Die ganze Schweiz spendete in den 1960er-Jahren für Kinder in Biafra. Plötzlich die Frage: Kommt das Geld auch an? Medienschaffende sollten es vor Ort klären.
Der Fotograf kann sich auf den Standpunkt stellen, dass er einfach festhält, was seine Kamera sieht. Und diese sieht in diesem Fall afrikanische Kinder (ziemlich viele), die verpflegt werden müssen. Wir sehen die Gefässe in den Kinderhänden. Wir sehen auch einen mächtigen weissen Mann (ganz in Weiss) mit anordnendem Gestus und zwischen den Kindern noch ein paar Helfer, einen mit einem Stecken in der Hand. Hinzu kommt etwas Hintergrund, der uns zeigt: Wir sind im Urwald.
Das Weitere muss eine Bildlegende leisten. Diese könnte lauten: «Irische Missionare sorgen 1969 in Biafra dafür, dass Kinder nicht verhungern.» Biafra? Das ist ein nigerianischer Teilstaat, und wenn man alt genug ist, erinnert man sich, dass da mal was los war. Das heisst: Das mehrheitlich christliche (katholische) und mit wertvollen Bodenschätzen ausgestattete Gebiet wollte sich, nachdem ein Putsch gescheitert war, vom mehrheitlich muslimischen Nigeria lossagen und wurde dann auch – vorübergehend – von viereinhalb der rund 190 Staaten als eigenes Gebilde anerkannt.
Das ging nicht ohne einen Krieg mit ein bis zwei Millionen Toten in dreissig Monaten (1967 bis 1970) und mit einer effektiven Hungerblockade eben gegen Biafra. Ein grosser Stammeskrieg, Bürgerkrieg, Sezessionskrieg, Krieg um Rohstoffe und ein Religionskrieg – und dazu unsere Anteilnahme.
In der Schweiz war man für Biafra und man sammelte für Biafra. Die katholische Hilfsorganisation Caritas war führend. Aber auch die Migros und die «National-Zeitung» (für die Kurt Wyss unterwegs war) sammelten. Doch plötzlich war man nicht mehr sicher, ob mit den Geldern nicht Waffen statt Nahrung gekauft wurden. Darum eine Überprüfung vor Ort, und so reisten schweizerische Medienschaffende über eine Luftbrücke ins Kampf- und Krisengebiet. Und so entstand unter anderem das Bild dieser «feeding station».
Ein parteiisches Bild? Das Bild zeigt gleichsam nur sich selbst. Es wären auch andere Bilder möglich gewesen, und es gab diese auch: etwa lachende Kinder beim Baden im Fluss. Ein solches lag aber quer zum Klischee des «engagierten Reporters», der doch das Elend der Welt in die Wohnstube zu liefern hatte.
Ein Konflikt wie derjenige in Biafra (oder in Darfur, Syrien, Afghanistan, Libyen, Ägypten, in der Elfenbeinküste, Tschetschenien, Georgien, Palästina, im Kosovo etc.) lässt sich nicht in einem einzigen Bild zeigen. Und dennoch kann das einzelne Bild eine gültige Wahrheit einfangen. Hier: In Kriegen sind die Kinder die fragilsten Opfer. Darum musste speziell sichergestellt werden, dass das Essen (ein Stockfischeintopf) seine Destination erreichte.
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 02.03.12