«Väter sind mehr als Assistenten der Mütter»

Die Zürcher Soziologin Diana Baumgarten hat erstmals Väter und ihre Teenager über ihre Beziehung befragt. Diese ist tiefer und vielfältiger, als man denkt.

Verschiedene Blickwinkel: Die Vorstellung von Vätern, sie müssten die Beziehung zu Teenagern durch spezielle Aktivitäten herstellen, hat für Letztere weniger Bedeutung. (Bild: Nils Fisch)

Die Zürcher Soziologin Diana Baumgarten hat erstmals Väter und ihre Teenager über ihre Beziehung befragt. Diese ist tiefer und vielfältiger, als man denkt.

Die Beziehung zwischen Vater und Kind wird seit den 1970er-Jahren wissenschaftlich bearbeitet. Bis vor Kurzem stammten jedoch die meisten Forschungsergebnisse aus der Psycho­logie oder der quantitativen Familien­forschung. Darin wurde die indivi­duelle Perspektive der Väter kaum berücksichtigt. Stattdessen wurde ihre Rolle als Ernährer oder als «Assistenten» der Mütter untersucht. Eine einseitige Betrachtungsweise, wie die ­Soziologin und Geschlechterforscherin Diana Baumgarten* sagt.

Frau Baumgarten, wie hat sich die Rolle von Vätern in den letzten Jahren gewandelt?

Heute wird von Vätern erwartet, sowohl für das Einkommen der Familie zu sorgen als auch, sich Frau und Kindern emotional zuzuwenden. Sie sollen sich sowohl ausserhalb als auch in der Familie engagieren. Das kann zu einer Doppelbelastung führen, die wir von den Frauen bereits kennen.

Wie sind Sie darauf gekommen, die Beziehung von Vätern und ihren Teenagern zu untersuchen?

Ich führte bereits in früheren Forschungsprojekten Interviews mit Kindern und Jugendlichen. Dabei fiel mir auf, wie emotionslos und distanziert sich einige von ihnen über ihre Väter äusserten. Mich liess die Frage nicht mehr los, ob das den Vätern bewusst ist. Daraus entstand die Idee, Väter über ihre Sichtweise auf die Beziehung zu ihren Kindern zu befragen und diese mit Interviews ihrer Kinder abzugleichen.

Warum sprechen Kinder emo­tionslos über ihre Väter?

Ein Grund hierfür kann in der Gesprächskultur zwischen Vater und Kind liegen. Wenn Väter den kommunikativen Zugang vor allem über Fachthemen und weniger über das Befinden suchen, dann spiegelt sich dies auch im Sprechen der Kinder wider. Der Vater ist dann eher Ansprechpartner für Dinge wie Politik, Geschichte oder Sport, weniger aber für Themen wie Intimität, Liebe oder Alltag. Spe­ziell bei den Söhnen zeigt sich, wie Kinder noch immer nach dem vorherrschenden Geschlechterbild erzogen werden, wonach ein Mann nicht über Gefühle spricht.

Wonach haben Sie die Väter in den Interviews gefragt?

Ich habe etwa gefragt, welche Bedeutung sich die Väter selbst in der Familie zuweisen. Oder welche Vorstellungen von einer Beziehung zwischen Vater und Kind beide Parteien haben, und wie sie sich selbst als Beziehungspartner einschätzen. Wichtig war auch die Frage, welchen Einfluss ihre Selbstbilder auf die Ausgestaltung ­ihrer Beziehung haben.

Und was sind die wichtigsten Erkenntnisse?

Zunächst ganz grundsätzlich, dass die Vater-Kind-Beziehung genauso komplex und vielfältig ist wie die Mutter-Kind-Beziehung. Das mag banal erscheinen. Wenn man sich jedoch klar­macht, dass es bis Mitte der 1970er-Jahre gedauert hat, bis man überhaupt die Möglichkeit einräumte, es könnte auch zwischen Vätern und ihren Kindern eine emotionale Bindung geben, dann verweist diese Erkenntnis auf ­einen enormen Wandel.

Wie sieht das Ideal des guten Vaters aus? Gibt es Kriterien, die allen Vätern wichtig sind?

Ich bin zum Beispiel auf die – wie ich sie nenne – «Aktivitätsnorm» gestos­sen. Besonders Väter, die wenig im Alltag ihrer Kinder präsent sind, haben den Anspruch, mit dem Nachwuchs möglichst viel zu unternehmen. Während Mütter ihre Beziehung zum Kind eher im Alltag leben, unterliegen Väter der Vorstellung, sich besondere und ausseralltägliche Unternehmungen einfallen lassen zu müssen. Aber auch Fürsorglichkeit und Emotionalität werden zunehmend zu wichtigen Elementen von Väterlichkeit – und damit auch von Männlichkeit überhaupt. Trotz dieser eigenständigen Vater-Vorstellungen ist in den Interviews aber auch deutlich geworden, dass Mütterlichkeit noch immer das Modell elterlicher Fürsorge darstellt, an der Männer ihre Väterlichkeit messen.

Was hat Sie am meisten überrascht?

Für einen Teil der Väter ist die Vater-Kind-Beziehung etwas, das hergestellt werden muss. Für die Entwicklung einer emotionalen Verbundenheit zwischen sich und dem Kind sind sie bereit, «Beziehungsarbeit» zu leisten. Für den anderen Teil der Väter dagegen sind Beziehung und emotionale Verbundenheit mit dem Kind automatisch vorhanden. Diese Väter gehen davon aus, dass sie über ihre biologische Vaterschaft schon immer eine ­Beziehung zum Kind hatten. Dies ist eine Haltung, die von den Zuschreibungen an die Mutter-Kind-Beziehung bekannt ist. Ich war überrascht, diese auch bei den Vätern zu finden.

Was meinen Sie damit, dass ­«Beziehungen hergestellt ­werden» müssen? Gibt es denn keine natürliche Elternliebe?

Aus sozialwissenschaftlicher Sicht gibt es keine Beziehung, die nur biologisch veranlagt wäre. Wir alle haben Bilder im Kopf, wie die Beziehung zu einem Kind sein sollte. Für mich sind diese Vorstellungen nicht universell und nie unabhängig von der Zeit und der Gesellschaft, in der sie existieren. Sie sind somit nicht «natürlich», sondern kulturell bestimmt. Damit ich nicht falsch verstanden werde: Dies macht «Elternliebe» als Kitt in der ­Eltern- Kind-Beziehung nicht weniger wichtig. Nur ist mir wichtig, diese ­Elternliebe als vielfältig und veränderbar zu verstehen und nicht als eine Art «genetisches Programm», das jahrtausendelang in immer derselben Form ablief.

Wie verändert sich die Beziehung, wenn aus dem Kind ein Teenager wird?

Durch das Älterwerden tritt das hierarchische Verhältnis von Vater und Kind zunehmend in den Hintergrund. Diejenigen Väter, welche die Beziehung bislang aktiv hergestellt hatten, waren nun in der Lage, ihr Verhalten als Vater auch an veränderte Bedingungen anzupassen. Diejenigen, die der Vorstellung einer «immer schon existierenden Beziehung» anhingen, konnten kaum handlungsbezogene Ideen darüber äussern, wie sie die Beziehung unter veränderten Rahmenbedingung gestalten wollen – etwa dann, wenn das Kind aus dem elterlichen Haushalt auszieht.

Haben die Väter einen ähnlichen Blick auf die Vater-Kind-Beziehung wie die Kinder?

Grundsätzlich ja. Die Mehrzahl der von den Vätern genannten Aspekte finden sich auch in den Aussagen der Kinder. In zwei Punkten war das jedoch anders: Die Vorstellung einiger Väter, sie müssten die Beziehung durch besondere Aktivitäten her­stellen, hatte für Kinder viel weniger Bedeutung als für die Väter selbst. ­Einige Kinder haben ganz klar die alltäg­lichen und simplen Situationen im ­Zusammensein mit ihren Vätern hervorgehoben – und weniger die ­grossen und aussergewöhnlichen ­Anlässe. Zweitens formulierten alle befragten Kinder einen engen Zusammenhang zwischen einer als gut wahrgenom­menen Beziehungsqualität und der Möglichkeit zum Austausch mit dem Vater. Das befanden die ­Kinder un­abhängig davon, ob es den Vätern ­gemäss ihrer eigenen Einschätzung ­gelang, sich auf kommunikative Nähe einzulassen oder nicht. Die Kommu­nikation in der Vater-Kind-Beziehung ist ein bisher unterbewerteter Aspekt. Sowohl in den ­Väter- als auch in den Kinderinterviews wurde wiederholt auf die wichtige Rolle des Meinungsaustauschs hingewiesen. Dabei sehen vor allem Töchter in der Kommu­nikation ein wesentliches nähe­stiftendes Moment.

Wie unterscheiden sich Vater-Tochter von Vater-Sohn-Beziehungen?

Anders als die Söhne reflektieren die Töchter in meiner Untersuchung mehr darüber, wie sich die Beziehung zum Vater verändert. Dabei wird ihnen bewusst, wie die Geschlechterdifferenz anhand der unterschiedlichen Körper sowie der ihnen zugeschriebenen Eigenschaften an Bedeutung gewinnt. Sie erleben sich in einem Spannungsfeld zwischen der engen Beziehung zum Vater einerseits und der als trennend wahrgenommenen ungleichen Geschlechtsidentität andererseits.

Welche Auswirkung hat dies auf die Vater-Tochter-Beziehung?

Für die Töchter ist klar, dass die Nähe zueinander einer permanenten Einschränkung unterworfen ist. Die Beziehung zum Vater kann ihrer Meinung nach nicht über ein bestimmtes Mass an Nähe hinausreichen. Dieses Hindernis gibt es in der Mutter-Kind-Beziehung weniger. Konkret heisst dies: Die Trennung vom Freund wird erst dann mit dem Vater diskutiert, wenn dies zuvor mit der Freundin oder Mutter besprochen wurde.

Gibt es dominierende Themen in den Vater-Kind-Beziehungen?

Für beide Seiten ist die verringerte Quantität der Beziehungskontakte mit zunehmendem Alter sowie das Bemühen, das Interesse aneinander aufrecht­zuerhalten, ein Thema. Dabei wünschen sich Kinder mehr Zuge­ständ-­­nisse an ihre Selbstständigkeit und ihre Andersartigkeit. Auf Elternseite besteht die Herausforderung darin, die zunehmende Eigenverantwortung anzuerkennen und dieser im Erziehungsverhalten Rechnung zu tragen.

Sie legen Wert darauf, die Beziehung zwischen Vater und Kind nicht mit jener zwischen Mutter und Kind zu vergleichen. Warum?

Lange ging man in der Forschung von einer natürlich gegebenen Mutter-Kind-Beziehung aus, ohne die Väter je in den Blick genommen zu haben. Das finde ich zunächst einmal ganz einfach un­gerecht: Es gibt zwei Erwachsene in der Familie, und nur ­einer soll wichtig sein? Später gerieten die Väter zwar in den Blick, aber sie wurden aus einer sehr funktionalistischen Sichtweise untersucht. ­Zentral waren Fragen wie «Welches Verhalten des Vaters hat welche Auswirkung auf die Persönlichkeitsentwicklung des Kindes?». Mir ist es wichtig, Väter nicht nur als «Assistenten» der Mütter zu sehen, sondern als gleichberechtigter Elternteil.

*Diana Baumgarten (36) arbeitet in einem Forschungsprojekt am Zentrum Gender Studies der Uni Basel und lebt in Zürich. Kürzlich ist ihre neue Studie erschienen:«Väter von Teenagern. Sichtweisen von Vätern und ihren jugendlichen Kindern auf ihre Beziehung», Budrich Unipress, Opladen 2013, 217 Seiten, Fr. 35.90.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 07.06.13

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