Es ist Freitagabend. Die Laune ist gut, weil Freitagabend ist. Die Woche war anstrengend, der Feierabend und die zwei freien Tage, die auf den Freitagabend folgen, redlich verdient. Gerade noch war Ihnen nach Feiern und Geselligkeit, aber die anstrengende Woche machte sich nach dem zweiten Feierabendbier doch sehr bemerkbar, und jetzt sitzen Sie wieder zu Hause auf dem Sofa, vor dem TV.
Sie kennen das.
Es ist 22.37 Uhr, der adrette Moderator sagt: «Mich interessiert das mit diesem Unwohlsein». Er sagt es nicht zum ersten Mal. Unwohlsein. Dabei war es doch grad so gemütlich hier.
Unwohlsein
Es geht um Ausländer. Mir hat grad einer von denen die beste Pizza der Welt gemacht, ein anderer hat sie geliefert, mit einem ausländischen Auto. Sie liegt halb gegessen neben mir. Das einzige, was mein Wohlsein bedroht, ist das, was da am TV kommt.
«Das Unwohlsein ist etwas, was viele Leute teilen. Jemand, der sich getraut, das offen zu sagen, sitzt heute Abend hier im Publikum», sagt der Moderator.
Der Jemand, der da sitzt, wird als «Unternehmer» vorgestellt. Dass er auch Gemeinderat von Uster ZH ist, verschweigt der Moderator.
«Sie haben uns geschrieben, es gebe eine ‹fremde Bedrohung›. Was ist die fremde Bedrohung, die Ihnen Angst macht?», fragt der Moderator.
Mehr Unwohlsein
«Richtig!», sagt der Mann. Dann sagt er: «Die Geschichte hat ja aufgezeigt: Nur eine unverhältnismässige Vermischung von Kulturen und Religionen bringt Rassismus, Hass und Krieg».
Eine Behauptung, historisch unhaltbar, aus dem politischen Giftschrank – zur besten Sendezeit. Die Sendung heisst «Arena». Thema: «Ist die Schweiz rassist-ic?», die Sendung beantwortete ihre eigene Frage gleich selbst, wohl unfreiwillig. Es ist der 30. Juni 2017, 22.43 Uhr, das Unwohlsein auf dem heimischen Sofa nimmt zu.
«Was mich interessiert ist dieses Unwohlsein. Herr Glarner, Sie haben gesagt, dass die Schweizer Identität verwässert wird?», fragt der Moderator, er heisst Jonas Projer, den Gast der Sendung, Andreas Glarner. Schon wieder dieses Unwohlsein. Projer und Glarner kennen sich gut: Der SVP-Nationalrat ist schon zum vierten Mal* zu Gast.
Glarners Antwort kommt wie aus der Pistole geschossen: «Ja natürlich».
Unmut
Unwohlsein verwandelt sich in Unmut. Zapp, Netflix. Zum Glück geht die «Arena» jetzt in Sommerpause, denke ich. Vielleicht kommt die nach wie vor gewichtigste Polit-Sendung des Landes (warum kommt so etwas eigentlich an einem Freitagabend?) unter Palmen wieder zur Besinnung. Denn die Themenauswahl, die dem Publikum da geboten wird, verbreitet vor allem eines: Unwohlsein.
Sie glauben es nicht? Bitte, Sie haben es so gewollt. Hier eine Übersicht über die Themen der «Arena»-Sendungen seit dem 1. Januar 2016 – abzüglich der Abstimmungs-Arenen, der Wirtschafts-Arenen und der Partei-Präsidenten-Arenen:
- 22.1.2016: Volkes Macht
- 26.2.2016: Brüssel greift an – wird die Schweiz nun entwaffnet?
- 4.3.2016: Und jetzt Europa
- 11.3.2016: Wer will Homo-Eltern?
- 18.3.2016: Die Auto-Schweiz
- 1.4.2016: Angst vor dem Islam
- 8.4.2016: Schweiz ohne Gott?
- 15.4.2016: Der Notfallplan – müssen wir uns gegen die Flüchtlinge wehren?
- 10.6.2016: Frauen am Herd?
- 17.6.2016: Gut genug für den Schweizer Pass?
- 24.6.2016: Schweiz und EU – nach dem Brexit
- 1.7.2016: Zu alt, um zu leben?
- 26.8.2016: Arena: An der Südgrenze
- 23.9.2016: «Inländervorrang light» – ist das der Volkswille?
- 7.10.2016: Krankes Gesundheitssystem?
- 14.10.2016: Jobs weg, Freiheit weg – globalisieren wir die Schweiz kaputt?
- 17.10.2016: Terror – Ihr Urteil: Der Film
- 21.10.2016: Das heilige Land
- 4.11.2016: Wer hat das Sagen im Land?
- 11.11.2016: Wieso Trump?
- 18.11.2016: Kapitalismus oder Klassenkampf?
- 25.11.2016: Vergoldete Bauern?
- 2.12.2016: Zuwanderung: Der Showdown
- 9.12.2016: Das Jahr der Populisten?
- 16.12.2016: Schöne Bescherung
- 6.1.2017: Zukunfts-Arena
- 3.2.2017: Ernstfall Trump
- 10.2.2017: Aktenzeichen EU ungelöst
- 17.2.2017: Abgestraft und blamiert – wacht die Wirtschaft jetzt endlich auf?
- 24.2.2017: Trumps Krieg
- 10.3.2017: Sollte die nicht bei den Kindern sein?
- 17.3.2017: Fremde Redner
- 24.3.2017: Auf in die EU?
- 31.3.2017: Klick, Like, Hass
- 7.4.2017: Die Attacke
- 21.4.2017: Ü50 – chancenlos?
- 5.5.2017: Sind wir zu freizügig?
- 12.5.2017: Legal kiffen?
- 19.5.2017: Eine tierische «Arena»
- 2.6.2017: Armee oben ohne?
- 9.6.2017: Die heisse Klima-Debatte
- 16.6.2017: Nach Burkhalter
- 30.6.2017: Ist die Schweiz rassist-ic?
43 Sendungen. Sechs Mal Schweiz vs. böse EU. Fünf Mal Islam / Christentum / Religion. Sieben Mal Ausländer / Flüchtlinge. Vier Mal explizite Beschäftigung mit «dem Volkswillen» und dessen Umsetzung / direkter Demokratie.
Anders gesagt: Die SVP-Themen beherrschen die «Arena»-Agenda längst zu mehr als 50 Prozent.
Unwohlsein als Programm
Hinzu kommen Gesellschaftsthemen, die verkauft werden, als schrieben wir das Jahr 1970. «Müssen Frauen mit der Geburt eines Kindes ihre Karriere zurückstellen? Oder stehen Kaderpositionen auch Müttern offen?». Oder eine andere schön falsche «Entweder-oder»-Frage à la «Arena», diesmal zum Thema Homo-Ehe: «Wird damit das traditionelle Familienbild nicht Stück für Stück entwertet? Oder geht es hier darum, Homosexuellen Rechte zu gewähren, die ihnen eigentlich längst zustehen?»
Unwohlsein auf der ganzen Linie. Wenn eine Sendung zu Einbürgerungen auf der meistgeklickten Medien-Site der Schweiz (SRF) mit dem Satz «gibt es einen Unterschied zwischen ‹Papierli-Schweizern› und Eidgenossen?» angepriesen wird, dann hat sie sich Sprache und Denkweise derer, die ein Ausländer-Problem haben, schon angeeignet, und verbreitet das Problem weiter.
Projer und seine «Arena»-Redaktion sind Meister problematischer Fragen. «Sind Menschen mit Migrationshintergrund weniger vertrauenswürdig? Oder haben wir ein Problem mit Rassismus und Diskriminierung?», steht da zum Thema «rassist-ic oder nicht». Wer die erste Frage stellt und die zweite Frage mit «oder» anhängt, der schafft ein zusätzliches Problem mit Rassismus und Diskriminierung – ob er will oder nicht.
Über die Wahl der Gäste könnte man stundenlanges Unwohlsein verspüren. Nur kurz: Bei den eingeladenen Journalisten dominierten von rechts die «Weltwoche» (3 Auftritte) mit der BaZ (1) gegen den Rest (ein Mal Roger Schawinski, einmal Karin Müller / «Telebasel»). Gar vier zu null steht es bei den Polit-Gästen aus dem Ausland. Parteizusammensetzung: zweimal FPÖ, ein AfDler, ein Republikaner. Rechtspopulismus pur.
Schwarz sehen mit Stil
Die Ernüchterung nach der Sommerpause war gross. Die erste «Arena»-Sendung, bei der es sich nicht um eine eidgenössische Vorlage oder eine Parteipräsidentenrunde handelte: «Blocher gegen alle», vom 22. September. Der SVP-Übervater als Namensgeber und Hauptgast der Sendung. Es folgte am 29.9. eine erfreulich unpopulistische «Arena» am runden Tisch (sie hiess: «Am runden Tisch») – was wohl daran lag, dass es mehr eine «Club»- denn eine typische «Arena»-Sendung war.
Und nun dies: «Burka – da sehen wir schwarz!», schreiben die Sendungsmacher, und zeigen dazu auf der Site, wie die meisten Medien, keine Burka, sondern eine Frau im Niqab.
Ich sehe schwarz. Für die Laune, und das Wohlbefinden, das persönliche, und überhaupt. Burkas? Im Ernst? Wann haben Sie das letzte Mal ein echtes Problem mit einer Burka gehabt? 90 Minuten Diskussion zur besten Sendezeit – am angeblich besten Abend der Woche?
Deshalb stülpe ich heute spätestens um 22.25 Uhr eine Burka über mein TV-Gerät. So lange wir noch kein Verhüllungsverbot haben, liegt das drin. Man muss sich ja nicht ansehen, was da in der «Arena» läuft. Und wenn es fröhlich durch das Gitter flackert, ohne Ton, sieht das wunderbar aus, so als Hintergrund-Dekoration. Sie sollten es mir gleich tun. Die Burka wird Sie befreien. Vom Unwohlsein. Zumindest die über dem TV.
*Alle Auswertungen in diesem Text beziehen sich auf eine TagesWoche-Analyse der «Arena»-Sendungen ab dem 1. Januar 2016.