Diese Serie hatte nichts zu sagen, und das tat sie grossartig. Vor 25 Jahren, am 5. Juli 1989, strahlte der Sender NBC die erste Folge von «Seinfeld» aus, die unzweifelhaft beste Sitcom der Neunziger Jahre. Zum Jubiläum eine Rückschau auf sieben legendäre Szenen.
Ein paar Töne gummiger Slap-Bass, und dann ging’s los. In einer New Yorker Wohnung im West Village kamen neun Jahre und ebensoviele Staffeln die Probleme von vier Grossstadtneurotikern zusammen: der Stand-Up-Comedian und Superman-Fan Jerry Seinfeld, die intelligente wie verknöcherte Elaine Benes, der notorisch arbeitslose Frauenschwarm Cosmo Kramer, und der kleine, dicke, glatzköpfige und in der Regel griesgrämig unsympathische George Costanza. «Seinfeld», das Produkt von Jerry Seinfeld und Larry David, war eine Serie aus dem echten Leben, in der sich reale und fiktive Charaktere und Biografien überlagerten. Vielleicht war es deshalb diejenige Serie, die so perfekt zu den Neunzigerjahren passten: Die postideologische Dekade, die nur noch vom Einzelmenschen und nicht mehr von Systemfragen handelte. Konsequenterweise ging es bei «Seinfeld» um nichts, um keine konkrete narrative Rahmung, um kein grösseres Ganzes, sondern nur um die vier Figuren, deren Alltagsplagen irgendwie in die Seinfeld-Wohnung in das Monk’s Café, die zentralen Handlungsorte der Serien, hereinschneiten und wieder verschwanden, ohne je wirklich gelöst zu werden.
«Seinfeld» hat das Format der Sitcom geprägt, aber vor allem verbessert: so durchdacht, so hinterhältig und so schräg wie die Dialoge von Seinfeld und vor allem dem grossen Miesepeter des US-Fernsehens Larry David war nichts zuvor. Auch wenn Menschen heute nicht mehr so reden und sich, zum guten Glück, vor allem nicht mehr so kleiden – manche Szenen bleiben bis heute.
1. «The Contest», Staffel 4, Folge 11
Ein Meisterstück dessen, was Seinfeld und David an Sprachfertigkeit draufhaben, um selbst Themen in eine Vorabendserie reinzuschmuggeln, bei denen die Programmmachern amerikanischer Fernsehanstalten ins Schwitzen geraten. Hier: Masturbation. George wird von seiner Mutter erwischt, wie er sich zu einem Glamour-Heft befriedigt. Als er den Vorfall zerknirscht seinen Freunden schildert, entsteht daraus eine Wette, wer es am längsten durchhält, ohne Hand anzulegen. Dümmlicher US-Humor um Körpersäfte? Scheint so. Allerdings voller funkelnder Dialoge, die konsequent das böse M-Wort meiden. Stattdessen: «Master Of My Domain», «Working Alone», oder schlicht: «Doing That». So raffiniert war das Skript, dass Larry David für diese Folge einen Emmy erhielt.
2. «The Junior Mint», Staffel 4, Folge 20
Um Süssigkeiten geht es immer wieder bei «Seinfeld», doch keines erlangte eine solche Berühmtheit wie das Minzbonbon Junior Mint. In der entscheidenden Szene landet es von der Beobachterempore eines Operationssaals in der offenen Operationswunde des Patienten, unbemerkt von den Ärzten. Sonst noch: Rätselraten um Frauennamen, die sich auf die medizinischen Bezeichnungen weiblicher Geschlechtsteile reimen, Reflexionen darüber, ob man Partner verlassen darf, wenn sie verfetten – und die bitterböse Kalkulation auf Wertvermehrung beim Kauf eines Kunstwerks in der Annahme, der Künstler liege im Sterben. Schliesslich hat er, hier schliesst sich der Kreis, ein Minzbonbon in den Eingeweiden.
3. «The Marine Biologist», Staffel 5, Folge 14
Einer der Favoriten von Jerry Seinfeld – verständlich, wenn man die Dichte an legendären Momenten des Seinfeld-Universums in dieser Folge betrachtet. Zum Beispiel der Dialog darum, ob Tolstois Monumentalroman «Krieg und Frieden» (bei Seinfeld natürlich mit dem englischen Titel erwähnt) nicht ursprünglich hätte «War, What Is It Good For» gennant werden sollen. Höhepunkt ist jedoch, einmal mehr, George auf der steten Suche nach Erfolg bei Frauen. Um sich ein Date nicht zu vermasseln, gibt er sich als Meeresbiologe aus, und muss schliesslich einen gestrandeten Wal retten. Und schildert seine heldenhafte Begegnung mit dem mächtigen Tier hernach mit einem biblischen Ernst, der aus der Melvilles Feder hätte stammen können.
4. «The Pilot», Staffel 4, Folge 23 & 24
Die Doppelfolge «The Pilot» ist wahrscheinlich die deutlichste Meta-Folge der Serie selbst: Jerry und George erhalten das Einverständnis des TV-Senders NBC für die Pilotfolge einer Serie über ihre nichtigen Alltagsleben. Geplanter Titel der Serie: «Jerry». «The Pilot» ist somit eine Folge über die Serie selbst, gespielt von Jerry Seinfeld, der in seiner Serie, die von seinem Alltag handelt, einen Auftrag für den Entwurf ebendieser Serie handelt – so verwirrend und postmodern diese Folge angelegt ist, sorgt sie dennoch für einige der legendärsten Momente von «Seinfeld»: nämlich dann, wenn Jerry und George ihre eigenen Verkörperungen casten müssen.
5. «The Yada Yada», Staffel 8, Folge 19
Zu ihren besten Zeiten war die Serie so populär, dass sie Wortkreationen schuf, die danach in die amerikanische Alltagssprache eingingen. Bekanntestes Beispiel ist die «Yada Yada»-Folge, deren Titel nicht mehr als eine edlere Version des Blabla ist, um ausschweifende Erläuterungen abzukürzen. Noch ein anderes typisches Detail hält «The Yada Yada» bereit: den trickreichen Umgang der Serienmacher (Seinfeld wie David sind jüdisch) mit Stereotypen zum Judentum wie zum Umgang mit Antisemitismus: als Seinfeld Witze über seinen zum Judentum konvertierten Zahnarzt macht, wird er von seinem Kumpel Kramer als «Anti-Dentist» denunziert. Eine böse, grossartige Karikatur.
6. «The Soup Nazi», Staffel 7, Folge 6
Die grössten Feinde der vier Hauptcharaktere befinden sich in unmittelbarer Nachbarschaft. Zum Beispiel der Suppenverkäufer. Der beharrt in seiner Suppenküche auf disziplinierte Hausordnung – wer sich nicht daran hält, wird rausgeschmissen. Schade nur, dass er auch die besten Suppen des Blocks kocht. Umwerfend: Larry Thomas als «Suppen-Nazi», dessen gestrenge Darbietung ebenfalls mit einem Emmy bedacht wurde.
7. «The Chinese Restaurant», Staffel 2, Folge 6
In dieser Folge sei nochmals daran erinnert, wovon «Seinfeld» grösstenteils handelt – nämlich von nichts. Hier warten Jerry, George und Elaine auf einen freien Tisch in einem chinesischen Restaurant, und das war’s auch schon mit dem Handlungsfaden. Den Rest der Folge stehen die drei rum und reden – und dekonstruieren damit Das System Sitcom. Der Plot war dünn, die Action lahm, die Ausstattung bestenfalls bescheiden. Alles egal, wenn man solch ein Drehbuch hat.