Es ist kurz nach neun Uhr morgens, doch die Gesichter am Redaktionstresen verziehen sich zu Fratzen, als hätten die Journis sich gerade scharfes Geschütz hinter die Binde gekippt. «Kleinbasler Korn» – allein dieser Begriff bei der Morgensitzung reichte dafür aus. Fast alle scheinen ein Erlebnis mit der deutschen Vodka-Variante zu verbinden. Und zwar kein gutes.
Über solche Reaktionen kann Tobias Buser nur milde lächeln: «Whisky ist auch ein Getreide-Brand. Der Hauptunterschied zum Korn ist einfach die Lagerung im Holzfass.» Seinen miserablen Ruf hat der Korn daher, dass er einst als billiges Industrieprodukt mit schlechten Rohstoffen gebrannt wurde. Buser motiviert das: «Wir können im boomenden Markt der lokalen Brennereien überraschen, eine Nische besetzen und einen eigenständigen Brand aufbauen.»
Das klingt marketingtechnisch clever. Denn lokale Gin-Varianten gibt es bald mehr als Bierspezialitäten. Und schliesslich gelang schon einem süssen deutschen Kräuterlikör das Comeback vom Tresenhüter zum Trendgesöff.
Dieser Vergleich jagt nun Buser die Ekel-Grimasse ins Gesicht. Dem gelernten Winzer und Brenner steht der Sinn nicht nach klebrigem Fusel, sondern nach klarer Qualität. An der arbeitet er gemeinsam mit seinem Bruder David.
David Buser wirft gerade ein paar Holzscheite in den Ofen der Brennerei. Die Getreidemaische wird in der handgedengelten Kupferglocke auf Brenntemperatur erhitzt. Es riecht eher nach Sauerteig in einer Holzofenbäckerei als nach Schnaps.
Die wunderschöne Destillieranlage steht in einem hübschen Kleinbasler Hinterhof-Häuschen mit von Sandsteinblöcken gestützter Bruchsteinmauer, aussenrum Kopfsteinpflaster und Stadtmauer. «Unsere Familie lebt schon in sechster Generation hier», sagt Tobias Buser. Die Stadtbrennerei allerdings ist ganz neu.
Ein Gang durch alle Ämter
Zuletzt wurde das Hinterhaus als Gymnastikstudio genutzt. Ab 2015 schickte Buser Pläne und Anträge für den Umbau an die Behörden, um hier mit der Familie eigenhändig die Stadtbrennerei zu errichten. «Im Gegensatz zu ländlichen Gebieten, wo es noch viele Brennereien auf Bauernhöfen gibt, gelten für neue Destillieranlagen im Wohngebiet Anforderungen wie für chemische Installationen», so Buser.
Gewässerschutz, Brandschutz, Hygieneamt, Umwelt – so ziemlich alle Ämter waren involviert. Viele waren zum ersten Mal mit der Anfrage für eine Brennerei konfrontiert. Entsprechend lange dauerte es, bis die Brüder schliesslich Anfang dieses Jahres erstmals brennen konnten. Tobias Buser hatte es sich aber noch schlimmer vorgestellt. «Die Sympathien bei den Ämtern war immer spürbar.»
Das Gemüt der Busers ist unaufgeregt. Sie lassen sich von nichts aus der Ruhe bringen. Auch nicht davon, dass die Gersten-Maische im Kessel lustig aufschäumt.
«Zu hoch darf der Schaum nicht steigen, sonst gibt es eine Sauerei in den Rohren», sagt Buser. Dank Bullaugen kann er bei allen Stufen zuschauen, kontrollieren und mit vielen Hebeln und Hahnen regulieren.
Obwohl bei unserem Besuch erst die zweite Ladung gebrannt wird, wirken die Brüder entspannt, die Abläufe und Griffe routiniert. Nebenbei vermittelt der ältere Buser das nötige Hintergrundwissen.
So gibt Kupfer nicht nur schöne Kessel, es ist auch einfach zu bearbieten und ein perfekter Wärmeleiter. Es bindet bei Obstbränden auch die Vorstufe von Blausäure und wirkt als Schwefelkatalysator. All das ist gut für die Brände.
Nun zeigt die Temperatur im Geistrohr 78,2 Grad: Es geht los. Alkoholdämpfe zischen durch Rohre. Sofort reduziert Tobias Buser den Druck, «damit mehr Aroma drin bleibt».
Vom Wallis über Berlin nach Basel
Gelernt hat er das Handwerk in Berlin. Zwar gib es in Basel strenge Anlage-Regeln, jedoch in der ganzen Schweiz keine Berufsbildung für Brenner. «In Deutschland gibt es sogar unterschiedliche Lehren zum Brenner oder Destillateur.» Der eine sorgt für den sauberen Rohstoff, der andere veredelt ihn mit Kräutern und Aromen.
Buser selbst ist ursprünglich Winzer und hat längere Zeit im Wallis bei Salgeschin in einem Rebberg gearbeitet. Von dort stammen auch die Trauben für die paar Hundert Flaschen Schaumwein, die weiter hinten in der Brennstube im Rüttelpult liegen.
Nach der Reifung soll dort die Feinhefe vollständig ans Ende des Falschenhalses kommen. Erst dann werden die Flaschen von Hand entheft und für den Verkauf verkorkt. «Die traditionelle Flaschengärung ist einiges aufwendiger, doch so entstehen viel komplexere Schaumweine», so Buser. Lohnt sich der Aufwand für die paar Hundert Flaschen? «Auch der Basler Schaumwein ist noch in der Aufbauphase», so Buser.
Faible für Experimente
Schon an der Hochschule für angewandte Wissenschaften in Wädenswil verweilte Buser gerne im Versuchskeller mit Fruchtsäften, Olivenöl oder Kakao – bis hin zu ersten Versuchen in der dortigen Brennerei. Nach dem Berufsabschluss als Winzer arbeitete Buser vier Jahre an der Hochschule, «weil es ohne familiäre Vorbelastung schwierig ist, an ausreichend Rebland in guter Lage zu kommen».
Desillusioniert von der vergeblichen Suche folgte er schliesslich seiner Freundin nach Berlin und heuerte dort bei der Preussischen Spirituosen Manufaktur an. Dort mischte er nach alten Rezepturen oder neuen Kundenwünschen Geiste und Liköre.
Da ging es nicht nur um Trinkgenuss. Jede Apotheke hatte früher ihre Heilansätze mit Blüten, Wurzeln und Blättern von Heilpflanzen.» Buser probierte eigene Rezepturen, basierend auf alter Literatur und neuen Möglichkeiten. Logisch bestellten auch die Hipster bei der Berliner Manufaktur: «Der letzte Schrei waren Kaffee-Beeren-Reste-Verwendungen.»
Buser schüttelt kurz den Kopf und wendet sich dann der Flüssigkeit zu, die nun kristallklar aus dem Rohr schiesst: echtes Feuerwasser. 89 Prozent zeigt die Alkoholwaage. Buser schnuppert: «Überraschend fruchtig!».
Hellwach füllen die Brüder das frischgebrannte Nass in Gläser, riechen daran, stellen sie in Reihe auf, bis schliesslich beide nicken. Ab nun fliesst das edle Nass in einen grossen Stahlkessel. «Das ist der Mittellauf, da steckt das feine Aroma drin», erklärt Buser.
Der Vorlauf ist giftig, der Nachlauf grusig. Beides will man nicht, dafür möglichst viel des kostbaren Destillats. Den Unterschied schmeckt auch der Laie – und erkennt auch bei den Buser-Brüdern viel Freude über den geglückten zweiten Brenntag.
Der Korn kommt an
Die Qualität des Korns können sie jetzt noch nicht prüfen. Denn zuerst muss das Hochprozentige «harmonisieren», also verdünnt und gelagert werden. Doch die Brüder sind zuversichtlich zufrieden. Auf den Erfolg des zweiten Brenntages stossen sie mit Schaumwein an.
Über ein Dreivierteljahr später, im Oktober 2018, hat der Korn der Brüder Buser schon eine kleine Erfolgsgeschichte geschrieben. Es ist nicht nur in ihrer Stadtbrennerei zu kaufen: Das Trois Rois serviert den «Säemann»-Korn in gediegenem Ambiente, die preisgekrönten Barkeeper von Werk 8 haben für den «Säemann» schon einen Drink komponiert und der «Packs»-Vodka der Stadtbrennerei ist im «Angel’s Share», der Kleinbasler Bar für Spirituosen-Feinschmecker, bereits zum empfohlenen Standard-Vodka geworden.
Die Busers konnten es doch nicht nur beim Entmuffen des Korns belassen. Und so duftet es beim neuerlichen Brennereibesuch im Herbst 2018 überraschend fruchtig: Die Brüder brennen gerade Traubentrester aus dem Walliser Rebberg. «Nur so zum Verwerten und Ausprobieren», versichert Buser. Genauso wie die Flaschen mit verschiedenen Kräuter-Experimenten auf dem Verkaufstresen. Absinth und Hypocras, die nächsten Hauskreationen, sind in Entwicklung.
Doch erst einmal wartet das Experiment am Redaktionstresen. Hier kommt Korn!