Eine dahindümpelnde Weltwirtschaft, Arbeitslosigkeit wie noch nie, ein krankes Ökosystem – Experten prognostizieren eine düstere Zukunft.
Wer sich heute in einer Buchhandlung bei den aktuellen Sachbüchern umschaut, den überfällt ein flaues Bauchgefühl: «Weltkrieg der Währungen» liest er da beispielsweise. Oder «Endgame», «Auf Crash-Kurs», «Das Ende des Geldes» und «Der grosse Umbruch», um nur ein paar völlig zufällig zusammengestellte Titel zu nennen. Auch wer in den Feuilletons der gehobenen Presse schmökert, wird nachdenklich.
Typisch für die Stimmung ist etwa folgende Passage aus einem «Magazin»-Interview mit Frank Schirrmacher. «In den nächsten Jahren werden wir Veränderungen in unserer Gesellschaft erleben, die mit Kriegsfolgen vergleichbar sind», erklärte der FAZ-Herausgeber, der zu den führenden Intellektuellen Deutschlands gehört. «Allein der demografische Wandel wird zu einer Schrumpfung der Bevölkerung in Deutschland führen, die sämtlichen Gefallenen des Ersten Weltkrieges entspricht. Und danach sieht es immer noch schrecklich aus. Ich will nicht von Verarmung sprechen, aber das Sozialsystem wird sicher zu erheblichen Verwerfungen führen. Alle Daten sprechen dafür, dass die Mittelschichten eher ärmer werden und dass sich viele total verrechnet haben. Das meine ich mit dem Wort Krieg.»
Ob Wissenschaftler oder Wirtschaftsführer, Intellektueller oder Manager, alle führen derzeit das Wort Krieg im Munde. So auch Jim Clifton, der Vorsitzende von Gallup. Unter seiner Leitung hat das renommierte Umfrageinstitut eine Art Sorgen-Index erarbeitet. Er listet auf, was Menschen rund um den Globus am meisten beschäftigt.
Für das Jahr 2011 ist das Resultat eindeutig: Überall auf der Welt steht der Wunsch nach einem «guten Job» an erster Stelle. Wenn man die aktuellen Zahlen des globalen Arbeitsmarktes betrachtet, ist dies nicht weiter verwunderlich: Von den sieben Milliarden Einwohnern auf dem Planeten Erde sind rund fünf Milliarden im erwerbsfähigen Alter. Drei Milliarden erklären bei der Gallup-Umfrage, sie wünschten sich einen «guten Job», wobei «guter Job» bedeutet: eine geregelte Wochenarbeitszeit von 30 Stunden und mehr. Doch weltweit gibt es derzeit bloss 1,2 Milliarden solcher «guten Jobs». Es fehlen mit anderen Worten 1,8 Milliarden. Was das bedeutet, fasst Clifton kurz und bündig wie folgt zusammen: «Der nächste Weltkrieg wird ein totaler, globaler Krieg um Arbeitsplätze sein.»
Der Westen ist der Verlierer
Dambisa Moyo, eine in Sambia geborene Ökonomin, wurde weltweit berühmt mit ihrer These, dass die Entwicklungshilfe in Afrika mehr Schaden als Nutzen anrichtet. Sie spricht in ihrem neuesten Buch «Der Untergang des Westens» nicht nur von einem Wirtschaftskrieg, sie kennt sogar schon den Sieger: «… vom heutigen Standpunkt aus sind die westlichen Länder die Verlierer und die Schwellenländer die Gewinner. (…) Der Wirtschaftskrieg scheint ausgefochten, es sei denn, der Westen ergreift drastische Massnahmen.»
Paul Gilding sieht einen Ökokrieg auf uns zukommen. Der ehemalige australische Studentenaktivist war einst einer der führenden Köpfe bei Greenpeace und schliesslich ein gern gesehener Gast bei hochdotierten Konferenzen wie dem WEF in Davos. Dort berät er die CEOs von führenden Konzernen und Politiker der mächtigsten Staaten in Umweltfragen. Seine jüngsten Ratschläge dürften den wenigsten gelegen kommen. «Wir steuern auf einen sozialen und ökonomischen Hurrikan zu, der riesigen Schaden verursachen wird, den grössten Teil der bestehenden Wirtschaft hinwegfegen und unsere Annahmen über die Zukunft zerstören wird», schreibt er in seinem Buch «The Great Disruption».
Der Grund für den «grossen Umbruch» ist die sich abzeichnende Ökokatastrophe. Wie die Finanzkrise ist für Gilding die Klimaerwärmung ein Zeichen der Überforderung des Systems. Auch die Natur spielt nicht mehr mit. Naturkatastrophen wie die Überschwemmungen in Pakistan und Thailand oder umgekehrt die Rekorddürren in Texas oder Russland sind mehr als Anzeichen dieser Überforderung. Für Gilding stellen sie den Anfang des «grossen Umbruchs» dar, denn: «Wir wissen mit einem hohen Grad von Gewissheit, wie sich ein System verhält, wenn es an seine Grenzen stösst.»
Ob Währungs- oder Wohlstandskrieg, ob Ökokrieg oder Krieg um Öl, ob Krieg um Jobs oder Krieg um irgendwas – die Welt ist offensichtlich aus den Fugen geraten. Gleichzeitig rechnet uns Steven Pinker, Psychologieprofessor an der Harvard University, vor und belegt es auch mit einer Fülle von Daten, dass die Menschheit noch nie so friedlich war wie im 21. Jahrhundert. Was nun?
Das Ende der Währung
Wenn wir die einzelnen Kriege näher betrachten, dann gibt es für jeden von ihnen triftige Gründe. Beispiel Währungskrieg: Seit dem Ausbruch der Wirtschaftskrise im Hebst 2008 haben die Notenbanken massiv neues Geld ins internationale Finanzsystem gepumpt. Sie konnten gar nicht anders, sonst wäre das System zusammengebrochen. Die massive Ausweitung der Geldmenge und die in Friedenszeiten einmalige Verschuldung von einzelnen Staaten verunsichert aber die Menschen zutiefst. Wie soll man dem Dollar noch trauen, wenn die US-Notenbank Geld druckt, als gäbe es kein Morgen – und gibt es morgen überhaupt noch einen Euro?
Vielleicht gehört die Zukunft ja der chinesischen Währung, von der derzeit aber die meisten von uns nicht einmal wissen, ob sie Yuan oder Renminbi heisst. Die These eines Währungskrieges erscheint in diesem Umfeld sehr plausibel, genauso plausibel wie die Angst vor einer Hyperinflation.
Verständlich ist auch die Angst vor einem neuen Wirtschaftskrieg und einem Krieg um Jobs. Die Globalisierung hat die Weltwirtschaft unglaublich effizient gemacht. Das ist schön für alle, die noch einen Arbeitsplatz und ein sicheres Einkommen haben. Sie werden mit immer billigeren und besseren Produkten überschwemmt. Aber immer weniger Menschen haben heute noch dieses Privileg. Die weit verbreitete Ansicht, es gäbe massenhaft Jobs für Facharbeiter, aber einen Mangel an richtig ausgebildeten Fachkräften, ist eine Mär.
Gerade in den alten Industriestaaten haben sich die Zustände auf dem Arbeitsmarkt massiv verschlechtert. In den USA lag die Arbeitslosigkeit zu Beginn des Jahres 2012 immer noch bei fast neun Prozent. Offiziell 14 und inoffiziell 25 Millionen Amerikanerinnen und Amerikaner waren auf der Suche nach Arbeit. Noch schlimmer ist die Situation auf dem alten Kontinent. In vielen europäischen Ländern liegt die Arbeitslosenquote bereits im zweistelligen Bereich. Besonders dramatisch ist dabei die Lage der Jugendlichen. In Italien und Spanien ist jeder Dritte, in Grossbritannien bald jeder Vierte im Alter zwischen 18 und 35 ohne Job. Und wer einen Job hat, hat meist keinen «guten». Das gilt selbst für Deutschland. So hat die «Financial Times Deutschland» gemeldet: «In vielen Branchen werden in Deutschland Gehälter deutlich unter den vereinbarten oder von Politik und Gewerkschaften geforderten Mindestlöhnen gezahlt. Nach Erhebungen des Statistischen Bundesamtes sind Minilöhne nicht mehr vor allem ein Merkmal des ostdeutschen Stellenmarktes.»
Kampf ums Ökosystem
Von allen Kriegen ist der Ökokrieg der offensichtlichste. Es braucht keine hochwissenschaftlichen Abhandlungen über ökologische Fussabdrücke, um einzusehen, dass es ein Ding der Unmöglichkeit ist, dass Milliarden von Menschen in Asien, Südafrika und Afrika dem gleichen Lebensstil frönen, wie wir das heute tun. Oder wer würde Paul Gilding widersprechen wollen, wenn er feststellt: «Wir werden eine wirtschaftliche und ökologische Krise haben, weil das Ökosystem der Erde die Belastung, die wir ihm auferlegen, schlicht nicht mehr aushalten kann. Wer die Augen offen hat, kann dies heute schon erkennen: Lebensmittelpreise explodieren, fruchtbare Erde und Wasser werden knapp usw. Mit anderen Worten: Die Klimaerwärmung ist da. Und das ist erst der Anfang. Wenn wir so weiterfahren, wird die Weltwirtschaft bis Mitte des Jahrhunderts drei- bis viermal grösser sein. Wie soll der Planet das verkraften?»
Dunkle Vorahnungen
1910 veröffentlichte der Brite Norman Angell ein Buch unter den Titel «The Great Illusion». Es enthielt eine einleuchtende These: In einer globalisierten Weltwirtschaft sei Krieg unsinnig geworden, argumentierte Angell. Nicht weil die Menschen friedlicher oder besser geworden wären, sondern weil ein solcher Krieg ökonomisch gesehen alle zu Verlierern machen würde. Kein vernünftiger Unternehmer oder Politiker könne deshalb ein Interesse an einem Krieg haben. Es gab kaum intellektuellen Widerspruch gegen diese Argumente, sie waren weder sachlich noch logisch anfechtbar. Trotzdem stürzte sich Europa 1914 in den Ersten Weltkrieg. Angells These wurde so auf deprimierende Art und Weise bestätigt.
Es gibt heute viele Parallelen zur Belle Epoque, der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg. Wie damals hat eine globalisierte Wirtschaft den Menschen einen bisher unbekannten Wohlstand beschert, aber auch gleichzeitig das Gefühl, dass alles irgendwie aus dem Ruder laufe. Hinter all den Kriegsmetaphern steckt letztlich die Erkenntnis oder zumindest das dumpfe Bauchgefühl, dass die Systeme allmählich an ihre Grenzen gelangen, sei es das Finanzsystem, die globalisierte Wirtschaft, die Arbeitsmärkte oder das Ökosystem. Wir wissen oder ahnen zumindest, dass wir nicht unendlich Geld drucken können, dass es absurd ist, bei einer Jugendarbeitslosigkeit von bald 50 Prozent das Rentenalter zu erhöhen, und dass die Grenzen des Wachstums erreicht sind. Wir wissen auch, dass ein richtiger Krieg kein Rezept gegen Währungskrieg, Wirtschaftskrieg oder Ökokrieg sein kann. Was wir noch nicht wissen ist, wie wir eine Wiederholung des Schicksals von Norman Angell verhindern können.
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 02.03.12