Lukas Straumann ist seit 20 Jahren Geschäftsleiter des Bruno Manser Fonds. Von Basel aus kämpft er für den Schutz des Urwalds auf Borneo und die Rechte der Urvölker. Doch viele Ureinwohner haben andere Pläne als ein Leben im Regenwald.
Der Basler Bruno Manser ist vor 15 Jahren auf der Tropeninsel Borneo unter ungeklärten Umständen verschollen. Zuvor kämpfte er viele Jahre lang für den Schutz der dortigen Urwälder und den Lebensraum eines Volkes: der Penan.
Gemeinsam mit den indigenen Waldbewohnern wehrte sich Manser gegen die Abholzung und wurde innert weniger Jahre zum Staatsfeind von Sarawak, dem malaysischen Teilstaat auf Borneo. Seit seinem Verschwinden setzt der Bruno Manser Fonds seinen Kampf fort, mit demselben Ziel, aber mit anderen Mitteln.
Sein Büro hat der Fonds in Basel an der Socinstrasse. An den Wänden hängen Landkarten von bewaldeten Hügeln, Holzspeere und Zeichnungen der Penan. Das 11’000 Kilometer entfernte Borneo scheint in greifbarer Nähe. Insgesamt fünf Mitarbeiter engagieren sich von hier für die Rechte der Penan und den Schutz des verbliebenen Waldes.
Kampf mit rechtlichen Mitteln
Anders als Bruno Manser kämpft Geschäftsleiter Lukas Straumann mit seinem Team auch auf rechtlichem Weg. Gemeinsam mit den Penan hat der Fonds mehrere Landrechtsklagen eingereicht. Und auch gegen den ehemaligen Premierminister von Sawarak, Abdul Taib Mahmud, geht der Fonds vor.
Lukas Straumann veröffentlichte im vergangenen Jahr ein Buch über Mahmuds Machenschaften und reichte mehrere Klagen ein, unter anderem wegen Korruption und Geldwäscherei.
In Sawarak hat sich bereits vieles verändert. Rund 90 Prozent des Urwaldes sind verschwunden, und viele Penan sehnen sich nach einem moderneren Leben.
Herr Straumann, vor 30 Jahren prägte Bruno Manser die Vorstellung der Penan in der Schweiz. Das Bild eines Urwaldvolkes mit Lendenschürzen und Blasrohr existiert bis heute. Sollten wir uns davon verabschieden?
Die Jagd mit dem Blasrohr existiert noch immer, vieles hat sich aber verändert. In den vergangenen 20 Jahren sind auch die letzten Nomaden weitestgehend sesshaft geworden. Sie ziehen immer noch durch den Wald, jagen und fischen. Aber sie haben einen festen Ausgangspunkt, an den sie immer wieder zurückkehren. Die bekannten Bilder sind 30 Jahre alt und waren bereits damals häufig inszeniert. Man darf sich aber von Oberflächlichkeiten nicht täuschen lassen. Ein Penan bleibt auch ein Penan, wenn er ein T-Shirt und Hosen trägt.
Die Waldfläche ist dramatisch geschrumpft. Sind damit auch die Voraussetzungen für ein nomadisches Leben verschwunden?
Die natürliche Voraussetzung für ein nomadisches Leben fehlt heute in vielen Gebieten. Viele Penan wollen auch am modernen Leben teilhaben. Das nomadische Leben bringt viele Anstrengungen mit sich. Vor allem die jüngere Generation ist dazu nicht mehr in dem Masse bereit wie ihre Eltern.
Die junge Generation sehnt sich nach einem moderneren Leben?
Man kann sich das ein wenig vorstellen wie bei uns in den Bergen. Viele Junge sind dort verwurzelt, wollen aber kein Leben als Bergbauer führen. Also gehen sie in die Stadt für eine Ausbildung. Ähnlich ist das auch in Borneo. In der Stadt werden die Penan aber häufig marginalisiert und finden keinen Anschluss. Zur Familiengründung kehren dann viele wieder zurück in ihre Dörfer.
«Wir gehen nicht nach Sawarak und sagen den Menschen, wie sie leben sollen.»
Bruno Manser kämpfte auch für den Erhalt der traditionellen Lebensform. Wie gehen Sie mit dem Wandel um?
Wir gehen nicht nach Sawarak und sagen den Menschen, wie sie leben sollen. Sie müssen ihren Entwicklungsweg selber bestimmen. Mit unserer Arbeit wollen wir sie bei einem selbstbestimmten Leben im natürlichen Umfeld unterstützen. Unser Hauptziel ist der Schutz des primären Regenwalds und die Respektierung der Rechte der Penan: die Rechte auf ihr Land, auf ihre eigene Kultur.
Wir leben fast 11’000 Kilometer entfernt von Borneo. Wie können Sie von hier aus überhaupt etwas bewirken?
Dank dem Internet können wir diese Distanz überbrücken. Wir stehen in täglichem Austausch mit den Penan und unseren Partnern auf Borneo. Zudem reisen wir regelmässig dorthin. Der deutsche Philosoph Hans Jonas sagte in Anlehnung an einen Begriff von Friedrich Nietzsche, es brauche nicht nur die Nächstenliebe, sondern auch die Fernstenliebe.
Sie kommunizieren mit den Penan per Internet?
Die digitalen Kommunikationsmittel spielen vor allem für die jüngere Generation eine zunehmend grosse Rolle. Einige sagen uns, sie möchten gerne ein Handy, Laptop oder sogar einen Satellitenfernseher haben.
«Wenn die Sprache verschwindet, geht auch der Zugang zur Tradition verloren.»
Können die Penan ihre Kultur trotz des Wandels erhalten?
Zwei Aspekte sind dafür entscheidend: dass sie in einer intakten Umwelt leben können und dass ihre Sprache erhalten bleibt. Dafür setzen wir uns ein. Denn wenn die Sprache verschwindet, geht auch der Zugang zur Tradition verloren. Deshalb bieten wir für Kinder der Penan eine Vorschule an, in der sie in ihrer eigenen Sprache lesen und schreiben lernen. Mit dieser Vorbereitung fällt ihnen auch der Anschluss an eine öffentliche Schule einfacher.
Vorausgesetzt, die Penan gibt es irgendwann nicht mehr, wäre das auch das Ende des Bruno Manser Fonds?
Ich glaube nicht, dass es die Penan nicht mehr geben wird. Wir sehen ja, diese Leute haben Kinder und Enkel.
Sagen wir, wenn sie sich vom Regenwald verabschieden würden.
Wir haben zwei Ziele: den Schutz des Waldes und die Stärkung der indigenen Bevölkerung. Es kommt immer wieder vor, dass die Penan für ihren Wald Geldangebote bekommen. Wenn dann eine Gemeinschaft einwilligt, ist es nicht unsere Aufgabe, dabei mitzuhelfen. Wir arbeiten mit jenen Gemeinschaften zusammen, die ihr Gebiet schützen wollen.
Wer in den Ferienkatalogen von Borneo blättert, sieht eine dicht bewaldete, paradiesische Insel. Ist das eine Illusion?
Borneo ist ein Paradies, oder zumindest war es das einmal. Es gibt kaum eine andere Region auf der Welt mit so vielen Pflanzen und Tierarten. Alleine im Teilstaat Sarawak leben zudem 35 indigene Völker.
Ein Paradies, das keines mehr ist?
In den 1970er-Jahren setzte auf Borneo eine gewaltige Veränderung ein. Die grossen Abholzungen begannen zuerst in den Küstengebieten. Dort standen einige der artenreichsten Wälder der Welt. Danach drang die Holzindustrie immer stärker ins Landesinnere vor. Zuerst fielen die allergrössten Bäume, dann die kleineren, und im dritten Anlauf holten sich die Unternehmen, was noch übrig war. Heute werden grosse Flächen in Palmöl-Plantagen umgewandelt oder für schnell wachsendes Holz verwendet. Das zerstört Ökologie und Sozialstrukturen grundlegend. Absurderweise begann die Vermarktung des Regenwaldes erst, nachdem er bereits zu einem grossen Teil zerstört worden war.
«In Sarawak war 30 Jahre lang ein Regierungschef an der Macht, der sein Amt missbrauchte.»
Ihr Fonds kämpft für die Penan und den Regenwald. Auf der anderen Seite stehen korrupte Minister und Holzbaufirmen. Tropenhölzer sind nach wie vor gefragt. Ist eine der Hauptursachen nicht unser Konsumverhalten?
Die Abholzung des Regenwalds hat nicht nur mit Angebot und Nachfrage zu tun. Es geht auch um Machtstrukturen. In Sarawak war 30 Jahre lang ein Regierungschef an der Macht, der sein Amt missbrauchte. Mit der Abholzung der Regenwälder bereicherte er sich und seine Familie. Ohne Rücksicht auf das Ökosystem oder die Ureinwohner. Unser Engagement ist also auch ein Kampf gegen die Ungerechtigkeit.
Dieser Regierungschef, Abdul Taib Mahmud, ist auch die zentrale Figur Ihres Buches. Darin erheben Sie neben Amtsmissbrauch weitere Vorwürfe. Sie schreiben von Korruption und Geldwäscherei.
Wir haben Beweise, dass Mahmud gemeinsam mit seinen Geschwistern und Kindern weltweit an mindestens 400 Firmen beteiligt ist. Alleine die Firmen in Malaysia haben einen Wert von 1,2 Milliarden US-Dollar. Die Familie hat enorme Vermögenswerte angehäuft, auf Kosten von Dritten wie den Penan.
Ein korrupter Regierungschef scheint fast ein etwas sehr einfaches Feindbild.
Nein, einfach ist das überhaupt nicht. Mahmud ist ein Faktor neben anderen, aber ein wesentlicher. Viele andere Diktatoren und Despoten haben sich anhand der Regenwälder bereichert. Selbstverständlich kann man den Regenwald auch auf demokratischem Weg zerstören. In Sarawak ist es aber so, dass sich damit primär eine einzige Person und deren Familie bereichert haben.
Wann begann der Kampf gegen Mahmuds Machenschaften?
Mahmud kam vor über 30 Jahren an die Macht. Bruno Manser wollte bereits gegen ihn vorgehen und flog mit einem Hängegleiter auf seine Residenz. Später versuchte er erfolglos, mit ihm zu verhandeln. Was man aber lange unterschätzt hatte, war die kriminelle Energie von Taib Mahmud. Auch in seinem Amt als Minister.
«Wir gehen heute davon aus, dass Bruno Manser tot ist.»
Er war es auch, der ein Kopfgeld auf Bruno Mansers Verhaftung ausgesetzt hatte. Kurz bevor dieser dann auf Borneo verschwand. Glauben Sie, Mahmud trägt auch die Verantwortung für das Verschwinden von Manser?
Ich möchte nicht über die Ursache von Bruno Mansers Verschwinden spekulieren. Wir gehen heute davon aus, dass er tot ist. Wie er umgekommen ist, das bleibt ein Rätsel.
Sie haben ein Buch geschrieben und in verschiedenen Ländern gegen Mahmud und seine Familie Klagen eingereicht. Ist das nicht ein aussichtsloses Unterfangen?
Wenn jemand illegal Regenwald zerstört und sich damit bereichert, darf sich das nicht lohnen. Wir wollen, dass die Vermögenswerte im Ausland eingefroren werden. Und wir hoffen, dass dieses Geld in das Land zurückfliesst und dafür eingesetzt wird, wofür es ursprünglich gedacht war: für die Entwicklung des Landes. Wir wollten aufzeigen, wie diese Regierung funktionierte. In Sarawak hat dadurch ein Umdenken begonnen, die Kritik an Mahmud nimmt zu. Nicht zuletzt wegen unserer Kampagne wurde er von der Zentralregierung in Malaysia zum Rücktritt gedrängt.
Haben Sie Hoffnung, dass der neue Regierungschef, Tan Sri Adenan Satem, die Abholzung bremsen wird?
Kurz nach seinem Amtsantritt kündigte er an, er wolle die illegale Abholzung bekämpfen. Er zitierte die Chefs aller Holzfirmen zu sich und liess sie ein Gelübde unterschreiben. Sie mussten unterschreiben, dass sie die Gesetze respektieren und auf Korruption verzichten. Da ist vieles in Veränderung. Die Antikorruptionsbehörde hat zudem ein Verfahren gegen Mahmud eingeleitet. Auch das ist ein grosser Erfolg.
«Es gibt Leute die sich so sehr radikalisieren, dass ihnen niemand mehr zuhört.»
Dann wird die Arbeit des Bruno Manser Fonds bald überflüssig?
So wie ich es einschätze, wird sich die Situation eher noch zuspitzen. Je weniger Wald es gibt, desto mehr steigt der Druck auf die verbleibenden Flächen. Deshalb wird diese Art von Unterstützung weiterhin notwendig sein. Wer diese leisten wird, ist eine andere Frage. Das müssen nicht zwingend wir sein.
Was sind Ihre nächsten Ziele?
Ganz wichtig ist, dass wir die Landrechtsprozesse gewinnen, die wir gemeinsam mit den Penan eingereicht haben. Danach dürfen wir die Gemeinden nicht alleine lassen, denn es wird nicht lange dauern, bis die Penan Angebote für ihr Land erhalten werden. Eines unserer wichtigsten Ziele ist auch die Anerkennung des Penan Peace Park. Das ist ein von den Penan deklariertes Naturschutzgebiet. Zuerst wurde es für illegal erklärt, doch die Akzeptanz dafür ist am Wachsen.
Denken Sie, Bruno Manser wäre zufrieden mit der Arbeit des Fonds?
Vier Jahre, nachdem Bruno Manser verschwunden war, übernahm ich seinen Arbeitsplatz. Dass ich ihn nie getroffen hatte, machte es für mich auch einfacher. Mein Ziel war es von Anfang an, die Auseinandersetzung auch auf rechtlicher Ebene zu führen. Bruno Manser ging das zu lange. Er wollte sofort handeln, mit direkten Aktionen und Blockaden. Das schliesst sich gegenseitig nicht aus. Es ist aber ein etwas anderer Fokus. Und Manser wollte vielleicht auch einen gewissen Urzustand erhalten – oder was er dafür hielt. Da müssen wir auch realistisch sein: Wenn die Penan ein modernes Leben führen wollen, ist das ihr freier Wille. So wie uns niemand vorschreiben kann, dass wir drei Mal am Tag jodeln und am Abend Rösti essen sollen.
Für Bruno Manser war der Kampf für die Penan eine Herzensangelegenheit. Wie ist es für Sie?
Auch für mich ist diese Arbeit mit viel Leidenschaft verbunden. Ich versuche aber immer, eine professionelle Distanz aufrecht zu erhalten. Ohne Abgrenzung droht die Gefahr, dass Abnützung und Frustration zu gross werden und die Arbeit behindern. Es gibt auch Leute die sich so sehr radikalisieren, dass ihnen am Ende niemand mehr zuhört.
In seinem neusten Buch «Raubzug auf den Regenwald – auf den Spuren der malaysischen Holzmafia» dokumentiert Straumann die Tätigkeit des Bruno Manser Fonds und beschreibt die zentrale Rolle der Korruption für die weltweite Abholzung der tropischen Regenwälder.
Straumann ist verheiratet und Vater von zwei Kindern. Er lebt mit seiner Familie in Bern.