Jeanny Messerli kam von Zürich nach Basel und brachte Schwung in die hiesige alternative Szene. «Kurt», nt/Areal und «Kabar» sind nur einige ihrer Stationen als Kulturveranstalterin. Die nächste lautet «Post Bar», eine Zwischennutzung im St. Johann.
Basler mit Affinität zur Alternativkultur weinen dem nt/Areal noch immer gerne eine Träne nach. Nirgendwo liessen sich die Nächte besser verlängern und vertrödeln als in der «Erlkönig Lounge» und all den anderen Kneipen und Bars auf dem ehemaligen Bahngelände. Für die Wehmut der Szene mitverantwortlich ist Jeanny Messerli, die Gastronomin und Kulturveranstalterin war jahrelang die Herrin des Hauses im «Erlkönig». Sie blieb nach dem Ende der nt-Ära jedoch nicht untätig, sondern wirtet nun in der «Kabar». In diesen Tagen eröffnet sie zudem eine Zwischennutzung im St. Johann, die «Post Bar». Wir besuchten sie auf der Baustelle zu einem Kaffee im Lichte zahlreicher Leuchtweltkugeln.
Was hat es mit den vielen Globen auf sich?
Ich sammle sie und habe nun endlich den Platz, sie aufzustellen. Ausserdem gefällt mir das Licht und das Gefühl, von aussen auf die Welt zu schauen.
Sie haben einen künstlerischen Hintergrund. Leben Sie diesen über die Einrichtung Ihrer Gastronomie-Projekte aus?
Ich habe die Kunstgewerbeschule besucht. Ja, vielleicht findet sich etwas davon im Aussehen und in der Einrichtung meiner Bars und Restaurants.
Wie kommt eine Künstlerin zum Wirten?
Das Patent habe ich nur gemacht, weil ich musste. In die Gastronomie und die Veranstaltungen bin ich reingerutscht über illegale Partys und Kellerkneipen. Schon in Zürich, wo ich herkomme, habe ich mich eigentlich nur in solchen Kreisen bewegt. Es war eine Zeit des Aufbruchs, mit leerstehenden Fabrikhallen, Acid Techno und Smiley-Buttons.
Und in Basel?
Da habe ich einen illegalen Club betrieben, das «Kurt». Und bin daraufhin zum nt/Areal bzw. dem «Erlkönig» gekommen. Es gab zu der Zeit, ich kam 1996 hierher, sehr viele dieser illegalen Clubs und Partys. Das «Home» im Gundeli beispielsweise. Dort bin ich zum ersten Mal überhaupt in Basel in den Ausgang gegangen und habe gleich reihenweise tolle Leute kennengelernt.
Das heisst, Sie haben sich in Basel wieder das gleiche Milieu gesucht, wie Sie es in Zürich hinter sich gelassen haben?
Dort traf man eben die spannendsten Leute. Und bei einem Kunststudium lag es auch irgendwie nahe.
«Ich war mit der richtigen Frisur am richtigen Ort.»
Als Zürcherin in Basel, war da der klischeehafte Konflikt zwischen den beiden Städten ein Thema?
Ja natürlich, aber das hat ja nichts mit mir persönlich zu tun. Das hat wohl eher mit Basel zu tun. Man kann die beiden Städte sowieso nicht vergleichen. Zürich ist eine Stadt und Basel ist als Kleinstadt eine Aneinanderreihung der einzelnen Wohnquartiere.
Wenn man Leute von damals fragt, die das «Home» kannten und das «Kurt», sagen alle: «Jeanny war plötzlich da.» Wie haben Sie so schnell Fuss gefasst in dieser Stadt?
Es ging tatsächlich sehr schnell. Auf einmal war ich mittendrin. Was sicher auch daran lag, dass 96 ein super Jahr war. Es lief viel und die Stimmung in der Stadt war sehr inspirierend. Oder wie ich immer sage: Ich war mit der richtigen Frisur am richtigen Ort.
Was trafen Sie hier an?
Recht viele lustige Leute und eine grosse Zahl interessanter Projekte. Dadurch, dass die grossen Zwischennutzungen soeben vorbei waren, gab es viele Leute, die daran waren, etwas Neues aufzubauen. Sie hatten ihre Erfahrungen gemacht und freuten sich, wenn jemand neues von aussen dazukam und sich interessierte.
Auch Sie beziehen bei Ihren Projekten gerne andere Leute mit ein. So darf beispielsweise freitags immer ein anderes Restaurant in der «Post Bar» den Mittagstisch bekochen.
Diese Idee entstand aus einem Problem. Ich wollte nämlich verhindern, dass sich mein Koch, Christian Lorenz von der «Landestelle», übernimmt. Er verfolgt ja auch viele eigene Projekte. Also habe ich ihm gesagt, dass er jeweils am Freitag hier nicht kochen soll. Und dann kam mir der Gedanke, andere Restaurants aus dem Quartier einzuladen. Solche, die eine ganz andere, exotischere Küche pflegen als Christian. Drei habe ich bereits gefunden, der «Nordbahnhof», das «Za Zaa» und das «Welcome to India».
Inzwischen stecken Sie zwar mittendrin, dennoch haben Sie als Zugewanderte einen Aussenblick. Wie hat sich die Gastronomie und das kulturelle Angebot in Basel verändert?
Die Stadt, und damit meine ich die Verwaltung, mischt sich heute viel stärker ein und will vieles kontrollieren. Das hat wahrscheinlich mit dem Internet zu tun. Damit, dass Informationen heute viel einfacher zu finden sind. Früher hat man mit einer Kellerkneipe einfach losgelegt, ohne dass Nicht-Eingeweihte etwas davon mitbekommen haben. Das geht heute fast nicht mehr. Und politisch gesehen, stört mich das vorgetäuschte Linkssein, das sich in den politischen Entscheiden nirgendwo wiederfindet.
Was sind die Folgen dieser verstärkten Einmischung?
Das wird sich wohl erst noch zeigen. Was es bedeuten könnte, sehen wir zurzeit im Hafen, wo die staatlich organisierten Zwischennutzungen sich nur harzig entwickeln. Gesamthaft betrachtet, ist das Angebot an alternativkulturellen Orten sicher grösser als früher.
Ist es heute einfacher, mit alternativer Gastronomie und Kultur Geld zu verdienen?
Das kann sein. Vielleicht hat man aber auch gelernt, die bürokratischen Hürden zu überwinden. Mit grösserer Erfahrung wird es immer einfacher. Aber es gibt immer noch viel zu wenige spannende Gastronomie-Projekte in Basel. Ich spreche von Räumen, die dich umhauen, wenn du sie zum ersten Mal betrittst.
Fehlt die Nachfrage dafür?
Es fehlt die Kultur, mindestens einmal pro Woche auswärts essen zu gehen. Oder dann geht man ins nahe Ausland, nach Deutschland oder ins Elsass. Weil es dort günstiger ist.
Und besser. Es gibt nicht gerade viele gute Restaurants in Basel.
Ich würde eher sagen, dass gute Qualität hier zu teuer ist. In Zürich und Bern ist es zwar auch teuer, dafür stimmt die Qualität und die Gastfreundlichkeit. Vielleicht hat es auch mit den Märkten zu tun, dort fängt die Misere ja an. Die Vielfalt von Gemüse und Früchten, Brot und Delikatessen auf den verschiedenen Wochenmärkten in Zürich kann man in Basel lange suchen.
«Ich bringe meinen Gästen gerne den Kaffee an den Tisch. Es macht mir Freude.»
Was macht einen guten Gastgeber aus?
Dass er es gern macht. Ich bringe meinen Gästen gerne den Kaffee an den Tisch. Ich freue mich, wenn die Leute gerne zu mir kommen.
Empfangen Sie auch zu Hause privat gerne Gäste, oder nutzt sich das ab, wenn man es beruflich tut?
Sehr gerne. Dann kann ich mir ja die Leute aussuchen, mit denen ich am Tisch sitzen will.
Was tischen Sie bei solchen Gelegenheiten auf?
Ich bin eine miese Köchin. Also gibts «Gschwellti» und guten Käse, da kann man nicht viel falsch machen.
Ein Quartier ist dann lebendig und attraktiv, wenn es gute Restaurants und Cafés hat. Sind Wirte die eigentlichen Architekten der Urbanität?
Wirte beleben das, was die Architekten an baulicher Struktur bereitstellen. Eigentlich sollte ein Architekt in jedem seiner Gebäude einen Raum für die Gastronomie reservieren. Es wäre doch schön, wenn jede dritte Ecke in der Stadt die Möglichkeit bieten würde, ein Café oder eine Bar einzurichten. Und die städtische Verwaltung sollte das nach Möglichkeit fördern.
In der «Post Bar» wollen Sie das Konzept des «caffè sospeso» etablieren, des aufgeschobenen Kaffees also. Worum geht es dabei?
Wer will, kann seinen Kaffee doppelt bezahlen. Den einen trinkt man, und den anderen schiebt man auf, für irgendjemanden. Auf einer Tafel sind diese «aufgeschobenen Kaffees» notiert, und wer will, kann einen solchen bestellen und muss nichts dafür bezahlen. Die Idee dazu kommt aus Neapel und gefällt mir gut. Es ist eine zeitgemässe Form der Umverteilung, wie ich finde. Auch wenn ich überhaupt nicht weiss, ob es hier funktioniert. Deshalb ist eine Endnutzung wie die «Post Bar» auch genau der richtige Ort für ein solches Experiment.
Es kann also jeder kommen und gratis einen Kaffee trinken?
Ja. Jede und jeder kann für sich entscheiden, ob er dieses Angebot in Anspruch nehmen will oder nicht.
Sie haben einst in einem Interview Zwischennutzungen für tot erklärt. Sehen Sie das immer noch so?
Damit meine ich eine bestimmte Art von Zwischennutzungen beziehungsweise den Begriff. Wir benutzten diese Bezeichnung früher nie, und heute ist in jedem stadtplanerischen Strategiepapier die Rede davon.
Es stört Sie also, dass sich das Konzept der Zwischennutzung etabliert hat?
Nein, es ist eigentlich erfreulich, dass es sich etabliert hat. Nun muss man beobachten, wie sich solche Projekte unter diesen neuen Bedingungen weiterentwickeln. Wenn sich die Stadt, wie im Hafen, entscheidet, etwas selbst in die Hand zu nehmen, dann muss das entschiedener geschehen. Sonst passiert nichts, das haben wir gesehen.
Ist ein wenig Koketterie dabei, wenn Sie illegale Bars und Partys als Weg aus der kulturellen Ödnis bezeichnen?
Überhaupt nicht. Ich habe diese Orte und Veranstaltungen immer als besonders inspirierend empfunden. Dort bin ich den spannendsten Personen begegnet, weil es sich in der Illegalität besonders gut experimentieren lässt.
Vor ein paar Jahren hat es einige Untergrundbars gegeben. Dort fanden die besten Partys statt. Ist das die Lösung?
Viele dieser Kellerclubs waren als private Vereine organisiert und in dem Sinne nicht illegal. Es war zu dieser Zeit sicher eine mögliche Lösung, die das kulturelle Leben in der Stadt bereichert hat. Natürlich erschöpft sich das bald einmal, in dem Moment war es aber enorm wichtig für die Szene.
«Die frühere Generation von Zwischennutzern macht es den Jungen nicht einfacher.»
Viele ehemalige Zwischennutzer sind inzwischen im Establishment angekommen oder arbeiten in der Verwaltung. Hilft das der neuen Generation, oder ist es gar eher hinderlich?
Man wird ja ein wenig bünzlig mit dem Alter. Ich kenne beispielsweise Punks, die sind inzwischen die grössten Spiesser geworden. Es ist durchaus möglich, dass die frühere Generation von Zwischennutzern es den Jüngeren nicht gerade einfach macht, indem sie sich einmischt. Am besten ist es doch, wenn jeder seine Erfahrungen selber machen muss. Und wenn er dabei auf die Nase fliegt, dann kann er nur davon profitieren. Das gilt für Kinder genauso wie für Zwischennutzer. Andersherum hätte die Besetzung des alten Kinderspitals ein grosser Erfolg werden könne, wenn man etwas besonnener an die Sache herangegangen wäre und nicht gleich am ersten Tag eine Riesenparty veranstaltet hätte. Man muss nicht mit dem Schlussbouquet anfangen.
Sind heutige Nutzungen kommerzieller, dafür vielleicht auch zugänglicher?
Mir scheint, dass Zwischennutzungen heute viel mehr dazu dienen, der Bevölkerung die Freiräume zu geben, nach denen sie lautstark verlangt. Und das hat natürlich eine Kommerzialisierung zur Folge.
Hat Subkultur elitäre Züge?
Jede Szene ist auf ihre Art elitär und wirkt nach aussen verschlossen. Wenn ich einen Monat lang jeden Abend ins «Papa Joe’s» gehe, treffe ich wohl auch immer dieselben Leute an.
Sie waren auch politisch engagiert und haben mit «Kulturstadt Jetzt!» die Revision des Gastgewerbegesetzes bekämpft. War das eine einmalige Sache?
Wir waren als nt/Areal dabei, nicht ich persönlich. Die Initianten dieser Gegenkampagne wollten natürlich möglichst viele alternativkulturelle Projekte und Leute ins Boot holen. Es war auch wichtig, dass wir uns damals gewehrt haben. Schon alleine deshalb, um dem Wirteverband Paroli zu bieten und unsere Anliegen zu thematisieren. Ein Gastronom im herkömmlichen Sinne hat nicht die gleichen Probleme wie einer, der abends auch ein kulturelles Programm bietet und beispielsweise Konzerte veranstaltet.
Persönlich hat es Sie also nie gereizt, sich kulturpolitisch einzusetzen?
Nein, eigentlich nicht. Ich bin mehr der Typ Macherin und wäre so in ein ganz anderes Fahrwasser geraten, das wollte ich nicht. Ich bin auch eher zurückgezogen und arbeite für mich an meinen Projekten. Verbände und solche Dinge sind für mich höchstens deshalb interessant, weil sie die Kontaktaufnahme mit anderen Veranstaltern erleichtern.
Wenn Sie jetzt mit etwas Abstand auf das Erlenmatt-Areal schauen, was denken Sie dann?
Es ist so, wie man sich das etwa vorstellen konnte. Es sieht aus, wie solche Areale eben aussehen. Die Architektur gefällt mir überhaupt nicht, aber das ist wohl Geschmackssache.
Mir scheint, dass die ganze Dynamik, die zu nt-Zeiten geherrscht hat, verpufft ist.
Zuletzt war es auch für unseren Geschmack zu viel. Rückblickend hätten wir früher aufhören sollen, gegen Ende hat es uns und den Stammgästen auch keinen Spass mehr gemacht.
«Leider weiss man erst im Nachhinein, wann der richtige Moment ist, etwas zu beenden. Das haben uns die letzten Jahre im nt/Areal gezeigt.»
War das die Zeit, als vor den Türen plötzlich Securitys mit schwarzen Bomberjacken standen?
Die wurden leider nötig, als wir besonders im Sommer immer mehr Besucher hatten und sich das Publikum verändert hat. Es kam vermehrt zu Schlägereien. Also mussten sämtliche Veranstalter auf dem Gelände zusammenlegen, um die Sicherheitsleute zu bezahlen. Das wurde richtig teuer. Es war schade, dass es so weit gekommen ist, das wäre nicht nötig gewesen. Wenn man den Schlussstrich früher gezogen hätte, wäre das Ende eleganter geworden.
Wann ist der richtige Moment zu gehen?
Leider weiss man das erst im Nachhinein. Diese letzten Jahre auf dem nt/Areal haben uns gelehrt, dass man ein Projekt rechtzeitig beenden muss. Dass es einen «richtigen» Zeitpunkt gibt, um zu gehen.
Und woran erkennt man ihn?
Wenn etwas eine Grösse und damit eine Dynamik annimmt, die man nicht mehr so bewältigen kann, wie man das gerne würde. Man kann die Gäste dann auch nicht sich selbst überlassen, weil man ja den Anfang gemacht hat. Weil man ja etwas so aufgebaut hat, dass die Leute genau deswegen zu dir kommen.
Bei Zwischen- und Endnutzungen ist das Ende bereits programmiert, so gesehen also ein Vorteil?
Es kann eine Erleichterung sein, wenn man sich nicht selbst entscheiden muss, wann etwas zu Ende ist. Bei mir aber war es ja nicht vorbei, als ich das «Erlkönig» abgegeben habe. Es geht an einem anderen Ort weiter, in der «Kabar» und jetzt hier in der «Post Bar». Hier reizt mich in der Tat die kurze Laufzeit, die Beschränkung. Das bedeutet von null auf hundert. Mein Vertrag in der «Kabar» lautet übrigens auch nur auf drei Jahre.
Ist es auch eine Angst vor der Stagnation?
Nein, das nicht. So zwinge ich mich, das, was ich tue, regelmässig zu hinterfragen. Drei Jahre sind eine gute Zeit. Danach kann eine Veränderung sehr gut tun, auch persönlich.
Stellt sich langsam eine Partymüdigkeit ein?
Langsam schon, privat gehe ich kaum noch an Partys.
Also wird Ihr nächstes Projekt etwas Ruhigeres werden?
Ich kümmere mich jetzt erst einmal um die «Post Bar». Danach sehen wir weiter, ich bin niemand, der über Jahre hinaus grosse Pläne schmiedet.
Die 41-jährige Kulturveranstalterin und Gastronomin Jeanny Messerli ist vor 17 Jahren von Zürich nach Basel gekommen, um an der Kunstgewerbeschule Audiovisuelle Gestaltung zu studieren. Sie hat nicht viel Zeit verstreichen lassen und sich kopfüber in die alternative Szene gestürzt. Bald führte sie ihren eigenen illegalen Club, das «Kurt». Ab 1999 widmete sie sich mehr als zehn Jahre dem nt/Areal und betrieb dort ab Juni 2000 den «Erlkönig». Gleichzeitig war sie für das Kulturprogramm des «Lounge» zuständig. Jahrelang pilgerte Basels alternatives Ausgehvolk zu ihr auf das ehemalige Bahngelände. Danach hat sie zusammen mit Dominik Bissegger das Restaurant der Kaserne zum Szenelokal «Kabar» gemacht. In der alten Poststelle in der St. Johanns-Vorstadt 80 betreibt sie ab Freitag, 18. Oktober, die «Post Bar», eine Zwischennutzung bis Juni 2014. Dort gibt es einen Mittagstisch und Barbetrieb bis Mitternacht.