Über die Jugend wurde schon immer geschnödet, klar. Heute ist sie aber wirklich schlimm. Schuld daran ist das Internet. Was tun? Ein Besuch beim Psychologen und einem ehemaligen Spielsüchtigen.
«Liebes, legst du dann bitte mal wieder deinen iPod weg?!»
«Geht nicht, ich muss grad was für die Schule nachschauen.»
«Aber vorher hast du ja einen Film geschaut, ich habs gehört!»
«Das war für den Geschichtsvortrag, eine Doku über die Folgen der Französischen Revolution, sehr interessant!»
«Und die Nachrichten die ständig reinkommen, stammen wohl von Napoleon höchstpersönlich?»
«Ha, ha, sehr lustig. Wir haben doch nur abgemacht, wie wir den Vortrag gliedern wollen.»
«Papperlapapp. Jetzt ist endlich mal Schluss mit diesen ständigen Chats und dieser blöden Revolution.»
«Aha! Jetzt hast du selbst zugegeben, dass Geschichte doof ist. Dann lern ich halt nichts mehr, ist mir auch recht.»
So läuft das heutzutage: Die Smartphone, iPods und iPads liefern unseren Kindern das perfekte Alibi für den perfekten Schwindel. Was lässt sich dagegen noch tun? Wahrscheinlich etwa so viel wie Napoleon gegen die Engländer und Preussen in der Schlacht bei Waterloo – gar nichts.
Höchstens ein Psychiater kann da noch helfen – wie immer, wenn sich wieder mal einer mit Napoleon vergleicht.
Die alte Leier vom guten Vorbild
Ein Versuch ists jedenfalls wert – umso mehr, als sich am Montagabend in Basel eine ideale Gelegenheit für einen Besuch beim Pathologen bot: Der Psychologe und Spielsucht-Spezialist Renanto Poespodihardjo von der UPK Basel diskutierte am Montagabend im Buchladen Thalia mit dem ehemals gamesüchtigen Jugendlichen Andreas über die Gefahren der neuen Medien.
Poespodihardjo («wer Mühe damit hat, kann mir gerne auch einfach Renanto sagen») sprach mal eher locker, mal eher lehrreich und immer sehr sympahtisch, bis, ja bis er diesen Satz sagt, den man als Elternteil nun wirklich nicht mehr hören will, nach all dem Ärger, den man schon durchgemacht hat.
«Ganz wichtig ist, dass man ein gutes Vorbild ist.»
Aha. Dann sind also wieder mal wir Alten schuld!
Wir Ahnungslosen
Offenbar. Renanto liess den Satz aller Pädagogen-Sätze jedenfalls erst einmal wirken, ehe er nochmals nachstiess. Wie sieht es denn mit Ihrem Konsum aus? Wann schauen sie am Morgen zum ersten Mal aufs Smartphone? Gehören Sie vielleicht auch zu jenen, denen das Gerätchen auf dem Nachtisch schon fast näher ist als der Partner im Bett? «Das Ganze kommt uns immer näher», sagte Renanto und ich dachte: na klar, was soll man auch machen, wenn man schon am Morgen früh eine ganze Reihe furchtbar wichtiger Mails checken muss. Der Mann hat wahrscheinlich keine dermassen drängende Korrespondenz und vor allem: keine Ahnung.
Doch offenbar war auch das ein Irrtum. Die Ahnungslosen – das sind höchstens wir, die Generation 35 plus, die Digital Immigrants. Das jedenfalls sagte Renanto. Es sei aussichtslos, wenn wir einfach nur versuchen würden, den Jungen Grenzen zu setzen. Wir müssten uns ihre Welt erst einmal erklären lassen. Erst wenn wir diese Lektion kapiert haben, ist laut Renanto der Zeitpunkt gekommen, um Regeln für die Dauer der Internet-Präsenz abzumachen und Zeiten und Räume zu definieren, in denen auch das Smartphone tabu ist. Während des Essens zum Beispiel. «Dann sitzt die Wertegemeinschaft Familie am besten einfach mal zusammen und tauscht sich aus», sagte Renanto.
Wie im richtigen Leben
«Wertegemeinschaft» – klang ein derart altbackener Begriff irgendwann schon mal so verheissungsvoll?
Kaum. Aber man sollte sich bloss nicht täuschen lassen. Neben der Gemeinschaft gibt es auch noch ganz andere Werte – Aufmerksamkeit zum Beispiel oder ganz einfach: Geld. Und genau darum geht es auch im Internet, in Games wie «Smeet», das Andreas süchtig gemacht hat.
Möglichkeiten bietet das Spiel unendlich viele, das eigentliche Ziel ist aber relativ simpel: möglichst schöne Kleider, möglichst schöne Autos und möglichst schöne Häuser, kurz: «Fame». Je mehr Geld man dafür ausgibt und je mehr Zeit man im Internet verbringt, um den Reichtum zu pflegen, desto grösser der Ruhm, desto höher das Level – wobei selbstverständlich auch das Suchtpotenzial und die Ausgaben laufend zunehmen.
In der virtuellen Welt nach dem schönen Schein süchtig zu sein, nach Ehre und Ruhm – irgendwie beknackt, fanden die Gäste im «Thalia». Bis irgend einer darauf hinwies, dass das real life ja auch ein bisschen so funktioniere.
Die Lösung der sozialen Frage?
Es sei ohnehin falsch, die beiden Lebenswelten voneinander abzugrenzen. Das Virtuelle sei jetzt schon für viele real – und «noch stehen wir erst am Anfang dieser Entwicklung», sagte Renanto.
Die Folgen seien unabsehbar. Man müsse damit rechnen, dass sich einige Menschen im Internet verlieren. Und irgendwann werde vielleicht sogar die soziale Frage per Computer geklärt. «Sozial schwache Menschen ins Netz abzuschieben und sie daneben einfach noch mit Nahrung zu versorgen, wäre rein von der Kosten her günstig», sagte er.
Noch was Positives – bitte!
Danach wurde Renanto von einem Gast und Moderatorin Katrin Roth noch um ein etwas positiver klingendes Schlusswort gebeten. «Wir müssen den Jugendlichen vorleben, wie schön das analoge Leben ist. Denn das kann es ja auch tatsächlich sein!»
Stimmt, dachte ich danach beim Bier.
Dennoch muss ich mir von den digital natives jetzt wohl mal erklären lassen, was Sache ist. Sobald sie fertig sind, mit Franz-Wörter nachschauen und Geschichts-Dokus schauen, werde ich bei den Spezialisten mal nachfragen. Auch ok, wenns noch etwas dauert.