Bei «Ketzern» kannte Calvin keine Gnade. Sebastian Castellio (1515–1563) mochte das nicht hinnehmen und erhob Einspruch – mit stichhaltigen Argumenten.
«Einen Menschen töten heisst nicht eine Lehre verteidigen, sondern einen Menschen töten.» Dieser Satz, 1554 von Sebastian Castellio in Basel niedergeschrieben, war keine humanistische Stilübung. Er war vielmehr Teil einer heftigen Kontroverse, in der Anhänger der Reformation mit der Frage rangen, wie mit unterschiedlichen Auffassungen innerhalb des christlichen Glaubens umzugehen sei.
Der Satz von Sebastian Castellio im Original.
Ein Jahr zuvor, am 27. Oktober 1553, war der spanische Arzt und Humanist Michel Servet unter entsetzlichen Qualen in den Flammen eines Scheiterhaufens gestorben. Mitverbrannt wurde das Buch, mit dem Servet sowohl den Unwillen der katholischen Inquisition wie auch jenen des Genfer Reformators Johannes Calvin erregt hatte.
Eine deutsche Übersetzung der Schrift «Über die Ketzer und ob man sie verfolgen soll» findet sich in Wolfgang F. Stammler (Hrsg.): «Das Manifest der Toleranz», Alcorde Verlag, Essen 2013. Dieser Band enthält auch Auszüge aus der vergriffenen Castellio-Biografie von Hans R. Guggisberg sowie aus Stefan Zweigs 1936 erschienenem Buch «Castellio gegen Calvin oder Ein Gewissen gegen die Gewalt». Mit Uwe Plaths Buch «Der Fall Servet und die Kontroverse um die Freiheit des Glaubens und Gewissens – Castellio, Calvin und Basel 1552–1556» hat der Alconde Verlag 2014 die leicht überarbeitete Neuausgabe einer gründlichen Dissertation aufgelegt, die 1974 unter dem Titel «Calvin und Basel» erschien.
Das wahre Wesen Gottes
Im Zentrum der Auseinandersetzung stand die Frage nach dem wahren Wesen Gottes. Für die katholischen und reformierten Religionswächter war Gott eine Dreiheit von Vater, Sohn und Heiligem Geist. Nach Servets Ansicht tritt Gott uns Menschen dagegen als Deus omniformis in mannigfachen Erscheinungen, Emanationen, entgegen. Wer hat recht? Eine Frage, über die man sich, wenn es denn sein muss, den Kopf zerbrechen kann. Aber darf es sein, dass die Antwort darauf über Leben und Tod eines Menschen entscheidet?
Für Calvin stand 1553 fest: Wer die falsche Antwort gibt und sie beharrlich verteidigt, hat sein Leben verwirkt. Bedauerlicherweise war Calvin in der Lage, diese Ansicht auch in die Tat umzusetzen.
Calvins Hoffnung
Auf seiner Flucht vor der katholischen Inquisition war Servet, der zuvor unter falschem Namen in Frankreich gelebt hatte, schliesslich auch in das reformierte Genf gekommen. Dort war er am 13. August 1553 beim Besuch eines Gottesdienstes erkannt und auf Veranlassung Calvins verhaftet worden. Nach den ersten Verhören Servets begann am 17. August der Prozess gegen ihn. Drei Tage später schrieb Calvin seinem Freund Guillaume Farel, er hoffe «wenigstens auf ein Todesurteil, doch wünsche ich nicht, dass die härteste Strafe angewendet wird». Nichtsdestotrotz wurde Servet schliesslich verbrannt und nicht geköpft.
Castellios Einspruch
Hätte damals ein Kreis von Basler Humanisten das Sagen gehabt, so wäre Servet nicht umgebracht worden. Einer von ihnen, der Savoyarde Sebastian Castellio, gab wenige Monate nach dem Genfer Prozess unter dem Pseudonym Martinus Bellius ein Büchlein mit dem Titel «Über Ketzer und ob man sie verfolgen soll oder wie überhaupt mit ihnen zu verfahren sei» heraus. Dabei handelte es sich um eine Sammlung von Texten aus jüngerer und älterer Zeit, deren Verfasser sich gegen die Tötung von Ketzern aussprachen.
Dem Leser wurde die Schrift angepriesen als «ein in dieser so stürmischen Zeit höchst notwendiges und aller Welt wie auch den mächtigsten Fürsten und Obrigkeiten sehr nützliches Buch, auf dass sie daraus lernen, was ihre Pflicht sei in einer solch umkämpften und gefährlichen Angelegenheit.»
Im Vorwort machte Castellio seinen Standpunkt unmissverständlich klar: «Wer würde nicht glauben, dass Christus eine Art Moloch oder irgendein Gott dieser Art sei, wenn er will, dass ihm lebendige Menschen als Opfer dargebracht und verbrannt werden? Wer würde denn Christus dienen wollen unter der Bedingung, dass er, wenn er bei all diesen Streitfragen in irgendeiner Sache anders dächte als jene, die Macht haben über die anderen, auf Christi eigenes Geheiss hin lebendigen Leibes grausamer verbrannt würde als im Stier des Phalaris?»
Ein Weglein im St.-Alban-Tal
Als Calvin darauf die Hinrichtung Servets in einer Schrift verteidigte, doppelte Castellio in einer Entgegnung nach. Darin finden sich neben dem eingangs zitierten Satz eine Reihe von scharfsinnigen Einwürfen. Zum Beispiel dieser: «Eine Lehre zu verteidigen ist nicht Aufgabe der Behörden, sondern eines Gelehrten. Dagegen ist es Aufgabe der Behörden, einen Gelehrten, gleich wie einen Bauern, einen Handwerker oder einen Arzt und die übrigen gegen Unrecht zu schützen. Hätte Servet Calvin nach dem Leben getrachtet, so hätten die Behörden Calvin zu Recht verteidigt. Aber da Servet mit Argumenten und Schriften kämpfte, hätte man seinen Ansichten mit Argumenten und Schriften entgegentreten sollen.» Die Schrift mit dem Titel «Contra libellum Calvini» erschien zu Castellios Lebzeiten allerdings nicht im Druck.
Im Jahr 1563 sah sich Castellio in Basel gar selbst mit einer Anklage wegen Ketzerei konfrontiert. Noch bevor ein Urteil gefällt wurde, starb Castellio am 29. Dezember 1563. 1982 benannte die Stadt Basel ein Weglein im St.-Alban-Tal nach ihm.