Überraschungspost

260 Gigabytes voller Informationen über Steuerhinterzieher wurden vom «Internationalen Konsortium Investigativer Journalisten» ausgewertet – eine gewaltige Menge. Die Geschichte einer einmaligen Recherche.

ARCHIV --- ZU DEN MELDUNGEN ZUR STUDIE DER SANTESUISSE STELLEN WIR IHNEN FOLGENDES THEMENBILD ZUR VERFUEGUNG --- A view of Singapore's skyline as seen from the Marina Bay Sands resort in Singapore, 01 November 2012. Singapore's GDP fell an annualized 1.5 (Bild: STEPHEN MORRISON)

260 Gigabytes voller Informationen über Steuerhinterzieher wurden vom «Internationalen Konsortium Investigativer Journalisten» ausgewertet – eine gewaltige Menge. Die Geschichte einer einmaligen Recherche.

Am Anfang der Aufdeckung geheimer Schwarzgeldkonten stand ein Paket von der Post. Darin war eine Computer-Festplatte mit Informationen über viele Unternehmen. Gerard Ryle, der Direktor des Internationalen Konsortiums Investigativer Journalisten (ICIJ), kam in den Besitz des kleinen schwarzen Gehäuses. Zuvor hatte er drei Jahre lang über den australischen Firepower-Skandal recherchiert, in dem es um Steueroasen und Unternehmensbetrug ging.

Die Festplatte enthielt mehr als 260 Gigabyte. Das entspricht etwa einer halben Million Bücher: zwei Millionen E-Mails, vier grosse Datenbanken, Details über mehr als 122.000 Briefkastenfirmen und Trusts, Angaben über fast 12.000 Mittelsmänner.

Im Unterschied zu dem verhältnismässig kleinen Paket mit US-amerikanischen Botschaftsdepeschen und Kriegsprotokollen, das 2010 an Wikileaks weitergeleitet wurde, waren die Schwarzgeld-Dateien nicht vorsortiert. Es handelte sich vielmehr um eine lose Zusammenstellung interner Memos und Anweisungen, offizieller Dokumente, E-Mails, kleinen und grossen Datenbanken, Tabellen, gescannter Ausweise und Geschäftsbücher.

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Spezialprogramme zur Auswertung

Um die gewaltige Menge an Informationen analysieren zu können, benutzten die Journalisten eine Software mit dem Namen «free text retrieval», die mit grossen Mengen unsortierter Daten arbeiten kann. Solche Spezialsysteme werden seit ungefähr zehn Jahren an Geheimdienste, Kanzleien und Unternehmen verkauft. Der Journalismus holt hier gerade erst auf.

Zu den namentlich genannten Inhabern der Schwarzgeldkonten zählen Shareholder, Direktoren, Sekretäre, Anwälte, Steuerberater, Strohmänner und Treuhänder. Erwähnt sind legale Instrumente zur Steuervermeidung. Als Hintermänner und wirkliche Nutzniesser erwiesen sich oft die so genannten Gründer und Schutzherren der Offshore-Trusts sowie diejenigen, die die rechtliche Verfügungsgewalt über die Fonds haben und dadurch heimlich die Kontrolle über die Konten ausüben können.

Bei der Recherche ergab sich, dass die meisten Schwarzgeldanleger aus China, Hong Kong, Taiwan, der Russischen Föderation und den Ländern der ehemaligen Sowjetunion kommen. Die britischen Virgin Islands sind der zweitgrösste Anlageort für chinesische Kapitalinvestitionen. Zypern, als Steuerpardies gerade in der Krise, wird ebenfalls als wichtiger Anlageort für russische Investoren genannt.

Es ist das erste Mal, dass Journalisten aus 46 verschiedenen Ländern an einem solchen Projekt zusammengearbeitet haben. Zuerst wollte das ICIJ-Team über verschlüsselte E-Mail-Systeme wie PGP («Pretty Good Privacy») kommunizieren. Weil die aber sehr komplex und unzuverlässig sind, kosteten sie die Journalisten sehr viel Zeit und man verwarf das Vorhaben.

Unterdessen entwickelten Programmierer aus Deutschland, Grossbritannien und Costa Rica eine spezielle Datenbearbeitungs-Software für das ICIJ. Durch die manuelle Analyse liess sich herausfinden, in welchen Ländern das ICIJ noch Verstärkung brauchte.

Analyse nach Ländern

Das ICIJ-interne Suchsystem namens Interdata wurde von einem britischen Programmier in einer Zeit entwickelt, als sich Dutzende neuer Journalisten dem Projekt anschlossen. Mit Interdata konnten sie auf Kopien der 2,5 Millionen Dokumente zugreifen, die für ihr jeweiliges Land relevant waren.

Das ICIJ rekonstruierte einige der Datenbanken, um ihren Originalzustand wieder herzustellen. Doch es kam zu Überraschungen. Die Datenbanken waren so formatiert worden, dass man feststellen konnte, wer hinter jedem einzelnen Unternehmen steckte – so wie es von den internationalen Regeln zur Vermeidung von Geldwäsche vorgeschrieben ist. Die Journalisten hofften, die Wahrheit befinde sich nur einen Klick weit entfernt.

Doch die Felder in der Rubrik «Begünstiger» waren oft leer. Die Offshore-Agenturen hatten ihre rechtliche Verantwortung oft an Mittelsmänner in anderen Ländern übertragen. Die leeren Felder waren also kein Versehen, sondern System. Nur gelegentlich erschien ein Warnung mit dem Hinweis auf die Daten desjenigen, dem die Anlagen wirklich gehören. Aber Geduld und Hartnäckigkeit zahlten sich aus. Man stiess nicht nur auf prominente Namen, sondern gewann auch Einblicke in die komplexen Methoden, mit denen die Vermögen versteckt werden.

(Copyright: Guardian News & Media Ltd 2012; zuerst erschienen bei «freitag.de»).

Eine Zusammenfassung der ersten Artikel zum Offshoreleak:


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