenberg kam jeweils mit dem Car an, die Aufführungen waren toll, ausverkauft auch – und nach der Vorstellung jodelten sie immer noch eins in der Bar. Das waren sensationelle Abende.

Meiser: Dem schliesse ich mich an. Unvergesslich ist auch das Solokonzert von Meredith Monk, ein Idol meiner Jugend. Das war in unserer ersten Saison, als sie im ausverkauften Saal auftrat, alleine dastand, ohne Mikrofon … und ein total berührendes Konzert gab. Das war ein grosses Highlight.

Und jetzt also das grosse Fest zum Jubiläum. Mit einem überaus tanzbaren Programm.

Meiser: Das ist unsere Absicht, ja. Die eigentlichen Hauptdarsteller an diesem Fest sollen die Räume sein. Wir wollen sie erstrahlen lassen, alle sollen reinkommen, trinken und feiern. Und dafür wollten wir auch Musik, zu der man tanzen kann. Tango Crash haben schon ganz zu Beginn des Gare du Nord hier gespielt, sind also alte Bekannte. Und mit Zlang Zlut, dem Projekt von Fran Lorkovic und Beat Schneider, lassen wir es ab Mitternacht laut krachen.

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