Skrupelloser Handel mit «Spielzeugen an der Leine»

Zwerghunde sind im Trend. Die Schattenseite dabei: Viele dieser kleinen Hunde stammen aus Osteuropa, wo sie unter widrigen Bedingungen gezüchtet wurden.

Zwerghunde sind vor allem bei jungen Frauen beliebt. Was viele nicht wisssen: Die Tiere stammen oft aus dem Ausland und haben einen langen Leidensweg hinter sich. (Bild: Foto: Hans-Jörg Walter)

Es ist ein Leichtes, im Internet einen Hund zu kaufen. Bei den Anbietern handelt es sich jedoch oft um dubiose Händler aus dem Osten – und viele Tiere werden unter erbärmlichen Umständen gezüchtet. Von Martina Rutschmann

Was für Augen! Der auf einem flauschigen Hundekissen liegende Chihuahua-Welpe stammt aus einer privaten Schweizer Zucht und lebt in einer ­Familie. Coco ist mehrfach entwurmt, kerngesund und freut sich auf ein liebevolles Zuhause. So steht es im Inserat im Internet. Der Betrachter muss dem Hundeblick nur noch ganz erliegen – und die Sache ist geritzt. Ein Anruf auf die angegebene Handynummer, ein rascher Übergabetermin, und Coco steht ein fröhliches Hundeleben bevor.

Doch Coco ist vermutlich schwer krank, wie viele Hunde, die auf diesem Weg verkauft werden. Mit seinen Kulleraugen dürfte er noch nie einen Futternapf oder eine Familie gesehen haben. Und für das Online-Inserat hat der angebliche Züchter Coco wahrscheinlich rasch aus einem Haufen anderer Welpen gehoben und für die Fotografie ins beste Licht ­gestellt.

Dem Tierschutz sind viele solcher Fälle bekannt: Die angebotenen Welpen leben meistens in Räumen ohne Fenster – Tausende Kilometer von der Schweiz entfernt in einem Land in Osteuropa, wo ehemalige Landwirte nach einem Leben mit Schweinen und Kühen ihr Glück nun mit der Produktion von Zwerghunden für den Westen versuchen. Produktion ist das richtige Wort: Es geht um eine Ware und um Geld. Um viel Geld – für die Händler.

Die Zahl der in Basel-Stadt angemeldeten Chihuahuas hat sich in den vergangenen zehn Jahren vervierfacht. Sie sind die Stars unter den Zwerghunden – und häufig sind sie für deren oft junge Besitzerinnen «Spielzeuge an der Leine», sagt Tierärztin Julika ­Fitzi. Als Hundefachfrau des Schweizerischen Tierschutzes befasst sie sich mit dem skrupellosen Hundehandel aus dem europäischen Osten. Und weiss: «Es ist schwierig, gegen die Hintermänner vorzu­gehen.» Sie verstehen es, trotz grausamem Vorgehen eine weisse Weste zu behalten.

Geheime Verkaufstreffen auf Rastplätzen

Dieses Vorgehen ist kurz erzählt: Der «Produzent» übergibt die Welpen wenige Wochen nach deren ­Geburt einem Händler – und trennt sie damit viel zu früh von der Mutter. Der Händler steckt sie in einen Lieferwagen und fährt zum Zielort. Dort lädt er zwei, drei «Exemplare» in ein Auto und trifft sich mit dem Käufer. In der Region Basel finden diese Treffen etwa auf Rastplätzen bei Lörrach oder Weil oder an anderen belebten Orten nahe der Grenze statt. Einer der zur Auswahl stehenden Hunde wird übergeben und das Geld – 200 bis 500 Euro pro Tier – kassiert.

Der Besitzer wird in der Regel mit einer Quittung, ­einem Impfausweis und der Bestätigung, dass der Hund ­gechipt wurde, ausgestattet. Ist der Käufer ehrlich, verzollt er seine Errungenschaft auch noch – so hat er legal ein Tier gekauft und in die Schweiz eingeführt. Von Schmuggel kann keine Rede sein. Aber: «Der Käufer unterstützt eine mafiöse Organisation, wenn oft auch nicht bewusst», sagt Fitzi. Verlierer bei diesem Geschäft sind Käufer und Hunde. Denn die Tiere sind oft stark geschwächt und krank; viele sterben wenige Tage nach der Übergabe. Der Käufer ist traurig und merkt, dass er über den Tisch gezogen wurde, rechtlich aber keine Handhabe hat.

Thomas Höller, einer der grössten Chihuahua-Züchter der Schweiz, will diesem Treiben einen Riegel schieben. Auf der eigens dafür eingerichteten Website ­chi­huahuas.ch warnt er vor dubiosen Händlern aus dem Osten. «Seriöse Züchter verkaufen keine Hunde auf Raststätten!», steht da etwa. Als anerkannter Züchter ist er indirekt mit dem Problem konfrontiert: «Wir erhalten im Schnitt zwei Anfragen pro Tag, unsere Hunde werfen aber höchstens fünf Mal im Jahr.» Aus­serdem bekäme nicht jeder einen Hund von ihm. «Teenagern oder Familien mit Kleinkindern verkaufen wir normalerweise keine Welpen.»

Da sei es klar, dass Interessierte andersweitig nach Hunden suchten – und auf den kostenlosen Inserateseiten landeten, auf denen Welpen wie Coco angeboten werden. «Die Leute haben oft keine Geduld und wollen sofort einen Hund», sagt Höller. Zudem seien Welpen aus dem Osten billiger als Schweizer Zuchthunde. Bis zu 2500 Franken kosten diese – im Preis inbegriffen ist jedoch die Garantie, dass der Hund artgerecht gehalten wurde, sozial nicht gestört und gesund ist.

Verkauf von Zwerghunden boomt

In Basel begegnet man inzwischen an fast jeder ­Strassenecke einem Zwerghund. Am anderen Ende der Leine stöckeln oft gestylte junge Frauen durch die   ­Gassen mit ihrem Hündchen, das auch Accessoire ist. Die Vermutung liegt nahe, dass viele dieser kleinen Hunde nicht angemeldet wurden – weder am Zoll, noch später beim Veterinäramt.

Wie viele Hunde an der Grenze Basel verzollt werden, wird dort nicht erfasst. Sechs Fälle von Hundeschmuggel wurden im vergangenen Jahr aufgedeckt. Die Hundesteuer in der Stadt Basel beträgt 160 Franken pro Tier – das mag für einzelne Halter viel sein, die Statistik des Veterinäramts lässt aber darauf schlies-sen, dass es unter den Zwerghundehaltern viele ehr­liche Bürger gibt: Der Mops etwa, vor zehn Jahren ziemlich out, macht heute zwei Prozent der knapp 5000 registrierten Hunde im Kanton aus. Auch der Rehpinscher und die französische Bulldogge holen auf. Spitzenreiter ist aber der Chihuahua.

Solange der Trend zum Zwerghund anhält, lohnt sich das skrupellose Geschäft für die Händler aus dem Osten. Und solange man sie nicht vor Gericht stellen kann, werden sie kaum damit aufhören. Bald könnte das Geschäft aber erschwert werden: Im Tier­seuchengesetz soll das Hausieren mit Hunden ver­boten werden. Im Dezember wird der Nationalrat ­da­rüber beraten – geht alles gut, tritt das Gesetz 2013 in Kraft. Welpen wie Coco nützt das allerdings wenig, denn das Gesetz greift nur bei Händlern, welche die Tiere in der Schweiz verkaufen. Da bleiben nur die warnenden Worte des Tierschutzes: Augen auf beim Hundekauf!

Quellen

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 25/11/11

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