Souverän. Aber unvollständig

Rechtlich wohl in Ordnung, moralisch mindestens zweifelhaft – Philipp Hildebrand beantwortete in Zürich viele Fragen. Aber nicht alle.

Viele Fragen beantwortet, aber nicht alle. Philipp Hildebrand, Präsident der Nationalbank. (Bild: Michael Würtenberg)

Rechtlich wohl in Ordnung, moralisch mindestens zweifelhaft – Philipp Hildebrand beantwortete in Zürich viele Fragen. Aber nicht alle.

Spannend wurde es, als der leicht bucklige Nationalbank-Angestellte die hellbraun getäferte Tür hinter Philipp Hildebrand geschlossen hatte. Als sich die Moderatoren der ungezählten Live-Streams und Fernsehübertragungen von ihren Zuschauern verabschiedeten und die Journalistinnen und Journalistinnen (darunter beinahe sämtliche Chefredaktoren der Schweiz) sich aus dem kleinen Raum drängen wollten.

Mitten im Gang, noch vor der eindrücklichen Kamerawand, standen jene drei Journalisten, auf deren Fragen eigentlich alle gewartet hatten. Roger Köppel, Chef der «Weltwoche», Inlandchef Philipp Gut und Bundeshausredaktor Urs Paul Engeler standen eng beieinander, blockierten den Gang und wurden von allen Seiten angeredet. «Gebt es zu», sagte Kaspar Surber von der WOZ und schaute dabei Gut eindringlich an, «mit dieser Geschichte seid ihr einer Ente aufgesessen.» Gut schüttelte den Kopf, Surber setzte nach, es wurde kurz laut im Gespräch dieser zwei Politjournalisten, die bei den politisch wohl unterschiedlichsten Wochenpublikationen der Schweiz arbeiten.

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Mit «dieser Geschichte» meinte Surber die Berichterstattung und Kommentierung von Köppel, Gut und Engeler zur Causa Hildebrand in der aktuellen «Weltwoche». Nicht Kashya Hildebrand habe die fragliche Dollar-Transaktion getätigt, sondern Hildebrand selber, schrieben die drei und präsentierten als Quelle eine schriftliche Bestätigung eines «Gewährsmanns». Nicht ein IT-Berater sei der Whistleblower aus der Bank Sarasin, sondern der persönliche Kundenberater von Hildebrand. Der Nationalbankpräsident müsse darum sofort (am besten gemeinsam mit dem halben Bundesrat) zurücktreten und sei ein «Gauner».

Darum wäre es eben schon spannend gewesen, mindestens die Reaktion von Hildebrand auf eine Frage der drei zu beobachten. Zum Schluss der Medienorientierung streckten Köppel und Engeler denn auch die Hände in die Luft – wurden aber nicht mehr drangenommen.

Viel Erhellendes hätten sie wohl aber auch nicht mehr aus Hildebrand herausgebracht. Zwei der Vorwürfe der «Weltwoche» konterte er während der Fragerunde direkt. Zum einen gebe es eine Auftrags-E-Mail, die seine Frau aus ihrer Galerie heraus an ihren Kundenberater geschickt habe und zum anderen war es laut Hildebrand der IT-Berater, der mit einem per Handy oder Fotoapparat fotografierten «Screenshot» (technisch war die Erklärung etwas wirr) die Daten zuerst Anwalt Hermann Lei aus Weinfelden und schliesslich an SVP-Nationalrat Christoph Blocher weitergeleitet habe.

«Fehler gemacht»

Und nun zum Wesentlichen. Auf die kürzeste Formel gebracht, erklärte Hildebrand in Zürich Folgendes: Zwar sei die Dollar-Transaktion ein Fehler gewesen, aber in rechtlicher Hinsicht habe er sich nichts vorzuwerfen. Darum, und solange er die Unterstützung des Bankrats und des Bundesrats spüre, sei auch ein Rücktritt kein Thema. Ein Insider-Geschäft sei die Dollar-Transaktion nicht gewesen, seine Frau habe keine Kenntnis vom Entscheid der Nationalbank gehabt, die Euro-Untergrenze festzusetzen. Hildebrand erfuhr nach eigenen Angaben erst am Morgen danach vom Dollar-Auftrag und wies dann den Kundenberater an, in Zukunft solche Transaktionen nur noch mit seiner Zustimmung durchzuführen. Den Währungsgewinn in der Höhe von 75’000 Franken spendete er der Berghilfe. «Rückblickend gesehen hätte ich die gesamte Transaktion sofort rückgängig machen sollen. Das war ein Fehler.»

Die starke Persönlichkeit

Wie es so weit kommen konnte? Es war der menschlichste Augenblick dieser Veranstaltung. «Wie soll ich sagen…», sagte Hildebrand und brach wieder ab. «Meine Frau ist … eine starke Persönlichkeit.» Immer wieder sei der tiefe Dollarkurs zuhause ein Thema gewesen, seine Frau sei sehr interessiert an ökonomischen Zusammenhängen, die «Financial Times» die erste Zeitung am Morgen von beiden. Es war seltsam berührend, als Hildebrand diesen Einblick in sein Privatleben gab. In ein Privatleben, das für die Mehrheit der Schweizerinnen und Schweizer nicht fassbar, nicht zu verstehen ist. Ein Privatleben, in dem nicht nur Boote und Ferienwohnungen gekauft werden, sondern auch die elfjährige Tochter heute auf einem Konto schon so viel Geld besitzt, wie die meisten normalen Menschen in ihrem ganzen Leben nicht zusammensparen können. Hildebrand konnte nicht wirklich schlüssig erklären, warum eine Familie mit einem solchen Einkommen noch Währungsspekulationen nötig hat. Ausser vielleicht: weil man es halt kann.

Souverän

Abgesehen davon war es aber ein souveräner Auftritt von Hildebrand. Müde wirkte er zuerst, die Augen etwas schlierig. Aber je länger der Auftritt dauerte, desto sicherer bewegte sich Hildebrand. Er traf den Ton: getragen zu Beginn, etwas hilflos als er über seine Frau sprach, und entschlossen, als es um seinen Widersacher Christoph Blocher ging. Er nannte ihn nicht beim Namen, wich auf «Kreise» aus, die mit ihrem bewussten Bruch des Bankgeheimnisses die Interessen der Schweiz schädigen würden. Auch das Wort «Weltwoche» nahm er nicht in den Mund. Er werde sicher nicht einzelne Medientexte kommentieren, sagte er mehr als einmal und prüfe nun in aller Ruhe, ob und was er für rechtliche Schritte ergreifen werde.

Und dennoch. Trotz des souveränen Auftritts (sein Französisch ist hörenswert), trotz der Lacher, die er mit den Bemerkungen zu seiner Frau erhielt, trotz der Beteuerungen, die internen Richtlinien über die Bankgeschäfte der Nationalbank-Mitarbeiter zu überarbeiten. Trotz alledem blieben Fragen offen. Unklar bleiben etwa seine Aktien-Geschäfte, unklar bleibt, warum er den Hausverkauf im Berner Oberland zu Beginn des Jahres 2011 mit dem Kauf der Ferienwohnung in Graubünden am Ende des Jahres aufrechnet und das Dazwischen auslässt. Unklar bleibt letztlich auch die moralische Frage – die sprach er zwar an. Aber er beantwortete sie nicht.

 

Der Blocher-Aspekt

Zwei Dinge sollen an dieser Stelle noch der Vollständigkeit halber gesagt werden: Nachdem es im Verlauf der Woche so ausgesehen hatte, als ob die Übergabe der Daten durch Christoph Blocher nur ein Nebenschauplatz gewesen waren, präsentiert sich die Lage nach der Erklärung von Hildebrand wieder neu. Während der Medienorientierung wurde Hermann Lei von Bankratspräsident Hansueli Raggenbass als eigentlicher Überbringer der Bankdaten geoutet. Lei ist SVP-Kantonsrat im Kanton Thurgau und hat sich auf seinem Blog deutlich zur Nationalbank geäussert: Diese treibe die Schweiz mit ihrer fatalen Politik in die EU. Ein deutlicher Hinweis auf die politische Motivation zur Weitergabe der Daten an Blocher und schliesslich an den Bundesrat. Zur Enthüllung durch Raggenbass will sich Lei nun nicht mehr äussern. Ebenfalls auf seinem Blog hat er folgende Erklärung online geschaltet: «Geschätzte Pressevertreter, Ich möchte die Anfragen nicht beantworten und bitte um Verständnis. Ich bin auch nicht der Anwalt des Whistleblowers.» Im Gegensatz zu Lei hat sich Blocher vernehmen lassen. In einem Interview mit Tele Züri fordert der SVP-Nationalrat eine Parlamentarische Untersuchungskommission (PUK).

 


Artikelgeschichte

Da ist was durcheinander geraten: Der «Griff ins Klo» stammt von Constantin Seibt (und zwar von hier), Kaspar Surber sagte zu Philipp Gut, die Weltwoche sei einer Ente aufgesessen.

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