Aus dem mächtigen Stadtstaat Venedig der Renaissance ist das Musikstudio «Venice» im New York der Siebzigerjahre geworden. An Zypern, das von den Türken bedroht wird, erinnert nur noch der Schriftzug «Cyprus» in der engen Aufnahmebox. Und der schwarze venezianische Feldherr Othello kommt als zwar erfolgreicher, aber missgestalteter weisser Popstar daher.
Das Theater Basel versucht mit «Othello X» seine erfolgreiche und gefeierte «Basler Dramaturgie» mit der Neudichtung oder der Überschreibung alter Dramentexte weiterzuführen. Dieses Mal gehts an eine ganz grosse Vorlage: an Shakespeares Tragödie «Othello», der im Titel nun – warum eigentlich? – ein «X» hinzugestellt wird.
Funktioniert das Überschreiben, das in dieser noch jungen Spielzeit bei «König Arthur» nach der Vorlage von Henry Purcell und John Dryden wunderbar, bei «Tartuffe» nach Molière passabel geklappt hat, auch bei Shakespeare, beim Grössten der Dramenmeister?
Alles andere als zwingend
Tut es nicht. Das liegt vor allem an der Tatsache, dass der Überschreiber Nuran David Calis, der hier auch inszeniert, nicht an die Sprachfertigkeiten von Ewald Palmetshofer, Peter Licht oder Simon Stone herankommt, die ungleich überzeugendere Aktualisierungen zustande brachten.
Das beginnt bereits beim Grundgedanken der Überschreibung. Calis versetzt das tragische Schicksal des schwarzen Feldherrn, der angestachelt durch den Intriganten Jago seine unschuldige Gattin Desdemona erdrosselt, ins New Yorker Musikbusiness der Siebzigerjahre. Das ist alles andere als zwingend. Aber warum nicht, kann man sich fragen.
Fast scheint es so, dass Calis selber nicht richtig an sein Konzept geglaubt hat. Für einen Prolog tritt er zu Beginn an die Bühnenrampe, um sich über die mangelnde «Diversität» im Basler Schauspielensemble zu beklagen. Er habe eine Parabel über Rassismus aufstellen, die Geschichte eines weissen Künstlers im schwarzen Musikbusiness erzählen wollen, was nun nicht wirklich möglich sei.
Bloss eine Symbolfigur des Ausgestossenen
Dieser Prolog berührt ein bisschen peinlich. Er trägt auch nicht dazu bei, dass die Geschichte, die man danach präsentiert bekommt, plausibler wird. Othello wird hier lediglich zur Symbolfigur des Ausgestossenen. Die Ensemblemitglieder, die an den beiden Bühnenseitenwänden auf Bänken unbeteiligt auf ihre Auftritte warten, malen ihm zu Beginn rassistische Schimpfwörter auf den Leib und den kahlen Kopf: «Kanake» auf die Stirn, «Dreck-Nigger» auf die Brust, «Bimbo» auf die Schulter.
Othello selber verunstaltet währenddessen mit Klebestreifen sein Gesicht, das er als Popstar hinter einer silbernen Maske verbergen muss.
Das alles reicht im Verlauf des 105-minütigen Abends nicht aus, um den selbstzerstörerischen Schmerz des Anders- und Ausgestossen-Seins des Protagonisten schlüssig zu erklären. Doch das liegt nicht an Othello-Darsteller Simon Zagermann, der einmal mehr beweist, was für ein grossartiger Schauspieler er ist.
Dasselbe kann man auch über die weiteren Darsteller sagen. Insbesondere über Thiemo Strutzenberger, der einem als fieser und schmieriger Intrigant das Fürchten lernt, für Liliane Amuat, die trotz ihrer schrecklich strähnigen Haartracht und ihres beengenden Goldlametta-Kleids eine verletzliche und ebenso starke Desdemona abgibt, und für Thomas Reisinger als jovial-brutaler Studioboss. Gerne hätte man diese und die weiteren Darsteller als Figuren im originalen Shakespeare erlebt.
Die Schwächen des Abends liegen in der Anlage selber. Das bunt-hässliche Ambiente mit grauslich gemusterten Tapeten, braunen Spannteppichen, Schlaghosen, furchterregenden Frisuren und goldenen Stoffen könnte als Ausstattung einer possenhaften Komödie noch durchgehen, bei der angesetzten Tragödie wird es aber zur grossen Hypothek.
Im Musikstudio ohne Musik
Und die Schwächen offenbaren sich im Text, der gespickt mit Zeitgeist-Plattitüden flach und bedeutungsarm über die Rampe kommt. Das wird besonders spürbar, wenn zwischendurch Originalpassagen aus der Vorlage hörbar werden.
Eine Merkwürdigkeit noch zum Schluss: Obwohl das Stück in einem Musikstudio spielt, obwohl die Hauptfigur ein gefallener Popengel ist, spielt Musik, abgesehen von zwei kurzen, elektronisch begleiteten Sprechgesangseinlagen, keine Rolle. Also nochmal die Frage: Warum die Übertragung ins Musikbusiness der Siebzigerjahre? Eine Antwort bietet der Abend nicht.
Theater Basel: «Othello X» von Nuran David Calis nach Shakespeare. Weitere Vorstellungen bis Ende November.