Eine Weltmeisterschaft ist für das Gastgeberland immer auch eine Gelegenheit, sich von seiner besten Seite zu präsentieren. Im Fall von Argentinien war dies allerdings ein problematisches Unterfangen. Denn die Militärjunta unter General Videla, die sich am 24. März 1976 an die Macht geputscht hatte, liess sich schwerste Vergehen gegen die Menschenrechte zuschulden kommen. Dies zeichnete sich bereits früh ab.
Am Tag nach der Machtergreifung berichteten die «Basler Nachrichten»:
«Das Leitmotiv der Militärjunta von General Videla lautet: Nationale Neuordnung. Um dieses Ziel zu erreichen, wollen die Generäle von Buenos Aires recht radikal vorgehen. Bereits haben sie das Parlament und die zivile Gerichtsbarkeit aufgelöst. Ausserdem haben sie den politischen Parteien, den Gewerkschaften und Unternehmerverbänden jegliche Tätigkeit untersagt.»
Hinsichtlich ihrer künftigen Wirtschaftspolitik liess sich die Junta nicht auf die Äste hinaus. Laut den «Basler Nachrichten» stand immerhin fest, «dass das Militärregime dem Auslandkapital weitgehende Garantien gewähren will».
Kritik an der Nationalmannschaft untersagt
Zur «nationalen Neuordnung» gehörte es, dass die Militärs mit unmenschlicher Brutalität gegen ihre Opponenten vorgingen. Dies betonte auch Freddy Widmer, der für die «Basler Zeitung» über die am 1. Juni 1978 beginnende «Mundial 78» berichtete, in einem kritischen Kommentar:
«Mit beispielloser Härte machte sich die Junta … nach dem Staatsstreich … an die ‹Ausrottung› der Oppositionellen, der Montoneros. Verschleppungen, Folter, Ermordungen gehörten zur Tagesordnung; die Zahl der Ermordeten, der Vermissten (der ‹Desaparecidos›) und der immer noch Inhaftierten geht nach Berichten von Menschenrechts-Organisationen in die Tausende.»
Dabei waren auch unbescholtene Bürger nicht sicher vor dem Gegen-Terror der Militärs: «Es genügte schon, Mitglied einer studentischen Organisation oder einer Gewerkschaft zu sein, Sympathien mit oder Kontakt zu als subversiv geltenden Personen zu haben.»
Den Entscheid, die WM 1978 in Argentinien auszutragen, hatte die Fifa schon 1966, also lange vor dem Putsch, gefällt. Für die Militärs war das Turnier eine zwiespältige Angelegenheit. Einerseits erhielt Argentinien und damit auch die Junta zwangsläufig das Fifa-Gütesiegel, andererseits mussten sie damit rechnen, dass ihr «schmutziger Krieg» gegen die Opposition von den Medien thematisiert würde.
Um Letzterem entgegenzuwirken, bot der argentinische Innenminister General Harguindeguy die Direktoren der argentinischen Büros ausländischer Nachrichtenagenturen zu einem Treffen auf. Dort teilte er ihnen mit, «aufgefundene Unterlagen der Montoneros liessen sie alle geheimer Kontakte zur Subversion verdächtig erscheinen – ein Verdacht, den er für berechtigt halten müsse, falls sie bei der kommenden Berichterstattung für Argentinien Abträgliches über ihren Ticker laufen liessen» («Basler Zeitung» vom 2. Juni 1978). Eine unverhohlene Drohung.
Von den einheimischen Chefredaktoren verlangte die Junta laut dem Artikel, «Argentinien und das Sport-Ereignis in ihren Blättern nur noch mit den hellsten Farben pinseln zu lassen und keine Kritik an der Nationalmanschaft und deren Trainer Menotti zu üben».
Euphorie über den Titel war von kurzer Dauer
Im Vorfeld der WM war es in mehreren Ländern zu Protesten gegen deren Austragung in Argentinien gekommen. Auch der Fifa konnte nicht verborgen bleiben, was im südamerikanischen Land vor sich ging. Grund genug, den Anlass abzusagen, war das für sie aber nicht. So kam es, dass der WM-Final in einem Stadion ausgetragen wurde, das lediglich ein paar Hundert Meter von der Mechanikerschule der Marine entfernt war, in der sich das wichtigste Folterzentrum der Junta befand.
Im Endspiel vom 25. Juni standen sich die Mannschaften von Holland und Argentinien gegenüber. Den Sieg trug mit 3:1 Toren nach Verlängerung Argentinien davon. In einem Fernsehinterview kommentierte Trainer César Luis Menotti den Titelgewinn mit dem vieldeutigen Satz: «Meine Spieler haben die Diktatur der Taktik und den Terror der Systeme besiegt.»
Der Weltmeistertitel mag viele Argentinier vorübergehend in Euphorie versetzt haben. Anhaltenden Gewinn brachte er der Militärjunta jedoch nicht. Zu offenkundig war ihr verbrecherischer Charakter. Da half auch nichts, dass sie mit dem Krieg um die Inselgruppe der Malvinen (Falklandinseln) von 1983 den Nationalismus schürte und so versuchte, ihre wankende Position zu festigen. Die militärische Niederlage gegen Grossbritannien bedeutete ihren Sturz und setzte der Diktatur ein Ende.