Thomas Ebinger, das ruhige Herz des Strassenmagazins

Am 19. Mai kommt die 400. Ausgabe von «Surprise» auf die Strasse. Co-Vertriebsleiter Thomas Ebinger sorgt dafür, dass das Heft nicht nur Arbeit, sondern auch Familie bedeutet.

Thomas Ebinger, Co-Leiter Vertrieb «Surprise» Strassenmagazin.

(Bild: Alexander Preobrajenski)

Zum 400. Mal verkauft eine Schar «Surprise»-Verkäufer das Strassenmagazin. Thomas Ebinger sorgt dafür, dass der Vertrieb nicht nur Arbeit, sondern auch Familie bedeutet.

Thomas Ebinger reisst sich nicht um Aufmerksamkeit. Er nippt am Kaffee, zieht an der Zigarette und erzählt dann trotzdem. Wir sitzen auf der kleinen sonnenbeschienenen Terrasse im Hinterhof. Durch die Glastüren links und rechts sehen wir in die «Surprise»-Büros.

Thomas Ebinger ist Co-Vertriebsleiter des Strassenmagazins in Basel. Unter seiner und Anette Metzners Aufsicht kommen die Magazine auf die Strasse. Der Job ist vielfältig: Ebinger rechnet Einnahmen und Ausgaben ab, holt Verkaufsbewilligungen ein und betreut die Verkäufer und Verkäuferinnen – das alles gehört dazu.

Es sei aber kein kühles Business. «Wir möchten eine grosse Familie sein», sagt er. Das ist gleich zu spüren: Tritt jemand ein, dreht er sich mit einem Lächeln und einem freundlichen «Hallo» um. Sein zerzaustes Haar sagt von Anfang an: «Ich bin unkompliziert.»

Die familiäre Nähe zu den Verkäuferinnen und Verkäufern mache diesen Job so interessant für ihn: Er mag es, ihre unterschiedlichen Kulturen kennenzulernen. Drei von vier Verkäufern haben Migrationshintergrund. «Ohne regen Kontakt hätte ich nicht das gleiche Verständnis für die anderen Denk- und Sichtweisen.»

Thomas Ebinger hat ein Herz für Migranten. Ihn beeindrucken die unvorstellbaren Lasten, die sie auf sich nehmen, um eine neue Perspektive zu finden. «Hier möchte ich mithelfen, ihnen eine solche zu geben.»

Zwischen Büro und Bewegungsdrang

Im Aufenthaltsraum treffen wir auf einen seiner Arbeitskollegen. Spontan greifen beide zu den Töggeli-Griffen. Unerwartet schnell reagiert Thomas Ebinger auf die Attacken seines Gegners. Energisch pariert er in der Verteidigung und geht sogleich in den Sturm über. In seinen Augen spiegelt sich die Freude über ein Tor.

«Eigentlich entspricht die Büroarbeit so gar nicht meinem Naturell», sagt er nach dem Spiel. Er sei ein Bewegungsmensch. Seine Kindheit hat der 51-Jährige vorwiegend draussen am Seeufer in Romanshorn verbracht. Die Schulbank verleidete ihm bald.



Thomas Ebinger, Co-Leiter Vertrieb «Surprise» Strassenmagazin.

Rollt der Ball, offenbart sich Thomas Ebingers Sportsgeist. (Bild: Alexander Preobrajenski)

In Basel fand Ebinger dann ein Studium, das zu einem Bewegungsmenschen passt, und er wurde Gymnastikpädagoge. Im Beruf kam das soziale Engagement dazu. So arbeitete Ebinger unter anderem im Theaterzirkus «Wunderplunder», in der offenen Kinderarbeit der Robi-Spielplätze und in der Gassenküche. Zu «Surprise» fand er über den Posten als Trainer der Basler «Surprise»-Fussballmannschaft.

Als vor fünf Jahren eine Stelle beim Vertrieb der «Surprise» frei wurde, musste er lange überlegen. «Ich war mir nicht sicher, ob mir die Arbeit im Büro liegt.» Zum Ausgleich spielt er regelmässig Fussball, drei bis vier Trainingseinheiten pro Woche. Ausser er muss sich – wie jetzt – verletzungsbedingt aufs Töggele beschränken.

Kein Helfersyndrom

Ein gesunder Sportsgeist sei in der sozialen Arbeit nur von Vorteil: Erfolg und Niederlagen gehörten zum Arbeitsalltag dazu. Auf erfolgreiche Ratschläge folgen Rückschläge – Thomas Ebinger bleibt aber auch da gelassen. «Wir haben leider keine Zeit, uns mit jedem einzelnen Verkäufer vertieft zu beschäftigen.» Er sehe sich nicht als Retter. «Ich habe bestimmt kein Helfersyndrom und kann mich auch gut abgrenzen.»

Nur besonders harte Fälle oder Verluste beschäftigen ihn auch nach dem Feierabend. Zum Beispiel, als die «Surprise»-Familie ihre langjährigen Mitglieder Peter Gamma und Wolfgang Kreibich verlor. «Solche Verluste tun weh», sagt Thomas Ebinger, «auch Lebensgeschichten nehmen mich immer wieder mit.» Oft auch, weil bei der Arbeit keine Zeit zum Verarbeiten bleibe. Auch ohne Helfersyndrom, Thomas Ebinger hilft gerne. Das zeigt auch seine Lieblingsposition auf dem Fussballfeld: Im Mittelfeld unterstützt er sowohl den Sturm als auch die Verteidigung.

Bei den meisten Verkäufern reichten einfache Beratungen aus. Manchmal, so Ebinger, entstünden daraus aber ausgewachsene Projekte. Etwa bei jenem Verkäufer, dem die Wohnungskündigung drohte. Es stellte sich heraus, dass der Mann ein grosses Messie-Problem hatte. «Da investieren wir natürlich gerne mehr Zeit.» Heute ist der Mann in Betreuung und hat eine begehbare Wohnung. Ein Erfolgserlebnis für Thomas Ebinger.

Solche erlebt Ebinger aber auch im Kleinen. Mit jedem gelungenen Ausflug, guten Gespräch – oder überhaupt mit jedem Moment, in dem sich ein Verkäufer auch als Familienmitglied fühlt.



Alle 14 Tage erscheint das neue Strassenmagazin der «Surprise». Diese Woche zum 400. Mal.

Alle 14 Tage erscheint das neue Strassenmagazin der «Surprise». Diese Woche zum 400. Mal. (Bild: Alexander Preobrajenski)

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