Schweizer Fussballer sollen einen Schweizer Pass und sonst keinen haben, fordert SFV-Generalsekretär Alex Miescher. Er fordert das äusserst medienwirksam.
Doch es geht Miescher nicht bloss um Fussballer, sondern um alle Schweizer Doppelbürger – jeden vierten Schweizer. «Wir schaffen ja auch Probleme, wenn wir die Mehrfachnationalität ermöglichen», sagte er, und das «nicht nur auf den Fussball bezogen».
Die Debatte löst bei Doppelbürgerinnen und Doppelbürgern Unverständnis und Ärger aus. Die TagesWoche hat drei Gespräche aufgezeichnet.
Bilgin Ayata, Basel
«Doppelstaatsbürgerschaften sind eine Realität. Wissenschaftliche Studien zeigen: Die Doppelbürgerschaft führt nicht zur Zugehörigkeitsverwirrung. Man kann sich zwei Ländern verbunden fühlen. Umgekehrt ist es ein Wunschdenken, dass sich Menschen nur noch einer Nation oder einer Gemeinschaft zugehörig fühlen, wenn sie sich für einen Pass entschieden haben.
Die Zahlen der Doppelbürgerschaften nehmen global zu. Jeder vierte Schweizer hat einen Doppelpass, das sind beträchtliche Zahlen. Die Mehrfachzugehörigkeit ist eine Realität für viele Menschen, sei es in der Schweiz oder in anderen Ländern. Das hat mit Phänomenen wie Migration und Globalisierung zu tun. Es gibt immer mehr Menschen, deren Biografien vielfältig sind. Wir leben in pluralen und heterogenen Gesellschaften. Punkt. Das lässt sich nicht mehr rückgängig machen. Der lautstarke Ruf, Menschen müssten sich für eine einzige Zugehörigkeit entscheiden, ist der Versuch, sich gegen diese Realität zu stemmen.
Die aktuelle Forderung, Fussballer aus der Nati auszuschliessen, nur weil sie Doppelbürger sind, ist aus demokratischer Perspektive problematisch und wenig zielführend. Dies sieht man in der Debatte am Beispiel der zwei deutschen Fussballer Ilkay Gündogan und Mesut Özil. Beide haben einen türkischen Migrationshintergrund, aber nur einer der beiden ist Doppelbürger, der andere hat lediglich den deutschen Pass. Trotzdem liessen sich beide mit Erdogan fotografieren. Ein weiterer deutsch-türkischer Fussballer, Emre Can, lehnte die Einladung von Erdogan ab.
«Demokratische Gesellschaften können Konflikte, die durch diese Mehrfachzugehörigkeit entstehen, aushalten.»
Das zeigt: Es kommt nicht darauf an, ob man einen oder zwei Pässe hat. Die Forderung zur Aufgabe von Doppelbürgerschaft hebt die existierende Mehrfachzugehörigkeit und die damit verbundenen unterschiedlichen Positionen nicht auf. In den meisten Fällen funktioniert das auch gut im Alltag. Demokratische Gesellschaften können Konflikte, die durch diese Mehrfachzugehörigkeit entstehen, aushalten.
Es ist wichtig zu verstehen, dass Schweizer mit Migrationshintergrund, Secondos, genauso unterschiedlich, vielfältig und heterogen sind wie der Rest der Schweizer Bevölkerung. Man kann nicht einfach sagen, der ist nun kein Schweizer mehr, weil mir sein Verhalten oder seine Meinung nicht passt. Dafür gibt es Gesetze, die für alle gelten. Diese Debatte um Fussballer, die gerade in der Schweiz und in Deutschland geführt wird, erinnert mich an den alten Satz von Max Frisch: Wir wollten Arbeitskräfte, es kamen Menschen. Jetzt müsste es heissen: Wir wollten Fussballer, es kam Vielfalt.
Die Vielfalt anzuerkennen bedeutet natürlich nicht, dass alles reibungslos funktioniert, es ist kein «Friede, Freude, Eierkuchen»-Zustand. Natürlich kommt es zu Spannungen und Konflikten, die Frage ist nur, wie diese verhandelt werden. In der Auseinandersetzung um den Doppeladler haben die Schweizer Serben ihre Kritik mit einem Brief zum Ausdruck gebracht. So, wie andere Konflikte die innerhalb verschiedener eingewanderten Bevölkerungsgruppen existieren, muss man auch diesen Konflikt aushalten und verhandeln.
«Es scheint mir, dass es einen grossen Verbannungswunsch für alle möglichen Probleme gibt.»
An der Vielfalt kann man gemeinsam als Demokratie wachsen, wenn die Auseinandersetzung konstruktiv statt polemisch geführt werden. Das ist viel besser, statt die Vielfalt verbannen zu wollen. In diesen Tagen scheint es mir, dass es einen grossen Verbannungswunsch für alle möglichen Probleme gibt. Wir sollten eher daran arbeiten, die Demokratie zu stärken. Das funktioniert nicht durch mehr Ausschluss, sondern durch mehr Teilhabe.»
Luca Urgese, Basel
«Ich finde diese Diskussion überflüssig. Man würde einen grossen Teil der Nationalmannschaft ausschliessen – ich kann nicht nachvollziehen, woher das kommt. Es ist doch völlig absurd, einen Spieler vor die Wahl zu stellen, ich habe dafür kein Verständnis. Womöglich steckt da ein Vorwurf drin, dass die Spieler nicht alles gegeben hätten, weil sie einen zweiten Pass haben.
Es ist schlicht eine Tatsache, dass viele Menschen Doppelbürger sind. Nun pickt man sich einfach die Fussballer raus und sagt, dass die das nicht sein dürfen. Es ist für mich nicht ersichtlich, warum man das genau dort tut. Eine Schnapsidee, geboren aus sportlichem Misserfolg.
Ich bin Doppelbürger. Meine Grosseltern kommen aus Apulien. Die zwei Pässe sind Teil meiner Familiengeschichte. Dass meine Grosseltern aus Italien stammen, ist eine Tatsache, ein Teil der Geschichte – unabhängig davon, ob ich ein Dokument habe oder nicht. Mein italienischer Pass ändert nichts an meinem Heimatgefühl: Ich bin überzeugter Schweizer, fühle mich in Italien nicht daheim. Es sind meine Wurzeln, aber ich bin hier zu Hause.»
Isabel Garcia, Zürich
«Der Vorschlag ist totaler Schwachsinn. Die Schweiz erlaubt in Gesetz und Verfassung seit eh und je mehrere Staatsbürgerschaften, da ist es nicht an einem Fussballverband, Regeln in eigener Sache zu erfinden. Und was die Bedingungen zur Teilnahme in Nationalmannschaften betrifft, regelt die Fifa, nicht der SRV. Es gibt keinen Grund, Doppelstaatsbürgerschaften im Fussball abzuschaffen.
Für mich sind die zwei Pässe – der Schweizer Pass und der spanische Pass – Ausdruck meiner Familiengeschichte. Die habe ich mir nicht selbst ausgesucht. Meine Eltern haben zwei Nationalitäten: Die Mutter war Schweizerin, wanderte nach Spanien aus, heiratete meinen Vater, und ich kam auf die Welt. Das ist Teil meiner Geschichte. Und beides gehört zu mir.
Ich bin selber fast ausschliesslich in der Schweiz aufgewachsen. Der Schweiz fühle ich mich sehr verbunden, sie ist meine Heimat. Spanien ist Teil meiner Familiengeschichte.
«Der Pass hat für mich den Charakter eines Souvenirs, wie ein Andenken an meine Geschichte.»
Doch es gibt für mich keinen Grund, einen Teil meiner Familiengeschichte über Bord zu werfen und den spanischen Pass abzugeben. Ich persönlich habe zwar keine starke Beziehung zu Spanien, weil ich schon als Kleinstkind in der Schweiz lebte. Insofern ist Spanien einfach Teil der Vergangenheit. Das geht vielen so. Die ganze Situation mit den Doppelpässen ist völlig problemlos.
Der Pass hat für mich den Charakter eines Souvenirs, wie ein Andenken an meine Geschichte. Rein materiell oder praktisch hat er keine grosse Bedeutung. Das hat natürlich im konkreten Fall damit zu tun, dass Spanien als EU-Mitglied die Personenfreizügigkeit hat und damit beide Pässe vom Administrativen her ungefähr das Gleiche bedeuten. Anders verhält es sich, wenn man etwa Bürgerin aus Indonesien oder den USA ist.
Als Schweizerin habe ich in Spanien fast die selben Rechte wie als Spanierin in der Schweiz. Aber das hängt natürlich davon ab, welche Staaten es betrifft und welche persönliche Lebensgeschichte damit zusammenhängt.
Ich habe sechs Jahre in Berlin gelebt während die Mauer fiel – das hat mich persönlich emotional mehr geprägt als der Bezug zu Spanien, weil ich ein historisches Ereignis hautnah miterleben durfte. Ich fühle mich deshalb Deutschland sehr verbunden.
«Warum soll eine Kassiererin zwei Pässe haben, aber ein Fussballer nicht? Beide haben einen Job, beide sind Profis.»
Wenn ich meinen Pass abgeben müsste, dann würde sich das wie Geringschätzung anfühlen. Als ob ich die Vergangenheit meiner Familie einfach aufgeben würde. Aber das ist sehr persönlich. Die Umstände, wie jemand zu einem Pass kommt, sind unterschiedlich, deshalb ist es schwierig, dazu allgemeingültige Aussagen zu machen.
In der Schweiz ist das Spezielle die Staatsbürgerschaft von unten nach oben – man wird in erster Linie in einer Gemeinde eingebürgert, daraus ergibt sich dann der Kanton und das Nationale, der rote Pass. In Spanien, einem zentralistischen Staat, funktioniert es von oben nach unten. Die Hauptstadt bestimmt darüber, wer spanisch sein darf und wer nicht.
Warum soll eine Kassiererin zwei Pässe haben, aber ein Fussballer nicht? Beide haben einen Job, beide sind Profis. Das ist doch keine Freiheit mehr. Es gibt überhaupt keinen Grund für den Fussball, in dieser Richtung vorzupreschen.»