Uni Basel geht leer aus beim Millionenmolekül

Für einen an der Universität Basel erforschten Wirkstoff zahlt der Pharmakonzern Pfizer 340 Millionen Dollar. Die Uni sah davon bis heute keinen Rappen.

Die Universität Basel erforscht den Wirkstoff GMI-1070 und überlässt das Geschäft dem Pharmakonzern Pfizer. (Bild: Nils Fisch)

Für einen an der Universität Basel erforschten Wirkstoff zahlt der Pharmakonzern Pfizer 340 Millionen Dollar. Die Uni sah davon bis heute keinen Rappen.

Die Geschichte des Moleküls GMI-1070 tönt wie eine unglaubliche Erfolgsgeschichte — nur nicht für die Universität Basel. Dabei hat ein Forscherteam rund um Professor Beat Ernst den millionenträchtigen Wirkstoff überhaupt erst erforscht.

Im April meldete die amerika­nische Biotechfirma Glycomimetics erste Ergebnisse einer Doppelblindstudie in 22 amerikanischen und kanadischen Kliniken. «Wir sind damit sehr zufrieden», wird die Leiterin der Entwicklungsabteilung in der Pressemitteilung zitiert.

Einen Monat später zog die Uni Basel nach: Der Wirkstoff GMI-1070 sei erfolgreich an Patienten mit Sichel­zellenanämie getestet worden. Damit erreicht GMI-1070 einen entscheidenden Meilenstein auf dem langen Weg des Wirkstoffes bis zur Einführung als Medikament auf dem Markt.

Doch trotz erfolgreicher klinischer Phase II sieht die Universität bis heute kein Geld. Entsprechende Recherchen der TagesWoche bestätigt Herbert Reutimann, Geschäftsführer der Technologietransferfirma Unitectra: «Im Rahmen der Weiterentwicklung von GMI-1070» seien bisher keine Gelder an die Uni Basel geflossen.

Branchenkenner zeigen sich überrascht

Das überrascht selbst Branchenkenner, denn die amerikanische Biotechfirma Glycomimetics hat die Lizenz für den Wirkstoff bereits im Dezember 2011 für 340 Millionen Dollar an den Pharmariesen Pfizer verkauft. Das ist auch für die Pharmabranche ein ungewöhnlich hoher Preis. «Eine Finanzierung in dieser Dimension ist herausragend», erklärt Salvatore Volante von der Pharmaberatungsfirma mmconsult. Wenn Pfizer bereit sei, so viel zu zahlen, rechne der Konzern mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit damit, das Medikament einmal auf den Markt bringen zu können.

Einen so hohen Preis zu bezahlen ist ein Pharmaunternehmen auch nur dann bereit, wenn es sich gute Chancen für einen Verkaufsschlager ausrechnet. Dies bestätigte Pharma-Analyst Karl-Heinz Koch gegenüber der TagesWoche, kurz nachdem der Deal bekannt geworden war: «Dieser Wirkstoff hat ein Potenzial von jährlichen Umsätzen in Milliardenhöhe.»

Pfizer rechnet also damit, dass GMI-1070 das Potenzial zum sogenannten Blockbuster hat. Zum Kassenschlager dürfte das Mittel dabei aber kaum wegen seiner Hauptwirkung gegen die Blutkrankheit Sichelzellen­anämie werden. Denn diese ist vor allem auf der südlichen, aber ärmeren Halbkugel verbreitet. Der Pharmariese verspricht sich von der neuen Substanz auch eine gute Wirkung bei Asthma, Arthritis und Infarkten: Denn mit dem Wirkstoff lassen sich etwa schmerzhafte Blutgerinnsel auflösen.

Uni müsste bereits ein paar Millionen kassiert haben

Allen guten Nachrichten zum Trotz: Vom Geldsegen des 340-Millionen-Vertrags hat die Uni noch keinen Rappen gesehen. Dies, obwohl es in solchen Lizenzverträgen üblich ist, dass jeweils eine Tranche der Gesamtsumme fällig wird, wenn ein sogenannter Meilenstein erreicht wird. Gewöhnlich ist der erste solche Meilenstein der Vertragsabschluss. Weitere Zahlungen würden etwa nach der erfolgreichen klinischen Phase I fällig, in der die Verträglichkeit geprüft wird oder nach der Phase II, in welcher die Wirkung untersucht wird, erklärte Pharmaberater Volante. Er arbeitet häufig solche Verträge aus.

Selbst wenn die Biotechfirma Glycomimetics die Hauptinvestition in die Weiterentwicklung von GMI-1070 getätigt hat, müsste die Universität demnach bereits ein paar Millionen kassiert haben. Kommt hinzu, dass die Uni eigentlich am Umsatz beteiligt sein müsste, wenn das Medikament auf den Markt kommen sollte.

Uniratspräsident Ueli Vischer ist auch Verwaltungsrat bei einer Investmentgesellschaft für Biotechfirmen

Wenn die Uni bis jetzt aber leer ausging, verstärkt dies den Verdacht: Die Forscher im Solde der Uni sind auf eine Perle gestossen und haben das grosse Geschäft der Pharmaindustrie überlassen. Der fast ausschliesslich aus Wirtschaftsvertretern zusammengesetzte Unirat wird vom ehemaligen Regierungsrat Ueli Vischer präsidiert. Er ist zugleich Verwaltungsrat der Firma BioMedPartners. Diese Firma investiert als BioMedInvest einen dreistelligen Millionenbetrag in Biotechfirmen wie die Glycomimetics. Als die TagesWoche Vischer bereits vor einem Jahr damit konfrontierte, sah er in seiner Doppelrolle keinen Interessenskonflikt: Die Universität habe von den Trägerkantonen auch den Auftrag, «Spin-offs zu produzieren, welche in der regionalen Wirtschaft einen Mehrwert erzielen sollen». Diese müssen finanziert werden, und dazu seien Kapitalgeber wie die BioMedInvest da – im Interesse der Universität und der Region.

Und was sagt der weltgrösste Pharmakonzern Pfizer: Wie beurteilt Pfizer das Ergebnis der klinischen Phase II, wie das Potenzial von GMI-1070? In welchem Umfang hat Pfizer bereits Lizenzzahlungen geleistet, wie viel an die Uni Basel? Pfizer beantwortet keine der Fragen der TagesWoche. Nach mehrfachen Nachfragen schickt die Pressestelle dann doch noch eine Mail: keine Stellungnahme.

Vertrag bleibt geheim

Die Universität Basel hingegen kann sich nicht so einfach einer Stellungnahme entziehen. Schliesslich untersteht sie dem Öffentlichkeits­gesetz. Doch auch hier gibt es keine Antwort. Die Uni schreibt nur, dass sie an einem allfälligen kommerziellen Erfolg von GMI-1070 beteiligt sein werde.

Doch wann und wie viel das sein wird, bleibt offen. Die Uni verweigert den Einblick in die entsprechenden Verträge. «Leider können wir in die Zusammenarbeitsvereinbarung sowie die Lizenzvereinbarung keine Einsicht geben. Die Vereinbarungen enthalten eine Vertraulichkeitsklausel», so Matthias Geering, Leiter Kommunikation der Universität Basel.

Sowohl die Uni als auch Glycomimetics und Pfizer wollten die Verträge geheim halten, weil diese Geschäftsgeheimnisse enthielten. Zudem würde die Universität keine Partner mehr für Technologietransfer finden, wenn diese befürchten müssten, dass die Zusammenarbeits- und Lizenzverträge, die Geschäftsgeheimnisse enthielten, öffentlich würden, begründet die Uni diese Geheimniskrämerei.

Parlamentarische Kommission überprüft jetzt die Verträge.

Abklären, ob die Uni der Industrie ihre wertvollen Forschungsergebnisse für einen Spottpreis verkauft, müsste die interparlamentarische Geschäftsprüfungskommission der Uni Basel. Sie kann einen vertieften Einblick in die Rechnung und Geschäfte der Uni verlangen. Die Kommission setzt sich aus Mitgliedern des Baselbieter Landrats und des Basler Grossen Rats zusammen.

Kommission schaltet sich ein

Der Kommissionspräsident, Grossrat Oskar Herzig, erklärt auf Anfrage der TagesWoche, dass die Kommission bezüglich des Wirkstoffs GMI-1070 bei der Universität vorstellig geworden sei. Die Kommission sei momentan daran, «Einblick in die Vereinbarung zu bekommen». Mehr könne er dazu nicht sagen, weil es sich um eine laufende Aktivität handle. Herzig betont aber, dass dies im Einvernehmen mit der Uni geschehe.

Ganz so gut scheint das Einvernehmen zwischen Uni und Geschäfsprüfungskommission aber doch nicht zu sein. Denn die alljährliche Sitzung zwischen der Universität und der Kommission fand bereits im Juni statt. Hätte sich die Uni so einvernehmlich von den Parlamentariern in die Bücher blicken lassen, müsste die Kommission zumindest die Eckwerte der Vereinbarung längst kennen. So aber bleibt die vermeintliche Erfolgsgeschichte der Universität Basel weiter im Dunkeln.

Wer sich für den Wirkungsmechanismus von GMI-1070 interessiert, findet auf der Website des Wissenschaftsjournalisten Patrik Tschudin ausführliche Informationen im ersten Teil eines halbstündigen Radiobeitrags der Sendung Kontext auf SRF2.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 02.08.13

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