Regierungsrat Thomas Weber überrascht mit seinem ersten Personalentscheid. Und bekennt sich zum Biolandbau.
Es ist ein Start nach Mass für den neuen Baselbieter SVP-Volkswirtschaftsdirektor Thomas Weber. Nach seiner ersten Regierungsratssitzung konnte er eine Personalie bekanntgeben, die sein Versprechen unterstreicht, neuen Schwung in den Kanton zu bringen. Mit der Wahl von Lukas Kilcher zum neuen Leiter des Landwirtschaftlichen Zentrums Ebenrain zeigt er, dass er den Bauernstand reformieren will. Denn Kilcher rückt nicht einfach in einer bestehenden Hierarchie ein, zwei Stufen nach oben. Er kommt von aussen, vom international renommierten Forschungsinstitut für biologischen Landbau in Frick.
Nun ist Baselland längst nicht mehr ein Bauernkanton, und wenn die Bevölkerung von der neuen Regierung eine neue Dynamik erwartet, so erhofft sie sich diese eher in anderen Wirtschaftsbereichen. Aber auch der Bauernstand muss sich reformieren. Da dürfte Kilchers Wahl ein klares Signal sein, dass erstens Bewegung in die entstandenen Verkrustungen kommt und zweitens an eine alte Tradition angeknüpft werden soll, als das Baselbiet als Pionierkanton in Sachen Biolandwirtschaft schweizweit bewundert und verschrien war.
Gedüngt auf Teufel komm raus
Der 1963 geborene und in Dornach aufgewachsene Kilcher, dessen bäuerliche Wurzeln ins solothurnische Himmelried zurückreichen, war gerade acht Jahre alt, als der kantonale Baselbieter Gutsbetrieb Ebenrain in Sissach auf biologischen Landbau umstellte. Bis zu jenem Zeitpunkt hatte man dort gedüngt und gespritzt auf Teufel komm raus, wie es sich gehört für einen Betrieb vor den Toren der Basler chemischen Industrie. Der damalige Ebenrain-Direktor Otto Buess beobachtete besorgt, wie der Dünger die Böden auslaugte und suchte nach einem Ausweg. Neue Höchsterträge liessen sich den Feldern nur abringen, wenn man noch mehr Chemie einsetzen würde.
Otto Buess forschte nach Alternativen, pröbelte, testete und stellte den Guts- und Versuchsbetrieb auf biologischen Anbau um. Für eine kleine Anhängerschaft war das ein Segen und eine Hoffnung, für das Gros der Bauern, für die gängige Forschung und für die Landwirtschaftspolitiker aber eine Provokation. Man vermutete Scharlatanerie hinter dem Getue und den angeblichen Erfolgen auf dem Baselbieter Gutsbetrieb. «Tagsüber fromm tun und nachts heimlich spritzen», so verhöhnte man die Bestrebungen in Sissach schweizweit.
Das Gros der Bauern hielt Biolandbau für Scharlatanerie.
Unbeirrbar gingen Buess und seine Getreuen ihren Weg, sahen aber ein, dass die Aufgabe der Landwirtschaftlichen Schule vornehmlich in der Aus- und Weiterbildung des Bauernstands sowie in der Beratung der Landwirte bestand. Deshalb war Otto Buess stark daran beteiligt, als 1973 das Forschungsinstitut für biologischen Landbau in Oberwil gegründet wurde – das Institut, das heute unter dem Kürzel FiBL bekannt ist. Das Institut auch, das zum Wirkungsort für Lukas Kilcher werden sollte.
«Wunderbare Menschen»
Während des Gymnasiums und nach der Matur arbeitete Kilcher vorerst als Landdienstler und Praktikant auf verschiedenen Betrieben im Baselbiet, im Welschland, in Graubünden – alles Biobetriebe. «Wunderbare Menschen habe ich da kennengelernt», schwärmt er, «Menschen mit Geduld, Hingabe, Beobachtungsgabe.» 1984 begann er an der ETH Zürich Agronomie zu studieren, verfasste während eines Praktikums in Kuba eine Studie, worin er nachwies, dass die staatliche Landwirtschaft nicht rentabler sei als die private.
Er veröffentlichte darüber in der NZZ Artikel, was beim Aargauer Zigarrenfabrikanten Burger auf Interesse stiess. Er beauftragte Kilcher, ihm den Zugang zu qualitativ hochstehenden Tabakfabrikanten zu organisieren. Kilcher verbrachte mehrere Monate in Kuba, reiste immer wieder hin, lernte seine Frau kennen, die heute mit ihm und drei von vier Kindern in Binningen wohnt.
Nach dem Studium engagierte ihn der Landwirtschaftliche Informationsdienst als Redaktor. «Ich erlebte dort ein tolles Jahr und erhielt einen fantastischen Einblick in die landwirtschaftlichen Verbände, Organisationen und in die Politik.» Mit seinen Berichten machte er Urs Niggli, den Chef des FiBL, auf sich aufmerksam. Er engagierte Kilcher an seinem Institut, wo er als Leiter der Beratungsdienste eng mit allen landwirtschaftlichen Schulen der Schweiz, mit Bio Suisse und mit den Grossverteilern, insbesondere mit Coop, zusammenarbeitete.
Nach der Einführung der Direktzahlungen durch den Bund und dem Einstieg von Coop im Biomarkt 1993 begann die Nachfrage nach Bioprodukten enorm zu wachsen. Schon bald war das Angebot zu klein. «Es war eine grosse Herausforderung, Handel, Verarbeiter und Bauern auf die neue Situation einzustellen. Mit Coop und Bio Suisse starteten wir eine starke Partnerschaft und lancierten 1995 eine grosse Informations- und Umstellungsinitiative: 3000 Bauern meldeten sich und 1500 stellten auf Bio um.»
Die Freude über den Boom stiess nicht überall auf Begeisterung. Traditionelle Biobauern argwöhnten, die Neueinsteiger setzten aus rein ökonomischen und nicht aus ideellen Gründen auf Bio. «Wir haben erlebt, dass es kein Widerspruch ist, aus ökonomischen Beweggründen umzustellen. Sie können ebenso nachhaltig sein wie ideelle. In der Bildung und Beratung bauen wir auf das Erfahrungswissen der Bauern, bringen dieses mit unseren wissenschaftlichen Erkenntnissen zusammen und vernetzen das ganze mit dem Markt.» Bauern müssten echte Partner in einer Wertschöpfungskette vom Kunden über den Handel bis zur Landwirtschaft werden. Dann würden auch Sprüche aufhören wie: «Direktzahlungen brauchts, weil es ganz okay ist, dass ihr da seid.»
Wie will der neue Ebenrain-Leiter nun seine Erfahrungen am neuen Wirkungsort einbringen? Darüber lässt er sich kein Wort entlocken. Er will zuerst mit seinem künftigen Team reden. Lieber berichtet er über seine internationalen Erfahrungen am FiBL. Von seinen Studien und Beratungen in Kuba, Tunesien, Marokko, Chile, Argentinien, Brasilien, Indien, Thailand und Osteuropa. In über 20 Ländern beriet er Bauern bis zu Regierungen bei der Produktion und Vermarktung von Bioprodukten. «Ich kann nicht behaupten, ich hätte nichts gesehen von dieser Welt.»
Ein Anruf Anfang Juni
Kurz, Lukas Kilcher fühlte sich wohl am FiBL. Der Anruf anfangs Juni aus Liestal traf ihn völlig unvorbereitet: die Anfrage, ob er die Leitung des Ebenrain übernehmen wolle. Er wusste, dass die Ausschreibungen für die Stelle seit Monaten ergebnislos geblieben waren. Ein aussichtsreicher Kandidat hat sich in letzter Minute zurückgezogen. Einen knappen Monat führte Kilcher Gespräche, eines auch mit Regierungsrat Weber.
Nun hat er also zugesagt und verlässt seinen Arbeitsort, der ihm in den letzten 20 Jahren ein grosses Stück der Welt geöffnet hat. Er verlässt das Institut, das gewachsen ist mit der Zeit und aus Platzmangel 1997 von Oberwil in die leerstehende landwirtschaftliche Schule in Frick umgezogen ist. Heute beschäftigt es gegen 150 Personen und hat ein Jahresbudget von 19 Millionen Franken.
Die innovative Schule wurde zum Verwaltungsapparat.
Kilcher verlässt das FiBL, obwohl er weiss, dass die Erwartungen an ihn als neuen Leiter des bäuerlichen Zentrums hoch sind. Denn, aus der innovativen landwirtschaftlichen Schule der 1970er-Jahre ist ein Verwaltungsapparat geworden. Verschiedene Mitarbeiter, vor allem pensionierte, führen dies darauf zurück, dass das Amt für Landwirtschaft sukzessive aus Liestal abgezogen und in bestehende und neu erbaute Gebäude bei der ehemaligen Schule einquartiert wurde. Beratung der Bauern sowie Aus- und Weiterbildung rückten in den Hintergrund.
Der heutige Chef, Werner Mahrer, der diesen Herbst pensioniert und Lukas Kilcher Platz machen wird, soll mit manchmal unzimperlicher Art die Interessen der Verwaltung durchgesetzt haben. Die Distanz zwischen den Bauern und den Mitarbeitern des Zentrums wuchs. «Die Probleme zwischen den Leuten im Ebenrain haben wir schon zu spüren bekommen», sagt der ehemalige Baselbieter Bauernpräsident Gregor Gschwind, «und entsprechend hatten wir auch unsere Sträusse auszufechten mit Herrn Mahrer, der durchaus seine Machtdemonstrationen veranstaltete. Aber alles ihm zuzuschreiben, das wäre dann doch zu einfach.»
Es sei Zeit für einen Neuanfang, sagt Gschwind. Das sagen andere ebenfalls und denken auch an ganz andere Bereiche als an die Landwirtschaft. Doch zumindest dort ist er wenige Tage nach Amtsantritt des neuen Volkswirtschaftsdirektors Weber aufgegleist.
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 12.07.13