Tamedia drängt seine Journalisten mit «Psychomethoden» zur Kündigung

Das grösste Schweizer Medienhaus will Personal abbauen – mit fragwürdigen Methoden. So wollen die Chefs Journalisten mit Geldgeschenken zum Kündigen bringen.

Die Abfindung zum Abschied von Tamedia: bitte mitnehmen und gehen.

Die Layouter, Textproduzenten, Bildredaktoren, Fotografen und Korrektoren von Tamedia haben längst mit dem Schlimmsten gerechnet. In den Jahresgesprächen wurde nicht wenigen von ihnen klar kommuniziert, dass sie sich doch nach einer neuen Stelle umsehen sollen. Das bestätigen Mitarbeitende gegenüber der TagesWoche.

Schon vor einigen Monaten hat die Konzernleitung kommuniziert, dass es bei den «Tamedia Editorial Services» – diesen schicken Namen trägt die Fusion der betroffenen Abteilungen, die von Zürich aus die ganze Palette von Tamedia-Zeitungen mit den gleichen Texten, Bildern und Grafiken bestückt – zu einem Personalabbau komme. Und dass damit, entgegen früherer Versprechen, auch Kündigungen gemeint sind.

Nun ist es so weit. Wie watson.ch aufdeckte und der Konzern bestätigte, setzt Tamedia derzeit auf eine neue Strategie, um Angestellte dieser «Editorial Services» nach Möglichkeit nicht selbst entlassen zu müssen. Die Mitarbeiter sollen von sich aus kündigen. Der Deal: sofortige Freistellung – und eine Abgangsentschädigung.

Während man die Mitarbeiter der «Editorial Services» diese Woche an einer Infoveranstaltung über die Vorgänge informiert hat, gab es für die Journalistinnen und Journalisten keine vergleichbare Veranstaltung.

Falls sie deshalb dachten, verschont zu bleiben, haben sie sich getäuscht. Mehrere Redaktionsmitglieder* mussten im Büro von «Tages-Anzeiger»-Chefredaktor Arthur Rutishauser erscheinen, darunter auch verdiente Journalisten. Der Chef wollte den Journalisten folgendes Angebot schmackhaft machen: Kündigung ihrerseits, bei sofortiger Freistellung und einem fünfstelligen Betrag als Abfindung.

«Psychomethode»

«Auf Wunsch der Chefredaktion wurde diese sanfte Psychomethode gewählt», sagt ein Mitglied der «Tages-Anzeiger»-Redaktion zur TagesWoche. Die Höhe der Abfindung berechne sich aus Alter und Anzahl Dienstjahren. «Es geht sicher bis 50’000 Franken», so der Journalist. «Ein Traum hier», fügt er sarkastisch an. Ein anderer Redaktor schreibt: «Habe gehört, die werden direkt freigestellt. Hoffe, die zahlen mich auch aus. Habe es satt.»

Zwar stelle sich der Konzern auf den Standpunkt, es handle sich bei dem Vorgehen nicht um Entlassungen. Doch wer dieses Angebot von seinem Chef erhalte, der «ist ja entlassen, quasi», sagt ein dritter Tagi-Redaktor zur TagesWoche.

Auf Anfrage sagt Tamedia-Sprecher Christoph Zimmer nichts über die Zahl der Betroffenen auf Redaktionsseite. Er räumt aber ein: «In Einzelfällen sind ähnliche Angebote auch in der Redaktion Tamedia möglich». Es handle sich um ein «freiwilliges Angebot», das sich neben der sofortigen Freistellung an «vergangenen Sozialplänen zuzüglich einer Prämie» orientiere. Über die Höhe der Prämie könne man sich nicht im Detail äussern, sie hänge von der individuellen Situation ab.

Personalkommission: «Inakzeptabel»

Gegen die Vorgänge an der Zürcher Werdstrasse formiert sich Widerstand. Am Freitag haben Vertreter der Personalkommission ein Mail an alle Redaktionsmitglieder versandt. Die meisten hätten bereits erfahren, dass der Personalabbau angelaufen ist, heisst es darin. Und: «Die Art und Weise, wie sich dies im Moment abspielt, finden wir inakzeptabel».

Es sei klar, dass es sich um einen «Abbau aus wirtschaftlichen Gründen» handle, schreibt die Personalkommission weiter. Doch bevor dieser Abbau in die Tat umgesetzt wird, erwartet die Kommission eine Information über die konkrete Grösse des geplanten Abbaus und über Details zum Vorgehen. Und sie fordert, in die Vorgänge einbezogen zu werden, «bevor man anfängt, die Leute zu Einzelgesprächen aufzubieten».

Die Personalkommission habe die Chefredaktion am Freitag aufgefordert, «diese Informationen umgehend nachzuholen und bis dahin die Einzelgespräche mit den Mitarbeitenden auszusetzen». Die Kommission betont weiter, Betroffene sollen sich umgehend melden. Eine Entschädigung könne zwar «verlockend» wirken, doch entfalle damit der Kündigungsschutz bei Erkrankung, «und bei der Arbeitslosenversicherung drohen massive Einbussen». Eine Aufhebungsvereinbarung gilt als selbstverschuldete Arbeitslosigkeit. 

«Ohne Kündigungen»

Bei Direkt-Angestellten der «Titelredaktionen» – «Tages-Anzeiger», «BZ Berner Zeitung», «Der Bund», «Der Landbote», «Sonntagszeitung», «Zürcher Unterländer» und «Zürichsee-Zeitung» – seien derzeit «keine solchen Angebote und auch keine Kündigungen vorgesehen», betont Christoph Zimmer. Den Betroffenen – etwa aus den Ressorts Schweiz oder Sport, die sich in der Regel als Teil einer «Titelredaktion» fühlen und bei den Kollegen auch als solche wahrgenommen werden – bringen diese Versicherungen nichts. 

Jede und jeder kann zum «Einzelfall» werden und ins Chefbüro zitiert werden.

Christoph Zimmer sagt: «Wir halten mit den freiwilligen Angeboten, insbesondere in der Produktionsabteilung ‹Tamedia Editorial Services›, am Ziel fest, die notwendigen Anpassungen soweit möglich über Fluktuation sowie interne Wechsel und ohne Kündigungen zu erreichen.» Ohne Kündigungen seitens Tamedia, müsste es ehrlicherweise heissen.

* Namen der Redaktion bekannt

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