«Sorry für alli die, wo gärn gschpiilt hätte» – Die unrühmliche Rolle der Basler Medien

Die Chemiekatastrophe von Schweizerhalle vor 30 Jahren warf nicht nur ein Schlaglicht auf eine desaströse Informationspolitik, sondern auch auf die Berichterstattung. Basler Medien wurden von den «Ereignissen» zum Teil überrannt – oder sie bagatellisierten diese ewig.

In der Brandnacht von Schweizerhalle wurde auch ein Stück Mediengeschichte geschrieben.

(Bild: Silvio Mettler / Bildbearbeitung: Hans-Jörg Walter)

Die Chemiekatastrophe von Schweizerhalle vor 30 Jahren warf nicht nur ein Schlaglicht auf eine desaströse Informationspolitik, sondern auch auf die Berichterstattung. Basler Medien wurden von den «Ereignissen» zum Teil überrannt – oder sie bagatellisierten diese ewig.

Jeder, der die folgenschwere Brandnacht in Schweizerhalle vor 30 Jahren miterlebt hat, weiss noch, wie, wo und wann ihm der Schreck in die Knochen gefahren ist. Entweder bereits in der Nacht selber, wenn man in der Stadt trotz Ausfall der Alarmsirenen aufwachte und mitbekam, wie die Polizei über Lautsprecherwagen dazu aufforderte, Fenster und Türen zu schliessen. Oder aber am Morgen danach, als einen der widerliche Gestank in der Luft ins Gesicht schlug. 

Schweizerhalle war ein Schrecken mit einem nicht so raschen Ende. Das wusste man ein paar Tage danach, als sich die «ökologische Katastrophe» abzeichnete, «die das Leben im ganzen Rhein stromabwärts für viele Jahre schwer schädigte» (Zitat: Bundesamt für Gesundheit). Auch gewisse Basler Medien bekundeten damals Mühe, die möglichen Folgen richtig einzuschätzen oder zumindest kritische Fragezeichen zu setzen. Schweizerhalle war somit auch eine Lehrstunde für die Medien.

Sternstunde für die Lokalradios

Online-Medien gab es vor 30 Jahren natürlich noch nicht. So wurde die Nacht auf den 1. November 1986, zumindest was die Verbreitung aktueller Informationen angeht, zur Sternstunde der Lokalradios. Diese mussten den Spagat zwischen Sprachrohr der Behörden und unabhängigem Informationsmedium vollziehen. Ganz ohne Pannen ging das nicht.

Ein Blick zurück:

Kurz nach 1 Uhr in der Früh vermeldet der «Nachtvogel»-Moderator von «Radio Basilisk»: «In dr Sandoz Schwizerhalle, hänn mir mitteilt kriegt, gitts schynts e Schwelbrand.» Was ihn aber nicht sonderlich zu beunruhigen schien, denn im Vordergrund lag noch der dritte Geburtstag des Lokalradios und: «No e paar Takt Musik, denn lege mir los mit de Spiili.»

Dazu kam es dann aber nicht. Bald darauf meldete die Reporterin Cathy Flaviano live vor Ort: «Es gseht dramatisch us.» Kurz darauf folgte die Umschreibung: «Wie nach eme Bombeabwurf.» Der Moderator stellte das Programm um: «Sorry für alli die, wo gärn gschpiilt hätte.»

Vielstimmiges Hörstück von Lukas Holliger

Diese und viele weitere Originale aus dieser geschichtsträchtigen Nacht und den darauf folgenden Tagen hat der Basler Autor Lukas Holliger für sein Hörstück «Falscher Alarm» zusammengetragen, das von Radio SRF produziert und vom Christoph Merian Verlag als überaus hörenswertes Hörbuch veröffentlicht wurde.

Nicht nachhören, sondern nachlesen kann man, was die «Basler Zeitung» damals schrieb. Als Printprodukt versuchte die BaZ damals, mit einem Extrablatt, das am Samstag, 1. November, in der Stadt verteilt wurde, aktuell zu bleiben. Und das möglichst, ohne chemiekritisch zu werden. Ein bedenkliches Unterfangen.

«Als Brandfall erledigt»

«Trotz allem noch einmal glimpflich davongekommen», hiess es im Extrablatt. Und: «Die ekelerregenden Gase, die beim Feuer in der Lagerhalle 956 entstanden, erwiesen sich glücklicherweise als ungiftig.»

Diese Einschätzung liesse sich noch als Ausrutscher in der Hetze des publizistischen Gefechts verbuchen. Nicht aber, was die BaZ in ihrer regulären Montagsausgabe vom 3. November folgen liess, als bereits tote Fische ans Rheinufer geschwemmt wurden. «Chemie-Grossbrand in Schweizerhalle noch glimpflich abgelaufen», lautete die Schlagzeile auf Seite 1. Und im Tageskommentar kam der damalige Chefredaktor Hans-Peter Platz zum Schluss:

«Mit der Entwarnung im Morgengrauen des 1. November wurde die Bevölkerung der Region aus Alptraum und Ernstfall entlassen. Die Katastrophe von Schweizerhalle konnte als Brandfall erledigt werden.»

Diese und weitere Berichte in der «Basler Zeitung» lösten über die desolate Informationspolitik des verantwortlichen Chemiekonzerns Sandoz hinaus eine Welle der Empörung aus. Selbst das alles andere als chemiefeindliche Kommunikations-Branchenblatt «persönlich» bemerkte am 11. November 1986:

«In ersten Berichten reagierte die Basler Presse, vorab die marktbeherrschende ‹Basler Zeitung› gegenüber der Chemie und der betroffenen Sandoz AG noch gewohnt wohlwollend. (…) Noch am Unfalltag beeilte sich der Chefredaktor Hans-Peter Platz die Normalität wiederherzustellen.»

Um einiges harscher ging damals der Schriftsteller Guido Bachmann (1940–2003) mit der BaZ ins Gericht. In einer Brandrede verglich er Platz und seine Redaktion mit dem berühmten Hündchen, das in den Trichter der Lügenbarone der chemischen Industrie belle (im sehenswerten Video ab min. 2:56).

Guido Bachmann über die «Basler Zeitung»: «Das Hündchen das in den Trichter bellt.»

Guido Bachmann über die «Basler Zeitung»: «Das Hündchen das in den Trichter bellt.» (Bild: Screenshot: «Der Rest ist Risiko» von Sus Zwick (Videogenossenschaft Basel))

Später, als sich die mangelhafte Informationspolitik der Sandoz als immer verheerender offenbarte, konnte auch die BaZ nicht mehr an ihrem chemiefreundlichen Kurs festhalten.

Info-Chaos: Schulfrei oder nicht?

«Radio Basilisk» reihte am 1. November währenddessen Information an Information und war dabei natürlich auf die Behörden angewiesen, die das Lokalradio fütterten. Dass zumindest in Basel-Stadt damals die eine Hand nicht wusste, was die andere tat, zeigte sich am Beispiel der Verlautbarungen, ob die Schulen in Basel-Stadt nun geschlossen bleiben oder nicht.

Zuerst hiess es, dass die Schule ausfalle. Dann aber folgte die offizielle Entwarnung. Und ein Sprecher des kantonalen Krisenstabs verkündete über «Radio Basilisk», dass der Unterricht am 1. November (damals war der Samstag noch nicht schulfrei) stattfinde. Der damalige «Basilisk»-Chefredaktor Urs Hobi bemerkte dazu, «dass d Schüelerinnen und d Schüeler sich zfrüeh uff e freye Daag gfreut hänn».

Erziehungsdirektor Striebel als Info-Opfer

Auch dieser Entscheid sorgte für grosse Empörung in der Bevölkerung. Als Sündenbock musste der damalige Erziehungsdirektor und Regierungspräsident Hans-Rudolf Striebel herhalten, der nach dem Vorpreschen des Krisenstabs nicht mehr den Mut aufbrachte, den verkündeten Entscheid zu widerrufen. In einer offiziellen «Erklärung» teilte Striebel über die Medien mit:

«Im Spiegelhof drückte ich mein Bedauern über die vorschnelle Information aus, liess mich aber auch dahin unterrichten, dass der Schulbesuch völlig unbedenklich sei und ein Widerruf sich eher ungünstig auswirken werde, weil dadurch die Bevölkerung verunsichert und unnötige Angst geschürt werde.»

Also bestätigte er über Radio Basilisk: «Hütt am Morge göhn d Schüeler in d Schuel.» Eine Aussage, die Striebels Ruf als Regierungsrat bis zu seinem Rücktritt 1995 trübte.
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Im Neuen Theater Dornach wird als Koproduktion mit Matterhorn Produktionen das Theaterprojekt «Am Feuer» von Lukas Holliger uraufgeführt. Vorstellungen am 1., 4., 6., 12. November sowie am 8. November im Kosmos Basel.

Viele weitere Informationen zur Chemiekatastrophe in Schweizerhalle in unserem Dossier zum 25. Jahrestag 2011.

Viele weitere Informationen zur Chemiekatastrophe in Schweizerhalle in unserem Dossier zum 25. Jahrestag 2011.

  

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