Verliebt im Süden

Piazza Grande, Monti della Trinità, Madonna del Sasso und die Maggia – nach zwei Tagen in Locarno und Umgebung fühlt man sich wie nach einer Woche Ferien.

Fast schwebt sie – die Wallfahrtskirche von Madonna del Sasso. (Bild: Keystone)

Vielleicht ist es Zufall: Die erste Geschichte, die ich im Zug Richtung Süden lese, spielt in Locarno. Genau dort, wo wir hinflitzen. In Tim Krohns «Aus dem Leben einer Matratze bester Machart» beschliessen Immanuel Wassermann und die Kellnerin bei Sonnenaufgang zu heiraten, nachdem sie die Nacht durch spaziert sind.

Und man kann es ihnen nachfühlen beim Merlot auf der Piazza Grande später. Es gibt wenig romantischere Kulissen: Der Platz, die Pastellfarben der Fassaden, die mancherorts abblättern, die schmalen Gassen, in denen sich ein Haus ans andere schmiegt, selbst das verlassene Grand Hotel, an dem die Zeit nagt, bis nichts mehr davon übrig bleiben wird, verströmen Charme.

Obwohl sich die Nacht bereits über die Stadt gesenkt hat, ist es noch so warm, als wäre die Sonne nie untergegangen. Wir bleiben sitzen in der Bar, bis uns der letzte Bus ins Hotel Garni Dolcevita schaukelt.

Nach einer Fahrt, die nichts für empfindliche Mägen ist, sitzen wir auf unserem Hotelbalkon auf Monti della Trinità, von welchem aus die Piazza Grande nur noch einen kleinen Fleck im Hochhaus-Dschungel darstellt. Weitaus schöner sind der dunkle See, über dem die Sterne aufgegangen sind, und die Silhouetten der Berge, die sich nur schwach vom Nachthimmel abheben. Und es ist dieser Ausblick, die Weite, die uns immer näher zusammenrücken und die mittlerweile kühle Brise lange aushalten lässt.

Schwimmen, bis die Gelenke schmerzen

Am nächsten Morgen steigen wir zur Kirche Madonna del Sasso hinab, die auf einem Felsvorsprung thront. Das Kirchenschiff ist mit Blumen geschmückt, zwei Stühle stehen bereit, bald schon werden sich die Liebenden das Ja-Wort geben. Ein magischer Ort. Die Wallfahrtskirche mit ihrer bemalten Decke scheint inmitten des dunklen Tessiner Grüns zu schweben. Wir zünden Kerzen an und halten für einen Moment in unseren Gedanken inne.

Später stürzen wir uns in die smaragdgrüne Maggia. Wir lassen uns treiben, bis die Gelenke schmerzen, so wie sie es immer tun, wenn das Wasser noch zu kühl zum ausgiebigen Schwimmen ist. Auf den aufgeheizten Felsen wird uns bald wieder warm, und  so bleiben wir einfach liegen, bis wir mit unseren Büchern durch sind.

Die Osteria Chiara, in der wir einen Tisch reserviert haben, ist fast nicht zu finden. Ein dunkles Gässlein, in das nicht mal ein Fiat Cinquecento passen würde, führt uns zu Steintischen unter einem Rebendach, das so dicht ist, dass es selbst einem Gewitterregen standhalten könnte. Es gibt Jakobsmuscheln mit Meeresspargel, Rindsfilet mit Parmesan und Rucola (vorzüglich!) und zum Nachtisch Zitronencrème. Mehr kann man vom Leben nicht wollen.

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