Aus der Betroffenheit argumentiert es sich am besten. Ein persönliches Bekenntnis eines Praktikanten zur Leidenschaft, Journalist zu sein.
Nennt mich privilegiert. Zwar habe ich keine Festanstellung, aber man bezahlt mich immerhin anständig. Anständig bedeutet, dass ich von meinem Gehalt als Redaktionspraktikant bei der TagesWoche leben kann. Weder muss ich – mit knapp 30 – meine Eltern nach Geld fragen noch abends hinter irgendeiner Bar stehen noch bei der Regionalen Arbeitsvermittlung ein Taggeld beantragen. In dieser Branche stellt das eine Ausnahme dar. Fast jede Zeitung, bei der ich bisher gearbeitet habe, verfolgte ein eigenes Entlöhnungsmodell für Praktikanten; mal gab es Zeilengeld, mal eine – recht lausige – Pauschale. Geglichen haben sich die verschiedenen Ansätze lediglich in einem Punkt: Das Geld reichte für gar nichts.
Nun kann man gerne einwenden, die Zeitungsbranche sei ja ohnehin ein hartes Pflaster, wo noch härteres Brot an der Tagesordnung sei. Das mag stimmen, eine Rechtfertigung für die Ausbeutung junger Ausgebildeter ist es mitnichten. In den Ausschreibungen für die Praktikumsstellen sind oft Sätze wie die Folgenden zu lesen: «Journalistische Erfahrung von Vorteil» oder «Abgeschlossenes Studium erwünscht». Sprich: Die ausbildende Begleitung allfälliger Praktikanten ist sekundär. Die sollen gefälligst arbeiten, die Jungen! Praktika stellten einst eine Möglichkeit dar, Einblicke in ein Tätigkeitsfeld zu erlangen oder erste Berufserfahrungen zu sammeln. Heute sind sie vielerorts zu Billigarbeitsplätzen für eine Art Studentenprekariat verkommen.
600 Franken monatlich
Die Onlineredaktion einer Basler Tageszeitung beispielsweise bietet dreimonatige Praktika an. Einschlägige Erfahrungen und eine «Ausbildung im Medienbereich» sind zwar nicht unbedingte Voraussetzung, die Stellenbeschreibung lässt aber durchblicken, dass im Vorteil ist, wer über solches verfügt. Entlöhnt wird das Praktikum mit inakzeptablen 600 Franken monatlich. Damit lässt sich die Miete für ein Zimmer in einer WG bezahlen, allenfalls noch ein U-Abo, sonst nichts. Die betreffende Onlineredaktion umfasst aktuell vier Personen, allzu viel Zeit für die Betreuung eines Praktikanten wird mit einer solchen Besetzung nicht anfallen.
War früher also alles besser? Sind wir aspirierenden Journalisten die Opfer, die grossen Medienhäuser die Täter? Noch langweiliger als Kulturpessimisten sind Jammerlappen. «Opfer» hat sich vor einiger Zeit schon als Schimpfwort etabliert. Die Ursache dieses Sprachzerfalls liegt – kulturpessimistisch gesprochen – wie so oft im deutschen Hip-Hop. Bei aller Abneigung gegenüber dieser unsäglichen semantischen Umdeutung muss allerdings festgestellt werden: Einfach alles demütig hinnehmen, das tun nur Opfer.
Selbstbewusstsein lohnt sich doppelt
Viele vergessen: Ein Bewerbungsgespräch ist eine Verhandlung. Man wird eingeladen, weil Interesse an der Person und ihren Fähigkeiten besteht. Auch der Bewerber bringt Argumente mit an den Verhandlungstisch, muss sich nicht mit allem einverstanden erklären und kann seinerseits Forderungen stellen. Selbstbewusstsein lohnt sich doppelt. Wer erfolgreich fordert, zieht mit einem besseren Vertrag von dannen und hat sich gleichzeitig als beherzt und hartnäckig hervorgetan. Beides ist absolut und unbedingt vonnöten, um als Journalist gut zu werden. Profit und Profil geben sich die Hand.
Sollte die Verhandlung an den vorgebrachten Ansprüchen scheitern und man selbst ohne Praktikum dastehen, kann man immer noch als freischaffender Journalist arbeiten und sich nebenher abends hinter statt vor eine Theke stellen. Damit verdient man auch nicht schlechter als im Praktikum, ist publizistisch freier und kann sich – bei entsprechendem Einsatz – fast genauso gut profilieren.
Wir Postmateriellen
Meine Generation wird gerne als postmateriell bezeichnet. Unsere Eltern sind Akademiker, sie haben Karriere gemacht, wir hatten eine sorglose Kindheit. Kaum jemand aus meinem Freundeskreis, der nicht einem «Traumberuf» nachgeht. Wir wollen uns verwirklichen. Das gibt es nicht gratis. Und reich wird man davon auch nicht. Achtung Pathos: Es braucht Talent und Leidenschaft, vor allem Leidenschaft.
Leidenschaft für eine Aufgabe mit Verantwortung; Relevanz die Zielgrösse, Stil das Mittel, um den Leser zu erreichen. Als Journalist wird man gelesen. Das ist ein Privileg.
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 09.11.12