Sie haben in Basel mehr zu sagen als die meisten Politiker. Sie mobilisieren die Massen und polarisieren. Wer sind Erik und Thierry Julliard?
Ein Trommler pro Kanton – und keiner mehr. So war das geregelt, als der heute 36-jährige Erik Julliard Rekrut und in dieser Funktion Tambour war. Als Einzelmaske hatte er Basel-Stadt zu repräsentieren. So, wie es heute Guy Morin tut. Bloss: Rekruten erfüllen diese Aufgabe im kleinen Kreis. Regierungsrat Morin hingegen wurde 2008 offiziell, allerdings in stiller Wahl, zum ersten Basler Stadtpräsidenten gekürt.
Die Freude war kurz getrübt, als Anwalt Thierry Julliard (64) seinem Unmut über die Wahl Luft machte. Sein Zorn entflammte sich aber nicht an Morins grüner Gesinnung oder der Person Morin an und für sich. Es war die Art der Wahl, die Julliard störte, das Stille daran. Weit entfernt von einer Volkswahl sei es, den Regierungsrat im Alleingang bestimmen zu lassen, wer Stadtpräsident sein soll. Mit einer Verfassungsbeschwerde blitzte Julliard beim Appellationsgericht ab.
Die Geschichte liegt vier Jahre zurück. Noch immer ist Guy Morin Stadtpräsident – und noch immer macht er den Julliards zu schaffen. Diesmal ist es der Sohn, der sich auflehnt. Als Produzent des Basel Tattoo will Erik Julliard einen grosszügigen Durchbruch im Hauptgebäude der Kleinbasler Kaserne und somit einen grösseren Eingriff in die Kulisse seines Festivals verhindern. Möglicherweise droht ihm ebenfalls ein Scheitern im Kampf gegen Morin – oder vielmehr gegen dessen Abteilung für Stadtentwicklung: Bei den Verantwortlichen dort herrscht Aufbruchstimmung. Und nicht nur bei ihnen: Mit dem jüngsten Parlamentsbeschluss, ein Seitengebäude abzureissen, ist der erste Schritt in Richtung Öffnung der Kaserne getan.
Scheitern ist nicht ihr Ding
Die Julliards haben wenig Erfahrung mit dem Scheitern. Es ist der Erfolg, an den sie sich gewöhnt haben und der der Bescheidenheit wenig Platz einräumt: So etwa, als Erik Julliard in der Tele-Basel-Kochsendung nicht müde wurde, die von ihm zubereiteten Schinkenröllchen als «Wältklass!» zu loben. Wenn es darum geht, aufs Tattoo zurückzuschauen, sagt er gern: «Brillant» oder «ein Bombenjahrgang». Das «Schissdräggzygli», bei dem Vater Julliard pfeift, hat einen Namen, der alles sagt: «S GäälvomAi».
Mit der Erfindung des Raucher-Vereins Fümoar hat Thierry Julliard eine Erfolgsgeschichte hingelegt, wie sie in der heutigen, raucherfeindlichen Zeit eigentlich kaum mehr denkbar wäre. Sein Sohn hat mit dem Basel Tattoo eine Veranstaltung ins Leben gerufen, deren Erfolg so gross ist, dass einem schwindlig wird: Über 100 000 Zuschauer, 10 000 Hotelübernachtungen, 1000 Mitwirkende und – nach Edinburgh – das grösste Tattoo der Welt.
Zwei Schlagzeilen, zwei Julliards
So verschieden Fümoar und Tattoo sind – beide Themen sind immer wieder für eine Story gut. Wenn das Tattoo-Tram die falsche Strecke fährt, freut sich die Boulevard-Presse, wenn der Staat Fümoar-Wirte verwarnt, stürzten sich alle Medien darauf. Immer sind es die Julliards, die Auskunft geben. Nicht selten sorgen sie am selben Tag für Schlagzeilen: Diesen Monat warnte Thierry Julliard bei Radio Basilisk vor gefälschten Fümoar-Ausweisen. Nur wenige Stunden später kündigte der Sohn auf der selben Frequenz ein Referendum an, sollte der Grosse Rat der Regierung den Auftrag erteilen, einen Architekturwettbewerb für eine Kasernenöffnung auszuarbeiten.
Es ist eine hohe Medienpräsenz für zwei Männer, die nicht in der Politik sind – und es auch künftig nicht sein wollen. «Ich mische mich nur ein, wenn ich etwas von der Sache verstehe. Politiker mischen sich überall ein», sagt Thierry Julliard. Als Anwalt versteht er was vom Gesetz. Und kämpft für die Freiheit der Beizer, selber zu entscheiden, ob bei ihnen geraucht werden darf. Der Sohn ist zahmer: Das angekündigte Referendum hat er doch nicht ergriffen. Was aber noch keiner Kapitulation gleichkommt. Im Gegenteil.
Auf dünnem Eis im Kleinbasel
Während der Vater praktisch nur noch im Zusammenmhang mit Fümoar genannt wird, steht Erik Julliard längst nicht mehr nur als Tattoo-Produzent im Rampenlicht. Und es ist für ihn auch damit nicht getan, seine Kompetenz als Charivari-Programmverantwortlicher und in der Jury des Bryys-drummle und -pfyffe zu beweisen. Der junge Julliard ist auch an Veranstaltungen gefragt, die mit Militärmusik und Fasnacht nichts zu tun haben.
Er zeigt sich an der Wiedereröffnung der Manor, am «Jänner Trunk» der Messe Schweiz, auf dem Podium eines KMU-Gesprächs – und im Organisationskomitee der «Gribi-Metzgete». Bis auf die letzte Veranstaltung finden alle Anlässe im Kleinbasel statt. Die Kleinbasler betrachten Erik Julliard als einen von ihnen. Dort trommelt er mit seiner Clique Naarebaschi, dort ist das Tattoo zu Hause. Aber genau sein Einsatz für eine weitgehend unveränderte Tattoo-Kulisse könnte dazu führen, dass sich die Kritik an seiner Person künftig nicht mehr nur auf die Aufführung des Morgenstreichs im Hochsommer beschränkt. Denn bei der Kasernen-Debatte geht es um mehr als um Kulissen. Es geht um eine Aufwertung des Kleinbasels, um Urbanität.
Nachgebautes Brandenburger Tor
«Urbanität» – das ist das Argument der Initianten, welche zumindest einen Teil des Kasernen-Kopfbaus abreissen wollen, angeführt von «Kulturstadt jetzt». Urbanität und Aufwertung will auch die Regierung. Es könne nicht sein, dass wegen einer einzigen Veranstaltung nichts verändert werden dürfe, sagte Guy Morin im Parlament. Im gleichen Atemzug versprach er, den Kasernen-Kopfbau stehen zu lassen.
Ein Abriss steht derzeit also nicht zur Debatte. Doch selbst wenn? Wäre das Tattoo auf der Kaserne dann tatsächlich gefährdet? Ein Blick zum «Berlin Tattoo», für das Erik Julliard mitverantwortlich ist, lässt aufatmen: Dort gehts auch ohne Kaserne – und ohne sonstige Bauten aus Stein. Dort ist man imstande, das 26 Meter hohe Brandenburger Tor nahezu in Originalgrösse nachzubauen – und in einer Halle aufzubauen. Auf der Homepage sind Bilder davon zu sehen. Von einem «Bühnenbild der Superlative» ist die Rede.
«Von zehn Ideen, die ich habe, gelingen vielleicht drei», sagte Erik Julliard 2010. Für seine Verhältnisse eine bescheidene Aussage. Vor allem zum damaligen Zeitpunkt: Das Fünf-Jahr-Jubiläum des Basel Tattoo wurde gefeiert und Julliard erhielt den Bebbi-Bryys der Bürgergemeinde für «Persönlichkeiten, die sich besonders für die Stadt einsetzen». Alles war gut, sehr gut. Zwar war die Debatte um die Kaserne schon im Gang, beschlossen war aber noch nichts. Zum Jubiläum fragte Tamara Wernli Julliard in der Kochsendung, wo er seine Veranstaltung in fünf Jahren sehe. Just in dem Moment war jedoch die Kochzeit abgelaufen – und die Frage verhallte in der Studioküche.
«Tattoo dort, wo es hingehört»
Erik Julliard und mit ihm die freiwillige Denkmalpflege und der Heimatschutz gehen zurzeit nicht politisch gegen die Kasernen-Pläne vor. Ihr Argument: Sie wollen nicht gegen den beschlossenen Abriss des Seitengebäudes kämpfen, diesen akzeptierten sie, wenn auch nur «zähneknirschend». Ihnen ginge es um den Erhalt des Hauptbaus. Der liesse sich nicht nachbauen, ist Julliard überzeugt. «Anders als das Berlin Tattoo findet das Basel Tattoo dort statt, wo es hingehört – im Hof einer Kaserne.» Weiter argumentiert er mit Lärmschutz und Infrastruktur.
Im Herbst will die Regierung den Architekturwettbewerb präsentieren. Wenn dieser ausgeschrieben wird, liegen bald auch Projektideen vor – und mit ihnen Urteile. Ein Referendum der Gegner gegen ein konkretes Projekt wäre aussichtsreicher als eines, das ein Darüber-Nachdenken verhindern will. Der Zeitplan der Regierung beinhaltet aber kein Referendum. Demnach fahren auf der Kaserne 2015 die Bagger auf. Und das Tattoo erhält zum Zehnjährigen eine neue Kulisse. Womit Tamara Wernlis Frage beantwortet wäre.
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 17.02.12