Warum ist Scheitern ein Tabu, wenn doch Fehler Flügel verleihen?

Aus Fehlern wird man klug? Das mag stimmen, doch wegen des Erfolgsdrucks bleibt in der Wissenschaft für Misserfolge kaum Zeit.

Per Missgeschick zur bahnbrechenden Entdeckung: Alexander Fleming stiess in einer verschimmelten Petrischale auf das Penicilin.

Alle paar Monate treffen sich fehlgeleitete Entrepreneurs zur «Fuckup Night», der Nacht des Pfuschs und der Fehlschläge. Weltweit gibt es diese Treffen, so auch in Basel. Auf einer Karte mit vielen Punkten drauf, dem Global Failure Index, sind die Zeugnisse des Scheiterns in der Start-up-Welt abgelegt.

Einer hat sich beim Pricing vertan, der andere mit Krediten übernommen. Die gebeutelten Unternehmer eint neben der erlittenen Bruchlandung eines: die Überzeugung, dass Lehren nur aus Fehlern gezogen werden können.

Wären an der «Fuckup Night» Wissenschafter anwesend – die Nacht würde nie enden. «Der Misserfolg ist in unserer Forschung die Regel, der Erfolg die Ausnahme», sagt Erich Nigg, Leiter des renommierten Basler Biozentrums. «Die Realität ist nicht so, wie sie gerne dargestellt wird. Da brütet nicht ein Forscher jahrelang in seinem Labor, kommt dann irgendwann hervor, ruft ‹Heureka!› und präsentiert eine unglaubliche Entdeckung.» Die Realität ist: Versuch und Fehler, Trial and Error, selten ein kleiner Erfolg, ein grosser vielleicht gar nie.

Fehler beflügeln die Forschung

Doch die Frage ist gerade angesichts der virulenten Ressourcendebatte, ob es sich dabei nicht öfter mal um vermeidbare Leerläufe handelt, weil irgendwo auf der Welt schon einmal ein Forscher dasselbe vergeblich versucht hat. Der deutsche ­Sozialwissenschafter René John hat zum Scheitern ein Buch geschrieben und kommt zum Schluss: «Wenn der Wissenschafter sagt, er sei gescheitert, dann ist das von keinem Interesse.» Niemand würde über die eigenen Fehlgriffe sprechen, schreibt John.

Tatsächlich werden immer wieder Initiativen gestartet, die daran etwas ändern wollen, etwa in der Industrie. So hat der Pharmamulti Amgen damit begonnen, gescheiterte Reproduktionen von Laborversuchen zu publizieren. Der Konzern will mit der Hilfe anderer Wissenschafter herausfinden, was schiefgelaufen ist. Durchgesetzt hat sich der Ansatz nicht, zu gross ist die Angst, den Konkurrenten wertvolle Hinweise zu liefern.

Das Magazin «JunQ» veröffentlicht nur gescheiterte Studien.

Doch auch in der universitären Wissenschaft finden sich entsprechende Vor­haben. Das Magazin «JunQ» («Journal of unsolved Questions») hat sich dem Scheitern verschrieben. Es veröffentlicht nur Studien, bei denen trotz korrekter Versuchsanordnung und richtiger Methode nichts herausgekommen ist. Die Macher glauben, dass es die Forschung beflügelt, wenn die Fehler anderer in der eigenen ­Arbeit berücksichtigt werden.

Beachtung findet das Journal jedoch kaum. Erich Nigg überrascht das nicht. «Es herrscht schon bei den Forschungserfolgen ein Informationsüberfluss, da fehlt schlicht die Zeit, sich auch noch mit den gescheiterten Versuchen auseinanderzusetzen.» Abertausende Wissenschafter forschen und experimentieren und ver­öffentlichen ihre Ergebnisse. Rund eine Million Publikationen erscheinen jährlich alleine im Fachbereich Biomedizin, dranbleiben kann da keiner.

Kakophonie an Ergebnissen

Auch die Experimente des Biozentrums fliessen, ob geglückt oder nicht, in eine Datenbank ein. Doch anschauen würde die kaum jemand, sagt Nigg: «Das ist eine gewaltige Kakophonie an Ergebnissen, damit könnte man sich den ganzen Tag beschäftigen.» Dafür fehlt die Zeit angesichts der omnipräsenten Erwartungshaltung, positive Ergebnisse zu produzieren. «Unsere Währung ist die Publikation, wer das nicht liefert, scheidet irgendwann aus», sagt Nigg offen und fügt an: «Der Erfolgsdruck ist brutal.»

Wenn das Biozentrum eine Professur ausschreibt, melden sich 200 und mehr Bewerber. Zum Zuge kommt immer derjenige mit dem besten Leistungsausweis.

Das vermeintliche Scheitern von heute kann in 20 Jahren ein Durchbruch sein.

Hoch gewertete Publikationen helfen nicht nur bei der Jobsuche, ohne sie ist es nicht möglich, an Forschungsgelder zu kommen. «Und ohne Gelder, da machen Sie gar nichts», sagt Nigg. Publikationen bringen Gelder und diese neue, Aufsehen erregende Publikationen. Dieser Wechselwirkung können sich Forscher kaum entziehen. Scheitern einzugestehen, scheint da nicht besonders karriereförderlich.

Erich Nigg will eine andere Perspektive auf die Problematik einbringen: «Das Prob­lem ist, dass unsere Welt immer nach Helden verlangt. Aber so funktioniert Forschung nicht. Forschung ist immer ein Community-Effort. Es sind zig Mosaiksteinchen von unterschiedlichsten Wissenschaftern, die letztlich eine grosse Entdeckung ermöglichen.» Und es sind oft Puzzleteile, die man als Zeugnisse des Scheiterns interpretieren könnte, weil sie für sich genommen keinen Wert haben.

Dazu kommt, dass das vermeintliche Scheitern von heute in 20 Jahren ein Durchbruch sein kann. «Die Geschichte der Forschung zeigt, dass es selten dort Durchbrüche gab, wo nach Plan geforscht wurde», sagt Nigg. Auch die bejubelte Gen-Schere Crispr sei ursprünglich ein Zufallsfund gewesen. Penicillin wurde nur entdeckt, weil Alexander Fleming eine Nährbodenplatte verschimmelte.

Manchmal ist die Blamage von heute der Triumph von morgen.

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