Der Fussball als Abbild der Gesellschaft, die sich nach Spektakel sehnt – das war eine Ausgangslage einer Gesprächsrunde, die sich mit der Ästhetik und anderen Ausformungen dieses Sports beschäftigte. Und wenn Ivan Ergic mitdiskutiert, bekommt man Schwärmerei ebenso wie kritische Distanz. Der ehemalige Captain des FC Basel rät seinem Ex-Club: «Die Balance zwischen lokal und international muss gefunden werden.»
Fussball wird nicht nur gespielt. Über Fussball wird geredet, diskutiert, er wird gelebt und geliebt. Zuerst ein Sport der Oberklasse und schliesslich durch die Arbeiterschicht in die breite Gesellschaft getragen, steht Fussball nicht nur für sich selbst, sondern vielmehr auch für die Entwicklung der Gesellschaft. Es verwundert also nicht, dass sich die Wissenschaft seit Jahrzehnten mit der Thematik Fussball auseinandersetzt. Es ist schon lange salonfähig geworden, über Fussball im wissenschaftlichen Kontext zu sprechen.
Organisiert von Ridvan Askin, Catherine Diederich und Aline Bieri vom Englischen Seminar der Universität Basel, fand in Basel eine dreitägige Konferenz mit dem klangvollen Titel «The Beautiful Game: The Poetics and Aesthetics of Soccer in Transnational Perspective» statt. Teilnehmerinnen aus der ganzen Welt erläuterten ihren Zugang zur Faszination Fussball(-kultur), darunter Linguisten, Architekten, Philosophen und Historiker.
Um die Konferenz in die Öffentlichkeit zu tragen, wollten die Organisatorinnen einerseits raus aus der Uni und andererseits eine Innenperspektive zum Fussball bieten. Eingeladen wurde deshalb eines der grössten Idole vieler FC-Basel-Fans: Ivan Ergic.
Auch mit schönem Fussball kann man gewinnen
Ivan Ergic, bis 2009 im Trikot des FC Basel, dessen Captain und ein Idol vieler FCB-Fans. (Bild: Nils Fisch)
Und Ergic kam. Mit ihm diskutieren am Freitag in der Fussballkulturbar «didi:offensiv» Daniel Schreier, Sprachwissenschaftler an der Universität Zürich, Aline Bieri, Assistentin am Englischen Seminar in Basel, sowie rund 60 Neugierige. Die Diskussion wurde auf Englisch geführt, für Ergic kein Problem. Obwohl er – in Serbien geboren und in Australien aufgewachsen – Englisch nur mehr seine dritte Sprache nennt, nebst Muttersprache und Baseldeutsch.
Dass Fussball nur ein Spiel sei, hört man von Kritikern der übertriebenen Auseinandersetzung mit dem Ballsport oft. 22 Männer oder Frauen spielen auf einem Feld, jagen einem Ball nach und versuchen das Runde ins Eckige zu dreschen. Ziemlich einfach dargestellt das Ganze.
Ivan Ergic meint aber, dass man es sich zu simpel mache, wenn man das Spiel an sich vom Sport als Ganzem trenne. Auch Daniel Schreier merkt an, dass der Sport ein grosses Geschäft geworden sei. Für Ergic hängt diese Entwicklung direkt mit der Veränderung der Gesellschaft zusammen: «Wir leben in einer Welt, die sich nach Spektakel sehnt, also bietet der Fussball genau das.»
Ergic, der Kulturpessimismus und die Hoffnung
Dieser Fussball habe sich verändert, so der inzwischen 35-jährige Ex-Profi, es sei nicht mehr das schöne Spiel wie früher. Bei allem Kulturpessimismus, spricht Ergic jedoch auch vom Potenzial, das im Fussball stecke. Und spricht vom FC Barcelona – nicht zum letzten Mal an diesem Abend. Den Fussball, der Barcelona in den letzten Jahren spielte, ist etwas, das Ergic wirklich mag. Und dieser Fussball zeige eben auch, dass man schön spielen und trotzdem gewinnen könne. Alles, was man brauche, seien gute Spieler.
Daniel Schreie relativierte den Pessimismus von Ergic etwas: Wenn man sich mit Freunden im Park treffe, Fussball spiele und anschliessend zusammen Bier trinke, sei das ja auch Fussball. Ganz wie früher, ohne grosses Geschäft drum herum.
Wissen, woher man kommt, oder: Der Club als Baum mit Wurzeln
Ergic war Captain, Integrationsfigur, Skeptiker und zudem einer der besten Fussballer, den der FC Basel in seinen Reihen hatte. Klar, wurde auch über den FCB gesprochen. Für Schreier ist vor allem die Entwicklung in den letzten 15 Jahren sehr spannend, so wie es auch die unterschiedlichen Reaktionen darauf sind.
Er vergleicht den FC Basel mit einem Baum, dessen Wurzeln ihn tragen. «Der FC Basel darf nie vergessen, woher er kommt», sagt Schreier, «ungesundes Wachstum und Grossmannssucht stellen eine grosse Gefahr dar für eher kleinere Vereine mit starker lokaler Verwurzelung. Eine Gefahr, die man im europäischen Fussball ganz allgemein nachzeichnen kann, und die zum Niedergang bekannter Vereine wie Leeds United oder 1860 München geführt hat.»
Was Ergic am FC Basel nach wie vor sympathisch findet und was diesen von anderen grossen Vereinen in Europa unterscheidet: «Der FCB ist nach wie vor ein kleiner Club und kein grosses Unternehmen.» Diese Mischung sei eben speziell in Basel. Ausländische Spieler, wie Ergic selbst oder auch Scott Chipperfield und Franco Costanzo, hätten sich so rasch mit dem Verein identifizieren können. In Bezug auf die jüngste Entwicklung des FC Basel fügt er hinzu: «It’s a matter of balance.» Die Balance zwischen lokal und international müsse gefunden werden. Denn: «Der FCB wird nie ein Manchester United.»
2008 hätte Ergic dem FC Barcelona am liebsten applaudiert
Als Ergic von einem Besucher der Diskussion auf das 0:5 gegen den FC Barcelona im Jahr 2008 angesprochen wird, schüttelt er den Kopf und muss doch gleichzeitig lächeln. Damals, am 22. Oktober 2008, setzte es eine Lektion für den FCB ab. Nach 48 Minuten stand es schon 0:5 für Barcelona, das danach auf Sparflamme weiterspielte.
Ergic erinnert sich gut an das Spiel. Und an die gemischten Gefühle während der 90 Minuten. Als gegnerischer Akteur sei es enorm bitter für ihn gewesen, aber trotzdem habe er es genossen, auf dem Platz gestanden zu haben: «Barcelona hat unglaublich gespielt.»
Als sich ein Spieler der Spanier für die Einwechslung bereit gemacht habe, mussten die Spanier nach unzähligen Passstaffeten den Ball schlussendlich selbst ins Seitenaus spielen, um den Tausch zu ermöglichen. Der anschliessende Basler Ballbesitz hielt nicht lange. Auch das sei bitter gewesen. Barcelona habe teilweise aber derart schön und ästhetisch gespielt, dass es Momente gab, in denen Ergic den Katalanen am liebsten applaudiert hätte.
«Ein guter Trainer sollte vor allem gute Spieler formen»
Das ästhetische Spiel, das Ergic am FC Barcelona so gefällt, hängt für ihn in erster Linie mit den Spielern zusammen. Ergic versuchte als Profi immer etwas, die Rolle des Trainers als Super-Taktiker und Statistiker zu dekonstruieren. Wenn ein Trainer gute Spieler hat, die intelligent spielen können, muss er sie einfach nur in einem nützlichen System spielen lassen und sie machen einen guten Job. Wie das eben bei Barcelona über Jahre der Fall war. Ergic‘ Schlussfolgerung: «Ein guter Trainer sollte vor allem gute Spieler formen.»
Am Ende der Diskussion wollte eine junge Frau von Ergic wissen: «Sie haben nur gelbe Karten und keine einzige Rote Karte in Ihrer gesamten Karriere erhalten. Ist das ein Statement zu Ihrem Verständnis von Ästhetik im Fussball?» Ergic schmunzelte und bejahte die Frage.
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» Der Autor ist Mitbetreiber der Fussballkulturbar «didi:offensiv»
» Die Konferenz des Englischen Seminars: The Beautiful Game