Der Monat danach

Die Welt ging nicht unter, doch kann man die Apokalypse auf der Leinwand erleben. Das Basler Stadtkino zeigt derzeit die Endzeit im Film.

Weltuntergang im Film heisst: Ein Ende ist immer auch ein Anfang. Harry Belafonte in «The World, The Flesh And The Devil» (1959). (Bild: Cinémathèque suisse)

Die Welt ging nicht unter, doch kann man die Apokalypse auf der Leinwand erleben. Das Basler Stadtkino zeigt derzeit die Endzeit im Film.

Als der Meteorit auf die Erde raste, war die Welt schon in Brand. In «Verdens Undergang» ist die Apo­kalypse unaufhaltsam, während die Oberschicht noch ihren letzten Profiten nachjagt und die Arbeiterklasse den grossen Knall vorwegnimmt, um die zementierte Ordnung zu stören: Sie begehrt auf und dringt in die Häuser ihrer Herren ein.

«Verdens Undergang» vom dänischen Regisseur August Blom erschien 1916. Europa blutete in den Schützengräben des Ersten Weltkriegs und im Osten erhob sich die Arbeiterschaft bald zur Revolution. Nur sechs Jahre zuvor hatte der Halleysche Komet den erdnahen Himmel durchkreuzt und für Panik ­gesorgt.

Vor diesem Stimmungspanorama, in dem sich die Angst vor der ­totalen Auslöschung und die Furcht um die etablierte Ordnung überlagerten, stellt sich Bloms Film – obwohl Fiktion – als Dokument seiner Zeit vor. Er zeugt davon, welche Ungewissheit vor dem Morgen die Menschen erschütterte, und kein Genre kann diese Urangst konsequenter durchexerzieren als der apokalyptische Film, der vom Ende ­aller Dinge handelt.

Weltpolitik als Hintergrund

Diesem Gedanken folgt die Filmreihe «All Over, Again! Die Endzeit im Film», die im Januar 2013 im Stadt­kino Basel anläuft. Rund zwölf Filme pro Jahrzehnt haben Stadtkino-Direktorin Nicole Reinhard und Mitkurator Johannes Binotto auf Fingerzeige ­abgeklopft, die verraten sollten, welche Schreckensszenarien die Menschen in ihrer Zeit beschäftigten. Handelte Bloms Stummfilm noch von der Machtlosigkeit gegen den Einschlag, lieferten in den 1950er-Jahren der Kalte Krieg und die atomare Auf­rüstung den Hintergrund. «Die Filme haben sich entlang der Weltpolitik entwickelt», sagt Reinhard.

In den 1960er-Jahren, im Nachgang des Korea-Krieges und der Kuba-Krise, fragte beispielsweise der britische Fernsehfilm «The War Game» nach den alle Vorstellungen übertreffenden Auswirkungen einer atomaren Vernichtung auf die Zivilbevölkerung. Und auf der Ostseite des Eisernen Vorhangs beschäftigte sich der sowjetische Filmer Konstantin Lopuschanski in «Briefe ­eines Toten» (1986) auf niederschmetternde Art mit der mensch­lichen Schuld. Doch wird anstelle des Vernichtungshorrors bereits die Frage nach dem Fortgang ins ­Zentrum gerückt: Ein Nuklearwissenschaftler kümmert sich in einem Bunker um Waisen, lehrt sie Gemeinschaftssinn, feiert mit ihnen Weihnachten und ermahnt sie zum Aufbruch in eine neue Zukunft, bevor er stirbt.

Das hat Methode: «Meist gewinnt die Menschlichkeit, meist glimmt am Ende ein schwacher Hoffnungsschimmer», hat Nicole Reinhard festgestellt, selbst die dunkelsten Filme wie «The Last Man On Earth» oder «On The Beach» sind noch von einem humanistischen Ideal durchdrungen: Dass wenigstens ein paar bessere letzte Stunden möglich sind – oder gar eine bessere Welt.

Der Mensch zieht seine Lehren

Ein Ende ist ein Anfang, könnte man sagen, wie es auch die grossen Action-Spektakel Hollywoods mit pathetischer Geste verkünden. Stellvertretend ist hier Roland Emmerichs «2012» im Programm, dessen Stichtag, der kommende 21. Dezember, Anlass der Reihe ist. Allerdings menschelt es auch bei Emmerichs Kawumm-Orgie ganz ge­hörig, streiten sich die Menschen um die paar wenigen Plätze auf der Arche, gewinnt das harte Prozedere der Selektion an Gestalt: Wer mitdarf, soll als würdig gelten, die neue Menschheit mitzubegründen.

Weltuntergang im Film heisst: Ein Ende ist immer auch ein Anfang.

Reinhard hat zu diesem Narrativ eine Trouvaille aus dem Jahr 1959 ­ausfindig gemacht: In «The World, The Flesh And The Devil» spielt Harry ­Be­lafonte einen Überlebenden, der – als Schwarzer – mit einer weissen jungen Frau zarte Bande knüpft und sich schliesslich von ihr gewinnen lässt. In den USA der späten 1950er-Jahre unter den Umständen der Rassendiskriminierung ein äusserst provokatives Szenario.

Auch das gehört zu den Projek­tio­nen einer zweiten Genesis nach dem Untergang: dass der Mensch, nachdem er sich durch Atomkraft, ökologischen Raubbau oder Genmuta­tionen beinahe vollständig vernichtet hat, aus der Verlusterfahrung lernt und, sich über alle Trennlinien erhebend, das Leben zu schätzen und ehren beginnt.

Und wenn nicht, soll es wenigstens was zu lachen geben: «The Bed-Sitting Room» (1969) von Beatles-Regisseur Richard Lester zeigt das postapokalyptische Trauma als Skurrilitätenkabinett in der Tradition des schwarzen Humors. England ist zerstört, übrig bleibt eine Kraterlandschaft, in der die 20 Überlebenden froh gelaunt die britische Greatness neu zusammenbasteln: BBC, die Queen, Schwarzfahren in der U-Bahn. Die Welt mag sich wenden, der Mensch bleibt derselbe Kleingeist. Auch darin kann man Trost finden.

  • «All Over, Again – Die Endzeit im Film». 10. bis 31. Januar, Stadtkino Basel.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 14.12.12

Nächster Artikel