Der «Tages-Anzeiger» titelte am Freitag ganz oben auf der Frontseite mit dem Satz: «Schweizer Fussballer sollen zweiten Pass abgeben müssen». Gemeint ist nicht ein Pass auf dem Spielfeld, sondern die Nationalität. Doppelbürger soll es keine mehr geben in der Nationalmannschaft. «Mit Doppelnationalitäten schaffen wir Probleme», titelte die «NZZ» zum selben Thema.
Man muss nicht jeden Steilpass von Rechtsaussen aufnehmen und weiterspielen. Doch die Forderung stammt nicht bloss von einem bedeutungslosen Lokalpolitiker. Ihr Urheber, Alex Miescher, ist Generalsekretär des Schweizerischen Fussballverbandes SFV. Und mit der Tagi-Front-Geschichte und der zeitgleichen Veröffentlichung des gleichen Interviews in der NZZ waren schweizweit Schlagzeilen garantiert.
Wer ist Alex Miescher, der Mann mit der Doppelpass-Idee? Welche Geschichte steckt hinter der Entstehung des Interviews? Und was lösen solche Aussagen bei Doppelbürgerinnen und Doppelbürgern von links bis rechts aus?
Miescher hatte die Idee schon vor der WM
Der 50-jährige Miescher wollte schon immer hoch hinaus. Er ist Oberst im Generalstab, ehemaliger Kampfpilot, ehemaliger Profischwimmer, ehemaliger Präsident des Schweizerischen Schwimmverbands (2006 bis 2009) und FDP-Gemeindepolitiker im Kanton Solothurn. Im Oktober 2011 verfehlte er einen Sitz im Nationalrat um 3000 Stimmen. Generalsekretär des Schweizerischen Fussballverbands SFV ist Miescher seit 2009.
Bisher bewegte sich Miescher immer knapp unter dem Radar einer grösseren Schweizer Öffentlichkeit. Ihm werden Ambitionen auf höhere Ämter nachgesagt. Auf die Präsidentschaft des SFV etwa. Öffentliche Aufmerksamkeit hat er nun mit seiner Doppelpass-Idee auf sicher. Aber womöglich entpuppt sich diese als Eigengoal.
Zwar suggerieren die veröffentlichten Interviews einen Zusammenhang zwischen der Doppeladler-Debatte nach dem Spiel gegen Serbien und der Doppelpass-Idee. Doch Miescher trat die Reise nach Russland laut Informationen der TagesWoche mit diesem Plan im Kopf an. Das will der Verband zwar nicht explizit bestätigen. SFV-Sprecher Marco von Ah räumt allerdings ein: «Die Gedanken zu diesem Thema machen wir uns beim Verband schon viel länger».
So ganz wohl ist dem Verband nicht bei der Sache. Er geht sanft auf Distanz. Auf die Frage, ob die Aussage des Generalsekretärs die Meinung des Verbands widerspiegle, antwortet Marco von Ah, es sei «vor allem die Lancierung einer Diskussion über ein facettenreiches Thema.» Die Lancierung sei «aber nicht auf Basis eines Beschlusses von Zentralvorstand oder Verbandsrat» entstanden.
SFV sperrte Interview für den Match-Tag
Sprich: Der Generalsekretär dribbelte sich mit einem Sololauf ins Abseits. Man war sich beim SFV der Problematik, die in Mieschers Aussagen steckt, durchaus bewusst. Denn «Tagesanzeiger» und NZZ wollten das Interview am Dienstag veröffentlichen – am Tag des Achtelfinalspiels Schweden – Schweiz. Aber dagegen legte der Verband sein Veto ein. Marco von Ah: «Das wollten wir nicht, weil am Spieltag eines WM-Achtelfinals der Sport im Vordergrund stehen soll. Die Redaktionen waren um 9 Uhr morgens entsprechend informiert.»
Warum die Doppelpass-Idee schon aus rein praktischen Gründen eine ganz schlechte Idee ist, – das pure Gegenteil einer lösungsorientierten Vorgehensweise – hat «Watson» hier aufgezeichnet.
Nur meinte Miescher nicht nur den Fussball. Er stellt Doppelbürgerschaften – 25 Prozent der Schweizer Bevölkerung haben zwei oder mehr Staatsbürgerschaften – grundsätzlich infrage. «Wir schaffen ja auch Probleme, wenn wir die Mehrfachnationalität ermöglichen. Nicht nur auf den Fussball bezogen», sagte der SFV-Generalsekretär konkret. Auf diese Aussage angesprochen geht der SFV-Sprecher am deutlichsten auf Distanz: Es gehe nicht an, «aus einem Satz eine Grundhaltung eines Verbandes zu konstruieren», lässt er die TagesWoche wissen.
«Totaler Schwachsinn»
Doch das Foul wurde vollzogen. Bei vielen Doppelbürgern sitzen Unverständnis und Schock tief. «Völlig absurd» sagt der Basler FDP-Präsident und Doppelbürger Luca Urgese, er habe «kein Verständnis» für die Idee.
«Totaler Schwachsinn», kommentiert Isabel Garcia, Präsidentin des Vereins Secondas Zürich, die Debatte. Und die Soziologin Prof. Dr. Bilgin Ayata von der Universität Basel erklärt, warum die Idee «aus demokratischer Perspektive problematisch und wenig zielführend» ist.
Laut der Zeitschrift «Schweizer Soldat» hat Alex Miescher, der Politiker, sich im Wahlkampf im Kanton Solothurn mit diversen Slogans empfohlen. «Mehr Chrampfer, weniger Schnurris», forderte er, und «mehr Vernunft, weniger Schikanen». Möge er sich seine eigenen Leitsprüche zu Herzen nehmen.