Titel hat Velokurier Jérôme Thiriet schon einige geholt. Die neuste Auszeichnung rührt den frisch gebackenen Geschäftsführer jedoch zu Tränen.
Sein halbes Leben schon verdient der 32-jährige Jérôme Thiriet seine tägliche Pasta auf der Strasse und fuhr bei Velokurier-Wettkämpfen diverse Welt-, Europa- und Schweizermeistertitel heim. Bei offiziellen Wahlen zum Sportler des Jahres stand aber meist ein Tennisspieler aus der Region vor dem Kurierszene-Star.
Doch nun hat Thiriet als frisch gekürter Träger des «Markus Cook Award» mit Roger Federer gleichgezogen – zumindest was das Tränenvergiessen bei Ehrungen angeht. «Ich habe definitiv schon besser die Fassung bewahrt. Aber von der internationalen Kurierszene für meinen Einsatz gewürdigt zu werden, war schon ein überwältigender Moment», erklärt Thiriet beim Kaffee aus der Kanne ein paar Morgen nach der magischen Nacht.
Der Award als Kick
Eigentlich sollte er bei der Weihnachtsfeier der Kurierzentrale nur als neuer Geschäftsführer beklatscht werden. Doch dann wurde ihm unter grossem Gejohle der grösste Kurier-Gral überreicht, eine Art Lifetime-Award für besondere Verdienste von und in der international bestens vernetzten und eingeschworenen Kurier-Gemeinschaft. Thiriet ist erst der vierte Europäer, dem der Award in seiner 17-jährigen Geschichte verliehen wurde, und der erste Basler.
Anfang des Jahres tauschte Thiriet seinen Velosattel gegen den Chefsessel, ist aber weiterhin einmal die Woche als Kurier unterwegs.
«Das gibt mir für meine neue Aufgabe noch einen extra Kick», so Thiriet. Denn Anfang des Jahres tauschte er seinen Velosattel gegen den Chefsessel des Basler Velokurier-Unternehmens. Wobei er weiterhin einmal die Woche auf dem Velo unterwegs ist. Auch im Winter, wenn man salzigen Schneematsch schluckt. Und bevor er nach Feierabend die Füsse unter der Dusche auftauen kann, muss das Velo gereinigt werden, da sich sonst die Salzlake in die Lager frisst. Dabei geht es Thiriet nicht nur um Street Credibility: «Ich muss meinen Fahrern ja am Telefon kompetent erklären, wohin sie liefern müssen und auch für den direkten Kundenkontakt ist es wichtig.»
Die unterschiedlichen Jobs in der Firma kennt er mittlerweile alle aus eigener Erfahrung. Angefangen hat er 1999 beim damaligen «Velo Express», als er für seinen älteren Bruder einsprang, der an die Weltmeisterschaften ging. «Ich fuhr irgendein Velo von ihm. Was genau es war, interessierte mich damals noch nicht.»
Rollen statt studieren
Das änderte sich schnell. Zwei Jahre später war Thiriet dem Kurier-Schlachtruf «always deliver never sleep» derart verfallen, dass er das Gymnasium abbrach und nur noch rollte. Auch an Wochenenden bei Rennen in Basel oder in anderen europäischen Städten und in den Ferien. «An die internationalen Meisterschaften hängte ich meist eine Woche an, um die Städte oder das Land selbst per Velo zu erkunden. Durch die lokalen Kuriere fühlt man sich nicht so als Tourist und findet schnell Anschluss in den Untergrund-Szenen.»
Bei Destinationen wie New York, Tokio oder Guatemala ist es durchaus verständlich, dass man nicht nur zum Wettkampf hin will. Wobei, selbst bei Weltmeisterschaften sind die Rennen nur ein Grund für die Teilnahme. Der gesellschaftliche Austausch bei den After-Parties ist genauso wichtig.
Dieser Gemeinschaftsgeist in der Kurierszene gefällt Thiriet. Zwar holte er nach ein paar Jahren auf der Strasse noch eine kaufmännische Ausbildung nach, «da ich im Hinterkopf schon von meiner eigenen Kurierbude träumte». Doch lernte er dabei auch, dass «die oft steife und sture Privatwirtschaft nicht mein Ding ist.» Nun hat er das Know-how und die Bude.
Gümmeln mit Bürogummis
Als Geschäftsführer will er den Gemeinschaftssinn deshalb besonders pflegen und die Kurierzentrale mehr wie eine Pfadiabteilung führen. Diese Uniform hat der ehemalige Leiter zwar längst abgelegt. Das Vereinsmeiern kann der gesellige Thiriet jedoch nicht lassen. Und da er in den letzten Jahren immer mehr Schreibtischarbeiten übernahm und weniger zum Velölen kam, traf er sich mit anderen ehemaligen Kurieren abends und an den Wochenenden zum Gümmeln mit Bürogummis.
Bald gesellten sich weitere Velofreaks dazu und vor zwei Jahren gründeten sie den Veloclub Peloton. Das Fahrerfeld wucherte schnell, da bei den anderen Clubs in Basel Gründungsdatum und Durchschnitts-Jahrgang der Mitglieder oft nahe beieinander liegen. Neben den Kurieren rollt hier eine bunte Mischung aus lokalen Velo-Nerds und 2-Rad Ex-Pats. Die ersten Rennpokale stehen schon in der Clubvitrine.
Wichtiger sind für Thiriet jedoch die Pflege von gemeinschaftlicher Velokultur und die Wiederbelebung vergangener Velotraditionen. So unterhält der Verein neben kurierverwandten Sektionen wie Velo-Polo (siehe Video unten) oder die Fixie-Dicks-Starrlauf-Gang auch eine Radquer- und eine Bahn-Gruppe. «In der Kurierszene ist Basel international aktiv dabei und hat selbst auch schon Europameisterschaften organisiert. Mit dem VC Peloton wollen wir den Geist dieser Szene aufnehmen und das Feld der Velokultur noch weiter erweitern, bis Basel eine Velostadt ist.» Gelingt dies, dürfte ihn die Stadt mit einem Award ehren.