Warum wir so sind: Der Zusammenhang zwischen Psyche und Politik

Wieder einmal soll die Persönlichkeit des Einzelnen für seine politischen Präferenzen verantwortlich sein. Doch eine Haltung entsteht nicht aus Neigungen oder Algorithmen, sondern idealerweise aus kritischer Selbstreflexion.

Die Cervelat eint die Eidgenossen am 1.-August-Feuer. Aber ob sie darum auch alle gleich abstimmen? (Bild: Keystone)

Vor mir liegt ein Zeitungsartikel aus der «National-Zeitung» vom 4. Januar 1934 über den schweizerischen Faschismus: «Zur Psychologie der Frontenbewegung». Ein Zufallsfund und eine Enttäuschung, wenn nach heutigen Massstäben erwartet worden wäre, dass da wirklich allfällige Zusammenhänge zwischen psychischer Disposition und politischen Haltungen diskutiert würden.

Die in diesem Artikel gegebenen Erklärungen sind allerdings nicht unzutreffend: Es ist von der Moderne in Form einer «rationalisierten Technik» die Rede, die bei den Menschen die Sehnsucht nach Gemeinschaft verstärke, und von Entfremdung, also einem Vorgang, den der grosse Soziologe Ferdinand Tönnies in seinem Schlüsselwerk «Gemeinschaft und Gesellschaft» schon 1887 analysiert hat: Die ursprünglich in der sozialen Form der Gemeinschaft beheimateten Menschen, legte er dar, geraten in moderne Gesellschaften mit ihren zweckbestimmten Beziehungen «wie in die Fremde».

Was bringt es, wenn wir Donald Trump als pathologischen Narzissten einordnen?

Inzwischen hat die Psychologie eine starke Entwicklung erfahren und nimmt in unseren Erklärungen des Alltagsverhaltens einen stets grösser werdenden Platz ein. Dies zeigt sich auch darin, dass, wer an der Front der Forschung sein will, wirtschaftliches Verhalten nicht mehr auf das eindimensionale Modell des Homo Oeconomicus zurückführt, sondern «Verhaltensökonomie» betreibt.

Das tut der aus dem Vorarlberg stammende Zürcher Ökonom Ernst Fehr seit einer ganzen Weile mit Erfolg. Er hat psychologische Annahmen in ökonomische Modelle eingebaut, um die Entscheidungsfindung von Menschen besser zu verstehen. Anerkennung hat diese Disziplin auch mit der kürzlich erfolgten Verleihung des Wirtschaftsnobelpreises an den Amerikaner Richard H. Thaler erfahren.

Und in der Politik – wie viel von welcher Art von Psychologie ist da im Spiel? Diese Frage ist spätestens mit der Trump-Wahl aufgeworfen worden. Psychologie kommt vor allem bei Deutungen von unerfreulichen Erscheinungen zum Zug, obwohl man sie eigentlich auch zum Verständnis erfreulicher Haltungen beiziehen könnte.

Was bringt es, wenn wir Trump als pathologischen Narzissten (krankhaft Selbstverliebten) einordnen, wie er im Lehrbuch umschrieben wird? Es könnte uns vor allem daran hindern, dass wir uns mit seinen Ideen und seiner Politik auseinandersetzen. Es geht nicht um Wesenszüge und Geisteszustand, sondern vor allem um die Form und den Inhalt der betriebenen Politik. Unter politischen Gesichtspunkten könnte es geradezu eine Verharmlosung sein, bestimmte Programme bloss als Produkt bestimmter psychischer Dispositionen zu reduzieren.

Hitler als Person kann man psychologisieren, doch den Nationalsozialismus hat man damit nur unzureichend erfasst.

Kürzlich haben 27 amerikanische Fachleute mit dem Buch «The Dangerous Case of Donald Trump» dem amerikanischen Präsidenten psychische Gestörtheit attestiert. Ein klinischer Psychologe bezog sich, was ja kommen musste, auf den 1933 zur Macht gelangten NS-Diktator und erklärte, sein Berufsstand sei verpflichtet, gegen den Aufstieg des «amerikanischen Hitlers» anzutreten. Hitler als Person kann man sehr wohl psychologisieren, den Nationalsozialismus hat man damit aber nur unzureichend erfasst.

Die US-Bewegung «Citizen Therapists Against Trumpism» fordert dazu auf, nicht psychologisierende Diagnosen zu kultivieren, sondern sich stattdessen mit dem Gedankengut auseinanderzusetzen, das die Freiheit und Demokratie bedrohe. Dazu gehöre, wie in der «Zeit» zu lesen war: Gruppen verbannen, Kritiker degradieren, verhöhnen und erniedrigen und den Kult um den «starken Mann» unterstützen, der an Angst und Wut appelliert, die Geschichte für seine Zwecke neu erfindet und dabei niemals Fehler eingesteht, geschweige denn sich dafür entschuldigt.

Es gibt die Versuchung, auch den Populismus als soziale Krankheit zu deuten. Was ist damit gewonnen? Die Ansiedlung im Medizinalbereich hat Stärken und Schwächen: Stärken, weil sie vor falschem, vorschnellem Moralisieren schützt; Schwächen, weil sie den Einbezug der moralischen Komponente nicht aufkommen lässt und der Ethik zu wenig Raum lässt. Wie bei klassischen Gesundheitsfragen üblich, kann man darüber nachdenken, welche Präventionsmassnahmen vorgekehrt werden können und worin die Symptome bestehen. Populismus ist zwar ansteckend, kann aber nicht wie Massenerkrankungen ausgerottet werden.

Es wird angenommen, es gebe eine Übereinstimmung von «Charakteren» der Parteiformationen und ihren Supportern.

Auch in der Schweiz wird über dieses PPP nachgedacht: über die Zusammenhänge zwischen Psyche, Persönlichkeit und Politik. Der Berner Politologe Markus Freitag hat mittels einer Studie bei 14’000 Schweizerinnen und Schweizern mit 15 Testfragen den Zusammenhängen zwischen Charaktereinschätzungen und politischen Vorlieben nachgespürt, daraus Wähler/innen-Steckbriefe hergestellt und diese bestehenden Parteien zugeordnet.*

Die Befunde haben die relative Aussagekraft von Selbsteinschätzungen. Wenn sich 40 Prozent der Befragten gemäss dieser Studie als bescheiden, mitfühlend und warmherzig einschätzen, besagt dies bloss, wie sie sich selber gerne sehen, aber noch lange nicht, dass sie sich auch so verhalten.

Angenommen wird jedoch, dass es so etwas wie eine Fusion von Vorlieben gibt zwischen den Selbstzuschreibungen und den Bildern, die von den Parteien bestehen. Es gebe eine Übereinstimmung von «Charakteren» der Parteiformationen und ihren Supportern. Etwas mehr Mühe würde es jedoch bereiten, die doch sehr unterschiedlichen Charaktere einzelner Politakteure in die Analyse einzubeziehen: etwa zwischen den SVPlern Blocher, Freysinger und Rösti oder den FDPlerinnen Keller-Sutter und Markwalder oder den beiden SPlerinnen Herzog und Fetz.

Wichtiger als Big-Data ist noch immer die nicht pauschalisierbare Einzelbeobachtung.

Was bei der Zuordnung allgemeiner Persönlichkeitsmerkmale zu einzelnen Parteien herausgekommen ist, überrascht nicht. Die SVP würde tendenziell von weniger offenen, bodenständigeren und zugleich wenig kompromissbereiten und angriffslustigen Personen unterstützt; die SP dagegen von offeneren, weniger bodenständigen, Normen hinterfragenden, mitfühlenden Menschen.

Die FDP-Supporter seien ähnlich wie die SVPler, nur stressresistenter und weniger sorgenvoll. Und die CVPler werden als angespannt und ängstlich, mitfühlend und kompromissbereit beschrieben. Vorbehalte gegenüber solchem Big-Data-Output sind angebracht. Wichtiger ist noch immer die nicht pauschalisierbare Einzelbeobachtung.

Auch hier die Frage: Was ist mit solchen Erkenntnissen gewonnen? Können wir politische Kräfte besser einordnen und aufgrund dieser Einordnung eher wissen, wer wen unterstützt und wie tickt? Markus Freitags Ausführungen können wir entnehmen, dass wir je zur einen Hälfte über Erbgut und zur anderen Hälfte über Milieu und Erlebtes programmiert seien.

Der Einfluss von Nachbarschaften geht zurück, weil jeder als Einzelwesen vor allem den Bildschirm als Gegenüber hat.

Was bleibt da für Selbstbestimmung übrig? Freitags Abklärungen interessieren sich für den «angeborenen Kern», der sich wenig verändert. Sie sind nicht auf die Frage ausgerichtet, wie wir unsere eigenen Haltungen gestalten können. Sie betonen vor allem die Möglichkeit und Gefahr, dass wir aufgrund von Social-Media-Profilen, denen wir uns mit unseren indirekten Datenlieferungen selber zuordnen, politisch ferngesteuert werden. Cambridge Analytica habe das in der Trump-Wahl gemacht.

Die Gefahr besteht darin, dass wir über Internet-Mikrotargeting nur noch mit dem gefüttert werden, was angeblich oder tatsächlich zu uns passt und dass so kaum mehr Möglichkeiten der Weiterentwicklung bestehen und/oder des Ausbrechens aus unserem gegenwärtigen Sein. Dass es also im Internet-Gemeinschaftskäfig keine gesellschaftliche Freiheit gibt.

Die bessere Datensammlung gewinnt

In politischen Wettbewerben (Wahlen/Abstimmungen) siegt dann nicht die Seite mit den besseren Argumenten, sondern jene mit den besseren Datensammlungen. Dabei erodieren auch die klassischen Territorien, die es sortierbar nach Gemeinden oder Stadtquartieren einmal gab, in Basel das liberal-konservative Sevögeli oder das rote Bläsi.

Der Einfluss von Nachbarschaften geht zurück, weil jeder als Einzelwesen vor allem den Bildschirm als Gegenüber hat und kein Austausch von gegenläufigen Argumenten mehr stattfindet. Es könnte eine stärkere Durchmischung von Wohnzonen und einen stärkeren Einfluss des Internets geben. Konkret: SVP-Sympathisanten in traditionellen SP-Quartieren, SP-Sympathisanten in traditionellen Landgemeinden.

Wenn wir tatsächlich der elektronischen Fernsteuerung ausgesetzt sind, wird die bereits bestehende Notwendigkeit wichtiger, dass wir über kritische Selbstreflexion zu Schlussfolgerungen gelangen und nicht nach irgendwie waltenden Automatismen unsere Positionen einnehmen.

* Markus Freitag: «Die Psyche des Politischen», NZZ Libro 2017 (250 Seiten).

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