Am 18. Juli 1969 gingen Basler Polizisten gewalttätig gegen Demonstranten vor. Trotz fotografischer Beweismittel hatte der Einsatz keine Folgen für die Ordnungshüter.
Reporter müssen mit Gespür und Glück zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein. Das ist hier eindeutig gelungen. Es war der richtige Ort, um falsches Handeln zu dokumentieren. Kurt Wyss war allerdings kein «civil observer», der mit seinem dokumentierenden Auge diese Art von Konfliktaustragung festhält und so in zivilisierten Grenzen halten soll; er war Bildredaktor der Basler «National-Zeitung» und wollte die Demo fotografisch festhalten. Polizisten mögen solche Beobachter nicht, die Öffentlichkeit ist aber auf sie angewiesen.
Die hier dokumentierte Szene ereignete sich am 18. Juli 1969 auf dem Basler Claraplatz. Dieser handfesten Demonstration gegen eine Tramtarif-Erhöhung war 14 Tage zuvor eine friedliche Demo auf dem Barfüsserplatz vorausgegangen. Jetzt aber kamen 180 Polizisten zum Grosseinsatz; es ging darum, den Störenfrieden mit aller Deutlichkeit zu zeigen, wer in Basel das Sagen hat.
Was sehen wir? Vielleicht sehen nicht alle dasselbe in diesem Bild. Ich sehe es so: Vier Ordnungshüter umstellen in aggressiver Weise einen sich defensiv verhaltenden jungen Mann. Einer verabreicht diesem eine Ladung Tränengas (die Wolke ist fotografisch festgehalten). Ob seine Alltagsbrille ihn ein wenig schützt?
Während drei der in Aktion befindlichen Ordnungshüter mit für uns altertümlichen Schutzbrillen ausgestattet sind, allerdings nur einer – der Täter – sie richtig aufgesetzt hat, ist der Vorgesetzte (mindestens ein Obergefreiter oder eine Art Wachmeister) ungeschützt und bekommt offensichtlich ebenfalls einen Teil des Tränengases ab.
Kann man das Bild auch anders lesen? Vonseiten der Polizei hätte man es gerne so gelesen: Dass das Tränengas gar nicht gegen den jungen Mann eingesetzt worden, sondern in einer Art Selbstversuch zwischen dem Mann mit einem Winkel und dem Mann mit den drei Winkeln ausgetauscht worden sei. Die vom Fotografen festgehaltene Wolke und die Blickrichtung des Akteurs zeigen allerdings klar, wem dieser Einsatz galt. Das Bild wurde als Manipulation eingestuft; der gegen den Polizisten vorgehende Staatsanwalt kam unter Druck und der Polizist, wie zu erwarten, frei.
Andere Fotos beweisen, dass der junge Mann bereits verhaftet worden war, als er diese Abreibung verpasst erhielt. Die Ordnungshüter waren eindeutig überfordert, aber nicht kräftemässig, sondern mental. Inzwischen haben sie kräftig nachgebessert. Sie kommen ganz anders ausgerüstet daher, und es ist auch anzunehmen (und zu hoffen), dass sie in psychologischer Hinsicht besser ausgebildet sind.
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 14.12.12