Sozialdetektive: Stümper am Werk?

Die Politik hat lange gestritten, wie weit Versicherungsspione in Zukunft gehen dürfen. Das Resultat: sehr weit. Doch was ist das eigentlich für ein Beruf, Detektiv? Wir haben nachgefragt – und wurden verblüfft. So diffizil das Metier, so einfach der Weg dahin.

Job mit geringen Anforderungen: Fast jeder kann Privatdetektiv werden. 

Privatdetektiv werden ist nicht schwer. Nicht viel schwerer, als Mieterin einer Wohnung zu werden. Man braucht nur:

  • ein sauberes Betreibungsregister,
  • einen sauberen Strafrechtsauszug sowie
  • einen Versicherungsnachweis für die Tätigkeit als Detektiv.

Hat man das alles schön beisammen, erhält man vom Kanton Basel-Stadt eine «Bewilligung zur Ausübung von privaten Sicherheitsaufgaben», wie Toprak Yerguz, Sprecher des Justiz- und Polizeidepartements, bestätigt. Es ist dieselbe Arbeitsbewilligung, wie sie auch private Sicherheitsleute haben.

Merke: Für den, der etwa für die Invaliden- oder die Unfallversicherung Menschen ausspioniert, gelten also dieselben Kriterien wie für einen Securitas-Mann, der im Nachtclub freche Trunkenbolde zur Räson bringt.

Kann das sein? Es kann. Zumindest bislang: So bestätigt etwa die Unfallversicherung Suva, in der Vergangenheit Observationen durch Privatdetektive veranlasst zu haben. Die Schadensversicherung Mobiliar und die Krankenkasse Sympany sprechen von «externen Dienstleistern» oder «spezialisierten Unternehmen».

Teleobjektiv, GPS-Tracker und Drohnen

Das ging bekanntlich bis ins Jahr 2016 so, als der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte das Spionieren stoppte, weil die gesetzliche Grundlage fehlte. Doch die Versicherungen zauderten nicht lange. Sie motivierten das Parlament in Windeseile, ein neues Gesetz vorzubereiten, um wieder Privatdetektive auf die Leistungsbezüger loslassen zu können. Dagegen sammeln nun Aktivistinnen um die Autorin Sibylle Berg Unterschriften für ein Referendum.

Aus ihrer Sicht gefährdet das neue Sozialversicherungsgesetz die Grundrechte. Kommt es durch, dürfen die Schnüffler und Schnüfflerinnen nämlich herumspionieren wie noch nie: Ohne erhärteten Verdacht sollen sie Privaträume ausspähen und Balkone observieren, mit richterlichem Beschluss sogar GPS-Tracker und Drohnen einsetzen können.

Das dürfen nicht mal Polizisten. Dafür weiss man bei den Beamten, was man kriegt: Wer in Basel die Polizeischule besuchen möchte, muss einen höheren Schulabschluss oder eine drei- bis vierjährige Lehre abgeschlossen haben und eine Eignungsprüfung bestehen. Die Polizeiausbildung selber dauert nochmals drei bis vier Jahre.

«Die bisherigen Kriterien sind lachhaft»

Wie soll das mit den Turbo-Sozialdetektiven in Zukunft geregelt werden? Können etwa Versicherungen weiterhin Privatdetektive ohne irgendeine Ausbildung anstellen, um die Klientinnen und Klienten in ihren Stuben und Schlafzimmern auszuspionieren?

Denkbar wärs. Das Parlament fand die Frage, welche Kompetenzen so eine Versicherungsspionin mitbringen muss, offensichtlich nicht so wichtig. Im neuen Gesetz steht nur: «Der Bundesrat regelt die Anforderungen an die Spezialisten, die mit der Observation beauftragt werden.»

Dabei wäre eine Qualitätskontrolle bei Sozialdetektiven dringend nötig. Das sehen sogar Privatdetektive selber so. Fritz Nyffeler von der Detektei Nyffeler in Basel arbeitet seit 50 Jahren als Privat- und Sozialdetektiv. Seit 2000 präsidiert er zudem den Fachverband Schweizerischer Privatdetektive (FSPD). Er sagt: «Die bisherigen Kriterien sind lachhaft.»

Bislang gibt es kein Gesetz, das Rechte und Pflichten regelt. Ein Konkordat zur Vereinheitlichung in der Deutschschweiz ist gescheitert, die Arbeitsbewilligung wird von Kanton zu Kanton unterschiedlich erteilt.  Während ein Privatdetektiv in Basel-Stadt keine Ausbildung braucht, verlangt Baselland immerhin eine «theoretische Grundausbildung für private Sicherheitsangestellte». Wie die aussieht, liegt allerdings in der Verantwortung der Unternehmen selbst.

Das führt zu einem undurchsichtigen Angebot an Selbststudium-Kürsli im Internet. Die Schweizer Agenten-Organisation (SAO) bietet zum Beispiel ein (je nach Zeiteinteilung) zwei- bis zwölfmonatiges autodidaktisches Selbststudium mit anschliessendem 16-tägigem Praktikum und schriftlicher und praktischer Abschlussprüfung. Kostenpunkt: 2900 Franken. Und wer weitere 1600 Franken hinblättert, darf sich gemäss SAO Sozialdetektiv nennen.

Ein Reporter des «Beobachters» hat einmal für einen Selbstversuch einen solchen Anfängerkurs besucht. Er ist vor allem rumgestanden. Selbst Privatdetektiv Fritz Nyffeler kritisiert: «Oft sind die Detektivausbildungen nichts wert.»

Falsche Angaben

Die fehlende Regulierung hat Folgen: Es gibt zwielichtige Gestalten unter den Privatdetektiven. Fritz Nyffeler geht nach eigenen Angaben sorgfältig vor: «Ich arbeite nach dem Gesetz. Wir Detektive haben nicht mehr Rechte als jeder andere Bürger.» Allerdings gelte das nicht für jeden Privatdetektiv, es gebe immer wieder solche, die ihre Kunden abzockten. «Sie tun nichts und verrechnen trotzdem ein Honorar.» Nyffeler erhält häufig Anrufe von geprellten Kunden.

Auch bei Sozialversicherungen kam es immer wieder zu stümperhaften Überwachungen. Der «Beobachter» berichtete etwa im Jahr 2013 über einen Fall der Axa Winterthur. Die Unfallversicherung liess eine junge Mutter wegen eines Betrugsverdachts überwachen. Ihr rechter Arm war verletzt, weshalb sie eine Rente erhielt.

Doch der Bericht des Detektives war widersprüchlich. Seine Aussagen deckten sich nicht mit seinen Bildaufnahmen – und der Realität. So berichtete der Privatdetektiv, die Frau fahre ein Auto mit Schaltknüppel und benutze die rechte Hand zum Gangwechseln – obwohl sie einen Automat besass. Ausserdem sagte der Detektiv, die Mutter trage ihr Kind immer wieder auf dem verletzten rechten Arm – obwohl die Frau ihr Kind auf den Videoaufnahmen ausschliesslich auf dem gesunden linken Arm hatte.

Auch nach diesem Fall veranlasste die Axa Winterthur bis zum Entscheid des Gerichtshofs für Menschenrechte weitere Observationen. Sie beschäftigte einerseits eigene «Spezialisten», gab aber auch Aufträge an «externe Partner», die sie nach eigenen Angaben «sorgfältig auswähle, instruiere und begleite». Auch andere Versicherungen beauftragten Privatdetektive, nahmen sie nach eigenen Angaben aber genau unter die Lupe.

Zum Beispiel die Mobiliar. Bruno Sommer ist Leiter Missbrauchsbekämpfung des XpertCenter, einer Tochter der Mobiliar, die «ausgewählte Partner», unter anderem auch die IV Basel-Stadt, in der Missbrauchsbekämpfung berät. Sommer sagt: «Alle Privatdetektive, die wir beauftragen, sind ehemalige Polizisten.» Das sei ein Qualitätsmerkmal.

Die Brauchbarkeit der Observation zeige sich schliesslich vor Gericht: «Keine private Versicherung kann es sich leisten, wegen schlechtem Observationsmaterial einen Gerichtsfall zu verlieren.» Das sei eine Frage der Reputation. Sommer hofft, dass das neue Sozialversicherungsrecht durchkommt. Eine striktere Kontrolle der Überwacher findet er nicht nötig.

Es braucht eine Ombudsstelle

Wie streng die Versicherungsspioninnen in Zukunft überwacht werden, hängt wohl auch vom Erfolg oder Misserfolg des Referendums gegen das neue Gesetz ab. Gelingt es den Aktivisten, politischen Druck aufzubauen, fühlen sich die Behörden vielleicht eher verpflichtet, die Spione zu kontrollieren. Für diejenigen, die überwacht werden, wäre das eine gute Nachricht.

Um noch einmal die Polizei zum Vergleich heranzuziehen: Wer sich von einer Basler Polizistin unrechtmässig behandelt fühlt, kann sich bei der Beschwerde- oder der Ombudsstelle melden oder eine Klage wegen Amtsmissbrauch erheben. Was kann man tun, wenn man von einem Versicherungsspion unrechtmässig behandelt wird? Das neue Sozialversicherungsgesetz liefert keine Antwort darauf.

Dossier Schnüffeln ohne Grenzen?

Das im Eilverfahren beschlossene Sozialversicherungsgesetz beschneidet unsere Grundrechte. Wenn wir jetzt handeln, können wir es verhindern.

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