Willkommen im Kuschelknast

Die Gefängnisse in der Schweiz gelten als viel zu weich. Zu Recht? Der Laufner Uralt-Knast weist eher in die andere Richtung.

(Bild: Nils Fisch)

Die Gefängnisse in der Schweiz gelten als viel zu weich. Zu Recht? Der Laufner Uralt-Knast weist eher in die andere Richtung.

Für den Staat ist es eine billige Lösung: 300 000 Franken zahlt der Kanton Baselland für ein neues Gefängnis, das so neu nicht ist. Vor über 100 Jahren ist das Bezirksgefängnis Laufen ein erstes Mal eröffnet worden, 2001 ging es zu – endgültig, wie es damals hiess. Und das mit gutem Grund. Der alte Kerker hat eine ganze Reihe von Mängeln. Die Zellen sind schlecht belüftet; zum Teil nur durch den schmalen Essspalt. Aufenthalts- und Arbeitszimmer fehlen und der vergitterte Spazierhof ist mit 20 Quadratmetern viel zu klein.

Trotz dieser Mängel ist das Bezirksgefängnis am 5. Juli wieder in Betrieb genommen worden, weil die Behörden in der Region Basel nicht wissen, wo sie die Kriminellen sonst noch unterbringen könnten. Die Gefängnisse sind belegt bis überbelegt; gleichzeitig vermeldet die Polizei immer wieder neue Verhaftungen von ausländischen Einbrechern und Taschendieben. In dieser Situation erscheint die billige Laufner Lösung dem Baselbieter Sicherheitsdirektor Isaac Reber als ideal. So günstig ist diese allerdings nur, weil Rebers Direktion lediglich das Allernötigste machen liess. Die 300 000 Franken wurden für die Sicherheit aufgewendet, damit nicht kurz nach der Wiedereröffnung bereits die ersten Häftlinge wieder davonspazieren.

Gegen die Menschenrechte

Dabei wären die Haftbedingungen tatsächlich zum Davonlaufen. Das Gefängnis widerspricht den Europäischen Strafvollzugsgrundsätzen, die auf den Menschenrechten basieren und von der Schweiz unterzeichnet worden sind. Darin wird unter anderem vorgeschrieben, dass es in den Gefängnissen «eine angemessene Auswahl an Bewegungs- und Erholungsmöglichkeiten» gibt. Oder dass in allen Räumen Frischluft einströmen muss, sofern keine Klimaanlage vorhanden ist.

Darauf – und auf weitere Punkte – haben wir bereits in einem Artikel aufmerksam gemacht. Mehrere Kommentare zielten danach in eine eindeutige Richtung: Den Behörden dürfe man keine Vorwürfe machen, die Verhafteten seien selber schuld. Schliesslich wurden sie ja von niemandem gezwungen, Handtaschen zu klauen und in fremde Häuser einzusteigen.

Nur 10 Prozent finden, dass die Gefangenen ein Recht auf gute Kost und Therapie haben.

Es ist wohl eine weit verbreitete Meinung. Das zeigte anfangs Woche auch ein Artikel im «Blick», der gewöhnlich ein feines Sensorium für die Stimmung in der Bevölkerung hat. Diesmal ging es in dem Blatt um den 24-jährigen Kosovaren Behar S., auch «Bolonese-Toni» genannt, der im April 2011 in Grenchen einen Türsteher erstochen hat und nun in «Bostadel» sitzt. Dort gelang es ihm via Facebook, sich über die Haftanstalt lustig zu machen («Huere schön da!») und mit seinen Muskelbergen zu protzen («ich mach immer weiter, bis der Bizeps platzt»), obwohl der Internetzugang gesperrt sein sollte.

«So lustig geht es in Bostadel also zu und her», konstatierte der «Blick» – und fragte seine Leserschaft, ob es in der Schweiz nach der Kuscheljustiz nun auch einen Kuschelknast gebe. Und ob das Ganze auch noch viel zu teuer sei. 90 Prozent klickten diese beiden Punkte an, nur 10 Prozent vertraten die Ansicht, dass die Gefangenen grundsätzlich ein Recht auf gute Kost und Therapie haben.

Härter anpacken, bringt nichts

Die Gefangenen müssten härter angepackt werden, damit sie ihre Lektion kapieren: John Zwick vom Bundesamt für Justiz, Fachbereich Straf- und Massnahmenvollzug, hört häufig solche Aussagen. Gerade nach «einzelnen Vorkomnissen» wie der Facebook-Panne in Bostadel oder einem Verbrechen eines rückfälligen Täters würden sich die Hardliner wieder zu Wort melden, sagt Zwick: «Eine möglichst harte Linie zu fahren, bringt aber weder ihnen irgendetwas noch der Gesellschaft.» Das Ziel müsse es sein, den Gefangenen neue Perspektiven aufzuzeigen, ihnen – wenn nötig – etwas zu lehren, damit sie sich nach der Haft wieder in die Gesellschaft eingliedern können.

«Den gegenteiligen Ansatz verfolgen die USA. Dort werden die Menschen in den Gefängnissen einfach weggesperrt – und die Rückfallquote ist dort bekanntlich sehr hoch», sagt Zwick. Wesentlich besser sei die Quote in der Schweiz. Davon ist er überzeugt, auch wenn es keine genauen Angaben gibt, weil etliche ausländische Straftäter nach der Haft wieder in ihr Heimatland zurückkehren, wo sie statisch nicht mehr erfasst werden können.

Der Trend geht hin zu grösseren, regionalen Gefängnissen mit einer Infrastruktur, die den Menschenrechten entsprechen.

Nicht viel mehr als mit der Forderung nach einer harten Linie kann Zwick mit einem Begriff wie «Kuschelknast» anfangen. «Ein Gefängnis ist und bleibt ein Gefängnis», sagt er: «Ein Ort, an dem sich niemand frei bewegen kann.» Das mache das Leben schwer, scheinbar sinnlos zum Teil auch. Darum brauche es in der Haft Strukturen – für Wohnen, Arbeit, Sport und Freizeit ebenso wie für die Sicherheit und das Personal, sowohl in der U-Haft wie im Vollzug.

In der Schweiz geht der Trend darum hin zu grösseren, regionalen Gefängnissen mit einer Infrastruktur, die den Menschenrechten und den Richtlinien des Bundes entsprechen. Es ist allerdings ein langsamer Prozess, wie sich auch in der Region Basel zeigt.

Die Ausrede der Regierung

Die Baselbieter Sicherheitsdirektion rechtfertigt die Wiedereröffnung von «Laufen» zwar mit der «prekären Situation wegen der anhaltenden Einbruchswelle», die nicht vorausgesehen werden konnte. Ganz ähnlich sprach die Regierung allerdings bereits vor über zehn Jahren. Schon in den Vorlage für den Neubau des Strafjustizzentrums in Muttenz von 2001 und 2004 war von «hohen Belegungszahlen» in den Gefängnissen und «zunehmenden Kriminaltourismus» die Rede.

Bis in einem Jahr soll das Zentrum mit 48 Haftplätzen nun tatsächlich gebaut sein. Dann soll auch das Gefängnis in Laufen für immer zu gehen – einmal mehr. Was von den Versprechen der Behörden zu halten ist, zeigt das Beispiel des Arlesheimer Bezirksgefängnisses.

Im Hinblick auf den Neubau in Muttenz ist seine Schliessung schon mehrfach angekündigt und wieder verschoben worden. Neuerdings schliesst die Sicherheitsdirektion nicht einmal mehr aus, dass «Arlesheim» auch mittel- bis langfristig weiter betrieben wird. Dabei ist inzwischen schon seit zehn Jahren quasi amtlich bestätigt, dass auch dieses Gefängnis untauglich ist. In der Vorlage fürs neue Straftjustizzentrum von 2004 ist einerseits von Sicherheitsmängeln («Gefahr insbesondere von Flucht, Geiselnahme etc.») die Rede, und anderseits von Zellen, die «den gesetzlichen Anforderungen (…) nicht mehr entsprechen».

Trotz dieser unhaltbaren Zuständen verzögerte sich der Baubeginn in Muttenz immer wieder, unter anderem weil Regierung und Landrat die Kosten ursprünglich viel zu tief veranschlagt hatten (auf 45 statt 75 Millionen Franken). Möglicherweise ist es für Politiker eben verlockend, bei den Häftlingen zu sparen, die keine Lobby haben. Und nach einer weitverbreiteten Meinung ohnehin schon zu sehr verhätschelt werden.

Basel hängt mit
Das Laufner Gefängnis bietet Platz für 11 Untersuchungshäftlinge, in den Untersuchungs- und Vollzugsgefängnissen in Arlesheim und Liestal können bis zu 75 Häftlinge untergebracht werden (aber auch nur dank so genannten «Notbetten»). Im neuen Strafjustizzentrum in Muttenz stehen ab Sommer 2014 48 Haftplätze zur Verfügung. Der Kanton Baselland arbeitet auch im Bereich der Haft mit Basel-Stadt zusammen, wo es ebenfalls zu wenige Gefängnisplätze gibt. Ein Problem, das aller Voraussicht nach frühestens 2018 mit dem geplanten Bau des Bässlergutes II gelöst wird – wenn überhaupt. In anderen Landesteilen ist die Situation ebenfalls nicht besser.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 12.07.13

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