«Unter der dicken Haut liegt ein ganz feiner und feinfühliger Mensch»

Am Freitagabend erhielt Fussballer Alex Frei den Baselbieter Sportpreis des Jahres 2013. Die Laudatio hielt Josef Zindel, ehemaliger Kommunikationschef beim FC Basel. Wir präsentieren sie hier in leicht gekürzter Fassung.

Alex Frei erhält in Muttenz von Regierungsrat Urs Wüthrich (rechts) den Baselbieter Sportpreis. (Bild: Dominik Plüss)

Am Freitagabend erhielt Fussballer Alex Frei den Baselbieter Sportpreis des Jahres 2013. Die Laudatio hielt Josef Zindel, ehemaliger Kommunikationschef beim FC Basel. Wir präsentieren sie hier in leicht gekürzter Fassung.

Josef Zindel

Josef Zindel (Bild: Sacha Grossenbacher)

«Wenn Du nur halb so stolz auf diesen Preis bist, lieber Alex, wie wir Baselbieter stolz sind auf Dich, Deine grossartige Karriere, die in diesem Jahr zu Ende ging und auf Deine Karriere, die in diesem Jahr begann und die ebenfalls  grossartig verlaufen wird, dann darfst du sehr, sehr stolz sein.

Damit meine ich weniger stolz auf die Tatsache, dass Du als Stürmer der Senioren regional des FC Biel-Benken als Wintermeister in die Pause gehst, mit grossem Vorsprung auf den FC Riederwald notabene. Sondern vielmehr die Erkenntnis, dass Du offenbar Dein riesiges Fussballtalent reibungslos mitgenommen hast vom Strafraum in den Büroraum, vom angestellten Stürmer zum Mann, der Stürmer anstellt – und das in Luzern  auf Anhieb so saugut machst, dass bei diesem Klub, bei dem in den letzten Jahren nie Ruhe herrschte, derzeit kein Lüftchen weht.

Ok, dafür sollst Du in ein paar Jahren gerne mal den Luzerner Sportpreis erhalten – die heutige Anerkennung aus Deiner Baselbieter Heimat aber gebührt Dir natürlich in erster Linie für das, was Du als Fussballer in über 15 Jahren Vergangenheit geleistet hast.

Und das ist schlicht grossartig, ist fast phänomenal, ja, ich wage gar zu behaupten:

Dasch emool e Karriere!

Oder kann mir hier im Saal ein einziger Mensch einen anderen Baselbieter Fussballer nennen, der in vier Jahren beim FCB sechs Titel gewann, der in der gleichen Zeit zweimal Schweizer Torschützenkönig und zweimal Schweizer Spieler des Jahres wurde, der zuvor in der obersten Liga Frankreich Torschützenkönig war, der in einem einzigen Match gegen einen Weltmeister vier Tore schoss, nämlich mit Stade Rennes gegen den damaligen französischen Nationalgoalie Fabien Barthez von Olympique Marseille?

Tore gegen Barthez, Tore gegen alle Schweizer Torhüter, Länderspieltore gegen rund 40 Nationalgoalies dieser Welt: All das hat Alex Frei berühmt, eben irgendwie auch weltberühmt gemacht, auch wenn er schlechter Tennis spielt als Roger Federer.

Übertroffen aber werden all diese Alex-Frei-Goals vermutlich von zwei Treffern, deren Bedeutung nur erahnen kann, der einmal ein Revierderby miterlebt hat. Gemeint ist hier das Derby des deutschen Fussballs schlechthin, das Derby zwischen Borussia Dortmund und Schalke 04.

In unserem Fall reden wir vom Revierderby, das am 14. September 2008 vor über 80’000 Zuschauern im Dortmunder Stadion ausgetragen wurde. Alex Frei stand nach längerer Verletzungspause erstmals wieder im Dortmunder Aufgebot, hatte aber zuerst auf der Bank Platz zu nehmen.

Erst als Dortmund gegen den Erzrivalen 0:2 zurücklag, brachte Trainer Jürgen Klopp Alex Frei zu Beginn der zweiten Halbzeit ins Spiel. Vorerst aber musste Alex miterleben, wie die Schalker wenig später sogar 3:0 in Führung gingen – übrigens ganz ohne Schiedsrichterhilfe…

Und nun muss das durch den Kopf von Alex Frei gefahren sein, was wir zuvor und danach so oft erlebten haben von diesem aussergewöhnlichen Mann für aussergewöhnliche Tore: ‚Nicht mit mir!!‘ – das muss sich Alex Frei trotzig gesagt haben.

‚Nicht mit mir!!‘ – das muss sich Alex Frei trotzig gesagt haben.

Auf jeden Fall stand es eine gute halbe Stunde später 3:3, durch zwei Goals von Alex Frei in den letzten paar Spielminuten.

Wer so was leistet, wer gegen Schalke zweimal trifft und damit einen uneinholbaren Rückstand doch noch einholt, wird in Dortmund schlicht unsterblich.

Nach sechs Jahren als Stammspieler in Frankreich und Deutschland beendete Alex Frei im Sommer 2009 seine glanzvolle ausländische Karriere und kehrte heim.

Heim nach Basel.

Es war, wir blenden jetzt 15 Jahre zurück, keine Rückkehr an den Ort seiner ersten Triumphe. So was zu behaupten, wäre unehrliche Geschichtsschreibung.

Vielmehr war es eine Rückkehr an den Ort, aus dem sie ihn 15 Jahre zuvor vertrieben haben. Weil der damalige Trainer des FCB im Jahr 1998 weder das Talent noch das Potential dieses Torjägers erkannt hatte.

Es mag ja sein, dass man damals bei Alex ein zweites Mal hinschauen musste, um zu erkennen, was wirklich in ihm steckt. Denn er hatte nicht die technische Eleganz eines Platini und nicht die Schnelligkeit eines Mohamed Salah, er war auch nicht der Dribbler wie Shaqiri und schon gar nicht war er ein Kopfballungeheuer wie einst Hrubesch.

Wie um Himmels Willen aber hat denn dieser Alex Frei in 662 Profispielen 319 Tore schiessen können? Wie es zum Rekordtorschützen der Schweizer Nationalmannschaft gebracht?  Wie es geschafft, innerhalb von wenigen Wochen den Torhüter von Manchester United dreimal zu bezwingen? Wie wird so einer Torschützenkönig im Land des Weltmeisters und unvergessener Liebling des Publikums in Rennes und in Dortmund?

Ganz sicher nicht ohne Talent, ganz sicher nicht ohne herausragende Fähigkeiten – aber das haben andere Fussballer auch. Was Alex Frei jedoch den meisten seiner Zunft voraus hatte, war sein eiserner Wille, sein grosser Ehrgeiz, seine enorm hohe Eigenmotivation, seine bedingungslose Bereitschaft, Fussball auch als Arbeit zu sehen.

Und zwar als Arbeit vor allem in der Anonymität des täglichen Trainings, also im Alltag und nicht dann, wenn sie ihm von den Zuschauerrängen herab zujubelten. Oder ihn auspfiffen.

Nur wer erlebt hat, wie Alex zum Beispiel nach seinem schweren Armbruch im Februar 2010 an seinem Comeback  arbeitete, wie viele Dutzende mal er im Glasturm von St. Jakob das fensterlose Treppenhaus vom U2 hinauf in den 19. Stock gerannt ist, um sich doch noch fit zu bringen für die WM 2010, nur wer dabei war, in wie vielen Trainings er noch eine individuelle Zusatzeinheit anhängte, um weiter und weiter und weiter an seiner ohnehin schon fabelhaften Schusstechnik zu feilen, weiss was gemeint ist, wenn vom Ehrgeiz, Willen und von einer grossartigen Berufseinstellung des Alex Frei die Rede ist.

Vielleicht ist es Alex Frei’s Pech, Schweizer zu sein. Das sage ich über einen der grösseren Patrioten, die ich kenne, von einem, der das rotweisse Leibchen mit grossem Stolz trug.

Vielleicht ist es Alex Frei’s Pech, Schweizer zu sein

Ich sage das, weil es in unserem Land immer wieder unerklärliche und unrühmliche Beispiele gibt, wonach sich fast entschuldigen muss, wer überdurchschnittliches leistet, wonach einer suspekt ist, sobald er herausragt. Selbst einer wie der andere Baselbieter F., erlebt das mitunter ansatzweise, wenn er sich mal erdreistet, ein Tennisspiel zu verlieren.

Sei’s drum – das Kapitel in Alex Frei’s Karriere von 2010, die Art, wie ein Teil der öffentlichen Meinung und, schlimmer noch, ein Teil der veröffentlichten Meinung, mit Alex Frei umgegangen ist, sucht seines Gleichen. Das gehört noch immer zu den grösseren Skandalen in der Schweizer Sportgeschichte.

Für mich gibt es für das, was damals geschah, auch in einem Teil der Medien, keinen anderen Begriff als Mobbing.

Dass diese Hatz erst begann, als Frei zum FCB kam, ist keine wehleidige Feststellung eines FCB-Affinen, sondern schlicht Tatsache. Aber vermutlich ist das der Neid, den man sich erst einmal verdienen muss.

Selbstverständlich gehörte es nie zu Alex Frei’s Bestreben, Everybodies Darling zu sein. Ihm ist und war der Fussball wichtig – und nicht das Drumherum. Da weiss ich genau, wovon rede, als einer der hunderte von Interviewterminen für ihn in koordiniert hat.

Titelstories mit Glanz, Glück- und Gloria-Postillen interessierten ihn nicht. Interviews mit Zeitungen wie L’Equipe, Gazzetta oder dem Kicker, die mit ihm über Fussball statt über Frauen, Frisuren und Ferraris reden wollten, schlug er dagegen nie aus.

So genannte Flash-Interviews eine halbe Sekunde nach dem Schlusspfiff, in denen er in vier Sekunden seine ganze Gemütslage über den eben erreichten Erfolg oder die soeben erlittene Niederlage hätte ausbreiten sollen, mochte er nicht.

Für jene, die sich vertiefter mit Alex Frei und seinem Beruf auseinandersetzen wollten und sich auch entsprechend Zeit nahmen, war Alex aber stets da. Oder anders formuliert: In der Medienarbeit hatte er für zwei Minuten selten Zeit, für zwei Stunden dagegen häufig.

Und genau hier ist der Moment gekommen, darauf hinzuweisen, dass es sich eben tatsächlich lohnte, sich mit dem Fussballer Alex Frei vertieft auseinanderzusetzen,

mit ihm zu arbeiten, zu diskutieren, zu streiten.

Sich auch die Zeit zu nehmen, den Alex Frei nicht nur an seinen Toren zu messen, an seinen Erfolgen und schon gar nicht an seinen zwei, drei Blackouts, die ebenfalls zu seiner Karriere gehören. Sondern an seiner Persönlichkeit.

In der Tat liegt unter der dicken Haut, die sich Alex mitunter überstreift, unter der Hornhaut, die er auf seiner Seele wachsen liess, ein ganz feiner und feinfühliger Mensch. Einer mit einem Herz für solche, denen es nicht so gut geht, zum Beispiel für Muskelkranke, die er mit einer eigenen Stiftung unterstützt.

Unter der dicken Haut liegt ein ganz feiner und feinfühliger Mensch

Auch mit einem Herz für Kinder und Fans, die nie vergeblich um ein Autogramm betteln mussten, einer, der zwar äusserst ehrgeizig ist, aber nie so verbissen, als dass er nicht wusste, dass die Welt nicht im Strafraum zu Ende ist.

A propos Ende: Die Vorgabe, die ich für diese Laudatio erhielt, lautete sechs, sieben Minuten. Das ist ein derart unmöglicher Job, wie wenn man ein 1000seitiges Buch auf dem Klappentext zusammenfassen müsste.

Deshalb besteht diese Laudatio vielmehr aus Lücken als aus Inhalt. Bei 662 Spielen und 319 Toren, die eine der allergrössten Schweizer Fussballkarrieren aller Zeiten in zwei nüchternen statistischen Zahlen zusammenfasst, ist etwas anderes gar nicht möglich.

Deshalb bleibt mir nur noch die wunderbare Pflicht, Dir, Alex, im Namen von Zehntausenden, ja Hundertausenden von Fans zwischen Basel und Genf, zwischen Luzern und Thun, zwischen Rennes und Dortmund, zwischen Biel-Benken und Muttenz, zu danken, für das, was Du dem Schweizer Fussball, dem Schweizer Sport, der Schweiz – und selbstverständlich dem Baselbiet Gutes getan hast.

Ich weiss, ich weiss, es gab jene, die Dich auspfiffen. Das sind die ärmsten Sieche – denn die vertubeln ihre Zeit inzwischen damit, irgendwo auf den Fussballplätzen ein neues Opfer zu suchen.

Alle anderen aber treten dir, Alex, mit grösstem Respekt gegenüber. Dazu gehören, auch da bin ich mir sicher, selbst die bedauernswerten Torhüter Wölfli von den Young Boys und Da Costa vom FC Zürich, denen Du so viele Tore eingeschenkt hast wie keinen anderen Schweizer Goalies.

Selbst die beiden ziehen im stillen Kämmerlein den Hut, vor diesem Alex Frei und seiner erbarmungslosen Freistosstechnik.

Das allerletzte Opfer war eben dieser David da Costa.

Am 14. April 2013 war es.

Fast 33’000 im Joggeli litten böse, denn seit der 25. Minute hiess es 0:1, lag der FCZ in Führung, drohte dem FCB eine Niederlage, die ihn vielleicht den Meistertitel gekostet hätte. Dann, nach knapp einer Stunde, legtest du Dir den Ball für einen Freistoss parat, einige Meter ausserhalb des Strafraums.

Du nahmst kaum Anlauf – dennoch zaubertest du den Ball fast aus dem Stand ins hohe Toreck. Da Costa flog und flog und streckte sich. Es war vergebliche Liebesmüh des Zürcher Torhüters – er konnte das 1:1 und damit den Beginn der Wende zum 3:1-Sieg des FCB nicht verhüten.

Du nahmst kaum Anlauf – dennoch zaubertest du den Ball fast aus dem Stand ins hohe Toreck.

Es war dein 108. und letztes Tor für den FCB, es war dein 319. und letztes Tor als Profi, fast 15 Jahre nach deinem allerersten Treffer, den Du am 26. Oktober 1997 gegen den damaligen Servette-Goalie Eric Pédat erzielt hattest.

Am 14. April 2013 ging Deine Karriere als Spieler zu Ende, dann nahmst Du unverschämterweise eine ganze Nacht lang Ferien. Und begannst am 15. April 2013 Dein neues Berufsleben als Sportdirektor beim FC Luzern.

Warum sind wir nicht wirklich überrascht, dass Du auch diesen Job auf Anhieb so gut machst, dass wir uns schon morgen im Joggeli wiedersehen – und zwar zu einem absoluten Spitzenspiel zwischen dem FCB und dem FC Luzern? Und dass Du morgen Abend sogar der Sportdirektor des Leaders und Wintermeisters sein könntest?

Zuvor aber verbleibt mir nichts anderes mehr, als Dir noch einmal im Namen aller, denen Du in den letzten 15 Jahren so viele unvergessliche Fussballmomente, Fussballfeste, Fussballlegenden, Fussballparties beschert hast, zu danken, nichts als zu danken.

Damit bin ich am Ende dieser Laudatio, in der ich es geschafft habe, kein einziges Wortspiel mit Deinem Namen zu machen.

Wobei, wenn wir schon davon reden: So ganz will ich das doch nicht bleiben lassen, denn es ist bezeichnend,  welche Anagramme sich aus dem Namen Frei bilden lassen.

Drei Beispiele nenne ich hier:

Aus den vier Buchstaben F-R-E-I liess sich zum Beispiel auch Fire wir Feuer bilden – wenn das  nicht zu Dir und Deinem Charakter passt!

Oder: Reif  – wenn das nicht auch ein schönes und passendes Wort ist, das sich aus Deinem Namen bilden lässt.

Oder schliesslich, und das dünkt mich am treffendsten: «Fier» – was aus dem französischen übersetzt nichts anderes heisst als das, was Du sein sollst auf Deine grossartige Karriere: Stolz.

Damit wünschen wir Dir auch für die Zukunft ganz viel Erfolg auch als Sportdirektor – wobei es hier im Saal die wenigstens stört, wenn es in dieser Deiner Erfolgsserie morgen Abend einen winzig kleinen Unterbruch geben sollte.

Für den Applaus, für Deinen Applaus, lieber Alex, bitte ich Dich nun hier auf die Bühne.

Danke.»

 

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