Die Wirtschaft entdeckt brachliegendes Human-Potential neu: gut ausgebildete Vollzeitmütter. Eine gute Idee oder nur gut gemeint? Unsere Gundeli-Bloggerin hat eine klare Meinung.
Auf dem Schweizer Arbeitsmarkt könnten in wenigen Jahren schon qualifizierte Fachkräfte fehlen. Aus demografischen Gründen und im Zuge der Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative sowieso. Höchste Zeit, sich nach Alternativen umzusehen und neue Potenziale zu nutzen.
Die Wirtschaft hat deshalb kürzlich eine Gruppe wiederentdeckt, deren Potenzial bisher brach lag: gut ausgebildete Vollzeitmütter oder noch genauer – Akademikerinnen, die ihr Studium «in Kloschüssel und Backofen» gesteckt haben. In der Schweiz gibt es rund 50’000 Frauen, die studiert haben und nun nicht arbeiten. Im Schnitt hat ihre Ausbildung 115’000 Franken gekostet, sagt die Statistik.
Dass dieser öffentlich ausgesprochene Gedanke bei Frauen ohne akademische Ausbildung nicht auf Gegenliebe stösst, ist nachvollziehbar. Ansätze, weibliches Potenzial wieder ins Arbeitsleben zurückzuholen, gibt es reichlich: Wiedereinstiegsfonds, Praktika, Förderkonzepte. Dies meist nach dem Vorbild der skandinavischen Länder, in denen vieles familien- und frauenfreundlicher geregelt ist. Was ja grundsätzlich positiv für alle wäre.
Die angesprochenen Akademikerinnen möchten sich keinesfalls als Notnagel verstanden wissen.
Mütter beklagen schon lange den nicht existierenden Vaterschaftsurlaub, der die Geschlechterrollen frühzeitig zementiert, die unausgesprochene Verantwortlichkeit der Mutter, wenn das Kind krank ist, die fehlende Bereitschaft der Arbeitgeber, Frauen im gebärfähigen Alter anzustellen, wenn es Alternativen gibt. Nur, dass es sie vielleicht bald nicht mehr gibt.
Und genau da liegt das Problem. Die angesprochenen Akademikerinnen möchten sich keinesfalls als Notnagel verstanden wissen. An der gläsernen Decke ändere sich durch Fördermassnahmen nicht viel, schreibt eine Frau auf Facebook. Habe eine Frau erst einmal Kinder, sei sie in Sachen Karriere aus dem Rennen. «Frauen repräsentieren in der relativ egalitären Gesellschaft der Schweiz eine Unterschicht», mutmasst sie.
Echte Gleichstellung fusst auf Respekt und Anerkennung unter Gleichen – nicht auf dem Return of Investment.
Damit ginge es Frauen ähnlich wie älteren Arbeitnehmern, die ihre Stelle verloren haben, weil sie schlicht zu teuer sind. Diskriminiert würden auch Ausländer, die häufig ebenfalls Eltern sind. Hinter einer angeblich neuen Idee steht zudem die unausgesprochene Annahme, dass das Aufziehen von Kindern keine Leistung ist. Wenigstens nicht im volkswirtschaftlichen Sinn.
Gut gemeint ist da wohl mal wieder das Gegenteil von gut. Es ist begrüssenswert, Voraussetzungen zu schaffen, die allen Menschen die Teilnahme am Erwerbsleben ermöglichen sollen. Nur fusst echte Gleichstellung auf Respekt und Anerkennung unter Gleichen, nicht auf dem Return of Investment. Was da angedacht wird, ist ein volkswirtschaftlich vielleicht sinnvolles Privileg. Es geht dabei aber nicht um Gleichberechtigung, sondern bestenfalls um die Verdrängung einer Diskriminierung durch eine andere.