Von Helikoptereltern und Königskindern

Am Freitag trafen sich rund 4500 Baselbieter Lehrerinnen und Lehrer zur amtlichen Kantonalkonferenz. Sie sprachen über Empathie, Schülerlaufbahnen und darüber, weshalb Spielen und Musik so wichtig sind.

«Die Lehrer müssen darauf achten, nicht an Empathie zu verbluten», erklärte der Pädagoge Joachim Bauer an der Kantonalkonferenz der Baselbieter Lehrerinnen und Lehrer.

Am Freitag trafen sich rund 4500 Baselbieter Lehrerinnen und Lehrer zur amtlichen Kantonalkonferenz. Sie sprachen über Empathie, Schülerlaufbahnen und darüber, weshalb Spielen und Musik so wichtig sind.

Vor einer derart grossen Zahl von Lehrkräften wird der abtretende Baselbieter Bildungsdirektor Urs Wüthrich wohl nie wieder sprechen. Trotzdem fasste er sich kurz, hielt fest, dass sich bei manchen Verlautbarungen nicht einmal das Ignorieren lohne und übergab das Mikrofon.

Denn für einmal stand weder die Politik rund um die Bildung noch deren oberster Vertreter Wüthrich im Fokus, sondern die Laufbahn von Schulkindern – vom Kindergarten bis zum Abschluss der Erstausbildung. Das hatte sich die amtliche Kantonalkonferenz der Lehrerinnen und Lehrer des Kantons Basel-Landschaft, kurz AKK, zum Thema ihrer 147. Plenarversammlung am Freitagmorgen gemacht.

Die Veranstaltung ist für die rund 5500 Lehrkräfte des Kantons eigentlich obligatorisch, immerhin gilt der Tag kantonsweit als schulfrei. Trotzdem blieben zahlreiche Plätze frei und ebenso viele Znüni-Säckli ungegessen. AKK-Präsident Ernst Schürch schätzte den Aufmarsch in der St. Jakobshalle zu Basel auf rund 4500 Pädagogen.

Und die schienen einverstanden mit dem, was da vom Podium herunter gesprochen wurde. Etwa mit den Worten des ersten Redners, Joachim Bauer, Professor an der Universität in Freiburg im Breisgau, Hochschullehrer, Oberarzt, Neurologe, Buchautor, kurz: Star seiner Zunft, wie ihn die Moderatorin umschrieb.

Mehr Sport und Musik in der Schule

Bauer warnte vor den digitalen Medien in der Schule und forderte die Stärkung von Sport und Musik im Unterricht. Applaus. Das menschliche Gehirn verglich Bauer mit einer Stimmgabel, die über Sprache und Körpersprache zum Schwingen gebracht wird. Der Pädagoge lebe von seiner Empathie, «aber die Lehrer müssen darauf achten, nicht an Empathie zu verbluten». Das Resultat wäre dann ein Burnout und der gesunde Mittelweg die riesige Herausforderung des Lehrberufs. Applaus.

Bauer, ein Mann mit subtilem Humor, warnte vor Süchten, nicht nur vor Drogen und Süssigkeiten, sondern auch vor Bildschirmsüchten. Er erklärte, warum es der Gelbe-Rübensaft nimmer zum Suchtmittel schaffen werde – weil er keine Belohnungsstoffe im Gehirn ausschütte – und betonte: «Kinder wie Erwachsene wollen und sollen nicht verwöhnt werden; sie wollen wahrgenommen werden.»

Kampf den Helikoptereltern

Was zum Referat der zweiten Referentin, Margrit Stamm, führte. Die Professorin der Universität Fribourg hielt ein Plädoyer für mehr Gelassenheit der Eltern und sprach vom Phänomen der Helikoptereltern, die zusammen mit den geschätzten 15 Prozent der Nullbock-Eltern 90 Prozent aller Mütter und Väter ausmachen würden. Sie sprach gegen Überbehütung an, warnte vor dem Kind als Freund aus Angst vor Liebesverlust, kurz: dem Königskind. Jenem in Watte gepackten Kind, das das Aufwachsen als generell gefährlich kennenlerne und nicht am eigenen Scheitern wachsen könne. «Das ist die falsche Förderung. Wir vernachlässigen, dass das Spielen eigentlich die beste Förderung wäre.» Doch die Eltern würden sich dazu nicht trauen. Applaus.

Ihre Kritik galt auch dem Einfluss der Eltern auf die Berufswahl ihrer Kinder. «Niemand findet die Berufsbildung schlecht», sagte Stamm, «aber fürs eigene Kind muss es mindestens die Matura sein. Aber die Matura wird überbewertet, denn die berufliche Laufbahn wird viel stärker von der Familie beeinflusst als durch die besuchte Schulform». Will heissen: zu viel Elternarbeit, weshalb diese kanalisiert werden müsse.

Dasselbe unterstrich der Rolf Knechtli, Geschäftsführer des Berufsbildungsverbandes aprentas, mit der Aussage, dass es Wurst sei, auf welchem Weg man in die Berufswelt einsteige; «wichtig ist, dass man überhaupt einsteigt.» Antonio Loprieno, spiritus rector der Universität Basel, ergänzte: «Liebe Eltern, Finger weg von der Schule!», schliesslich funktioniere zurzeit etwas mit den Eltern bezüglich Bildung ganz und gar nicht. Darum steht er auch nicht hinter dem Elternabend, den seine Uni kürzlich eingeführt hat.

Die AKK vertritt die rund 5500 Lehrkräfte des Kantons in pädagogischen und bildungspolitischen Fragen. Sie ist das gesetzlich verankerte Bindeglied zwischen Lehrerschaft und der Bildungsdirektion. Die Plenarversammlung findet alle vier Jahre statt.

Seit dem 1. August 2014 ist die neue Laufbahnverordnung des Kantons Basel-Landschaft in Kraft. Sie ist Grund für die Themenwahl der Plenarversammlung, ihr Inhalt ist brandaktuell. Heute ist sie lediglich auf Primarschulstufe in Kraft, bald gilt sie auch für die Sekundarstufe. Zurzeit ist es nämlich untersagt, dass ein Sekundarschul-Lehrer Einblick in die Primarschulzeugnisse seiner Schüler erhält. Diese Öffnung sei ein wichtiger Schritt, erklärte AKK-Präsident Ernst Schürch auf Anfrage, «denn wir Lehrer müssen über sämtliche Stufen und Fächer hinweg zusammenarbeiten und zusammendenken. Wir müssen von diesem Kästli-Denken wegkommen.» Gleichzeitig warnte er vor einer drohenden Etikettierung der Schüler aufgrund ihrer Vorgeschichte. Die Kindheit wurde erst vor 200 Jahren erfunden, sagt Bauer. Das sei einerseits ein Fortschritt, solange ein gesundes Mass eingehalten werde. Das Spiel ist das Allerwichtigste.

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