«Weiblich»? «Männlich»? Versuch einer Entwirrung

Wann darf Mann noch Mann sein, wann Frau noch Frau? Die Veränderung der Rollenbilder führt zu Verunsicherungen bei beiden Geschlechtern.

Wie ist das jetzt als Frau? Samanta, Céline und Danielle im Gespräch. (Bild: Nils Fisch)

Wann darf Mann noch Mann sein, wann Frau noch Frau? Die Veränderung der Rollenbilder führt zu Verunsicherungen bei beiden Geschlechtern.

Frauen haben sich emanzipiert. Sie dürfen arbeiten, Karriere machen und stark sein. Im Gegenzug dürfen Männer Wäsche waschen, Kinder grossziehen und auch mal weinen. Wir als Frauen schätzen das. Wir verdanken dem Feminismus viel. 

Doch diese Freiheit bringt auch neue Unsicherheiten. Vielen Männern ist heute unklar, welche Rolle sie den Frauen gegenüber einnehmen sollen. Dürfen sie noch Gentleman sein? Wo ist ihre Männlichkeit gefragt? Wo können sie Schwäche zeigen?

Ähnlich geht es den Frauen: Sie wollen trotz Gleichstellung Frau bleiben. Nur was bedeutet Weiblichkeit in einem modernen Kontext? Wo beginnt Sexismus – und wo ist das klassische Balzen des Männleins um das Weiblein durchaus attraktiv?

In einer Zeit, in der vieles möglich ist und die Erwartungen gross, ist es schwierig, die eigenen Bedürfnisse zu erkennen und ihnen gerecht zu werden, wie die beiden TagesWoche-Journalistinnen Danielle (40) und Samanta (27) sowie Céline (21), Studentin der Ethnologie und der Geschlechterforschung, in einem Gespräch anhand von Situationsbeispielen erkannten. 

Wo machen für mich klassische Rollenbilder noch Sinn, wo nicht?

Danielle: «Ich persönlich fühle mich sehr weiblich, wenn mir meine männliche Begleitung ein Kompliment über mein neues Kleid macht, welches ich extra für diesen Abend angezogen habe. Hier fühle ich mich sehr sicher in der Rolle als Frau, die sich hübsch macht für ihren Mann. Wenn ich allerdings im Club, in der Rolle des weiblichen DJ nur deshalb so viele Komplimente von Männern bekomme, weil ich eine Frau bin, dann nervt mich das.»  

Céline: «Die Frage nach dem Sinn der Rollenbilder ist für mich schwer zu beantworten. Jedoch geniesse ich es, bei einem Abendessen ein schönes Kleid anzuziehen und mir aus dem Mantel helfen zu lassen. Dies empfinde ich aber mehr als Zelebrieren der klassischen Rollenbilder und es reicht mir auch wieder nach einem Abend.» 

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Lesen Sie mehr über Geschlechteridentität und Gleichberechtigung in unserem Dossier.

Wie sicher fühle ich mich in meiner Weiblichkeit heute?

Danielle: «Heute fühle ich mich in meiner Weiblichkeit wohl. Es ist für mich ein Geschenk, weiblich sein zu dürfen. Es fühlt sich gut an, feinfühlig, sensibel und dabei doch willensstark zu sein.» 

Samanta: «Ich stelle mir vielmehr die Frage: Was bedeutet Weiblichkeit? Ist es eine Eigenschaft? Vielleicht bin ich feinfühlig, ist das weiblich? Ich merke: Ich will meine Weiblichkeit leben, bin aber verunsichert, was das für mich bedeutet.» 

Céline: «Weiblichkeit ist ein schwer zu fassender Begriff und hängt stark von den geltenden Normen ab. Ich glaube, dass Weiblichkeit viele Facetten aufweist und sich je nach Situation anders anfühlen kann. Sicherheit gibt mir Weiblichkeit nicht, aber ich habe das Glück, dass sie mich auch nicht verunsichert.» 

Darf ein Mann für mich noch Gentleman sein?

Samanta: «Manchmal muss ich mich erst daran gewöhnen, mich ‹gentleman-like› behandeln zu lassen und das auch zu geniessen. Wenn mir ein Mann die Tür aufhält, heisst das nicht, dass er mich für zu schwach hält, die Tür selbst zu öffnen. Ich will solche Gesten geniessen, ohne das Gefühl zu haben, nicht als eigenständig wahrgenommen zu werden. Denn wenn sie aus einer Freiwilligkeit heraus geschehen, sind sie etwas Wunderbares.»

Danielle: «Ich bin ein Mensch, der sich gerne verwöhnen lässt – aber auch gerne verwöhnt. Das heisst, dass ich es sehr geniesse, wenn der Mann mir ein liebevoll hergerichtetes Essen serviert und mir dabei sogar den Stuhl vor dem Essen zurechtrückt. Andererseits ist es für mich völlig normal, dass der Mann beim ersten Date nicht alles bezahlt. Es sei denn, es ist klar, dass es ein zweites Date gibt. Dann bestehe ich darauf, beim zweiten Date bezahlen zu dürfen.»

Céline: «Grundsätzlich ist es schön, wenn man zuvorkommend behandelt wird – ob von einem Mann oder einer Frau, das spielt keine allzu grosse Rolle für mich. Wenn ich am Sonntag in einer Bar ein Fussballspiel anschaue und mir ein Mann beim Weggehen den Mantel hinhält, ist das sehr nett gemeint, aber ich bin gezwungen mit ihm zu interagieren und mich bei ihm zu bedanken. Nach einer langen Nacht ist mir das manchmal zu viel des Guten.» 

Darf ich als Frau einen Minirock tragen, ohne dass ich mich damit zum willigen Objekt der Begierde mache?

Céline: «Auf jeden Fall! Jede Frau sollte sich so anziehen können, wie sie es gerne mag. Ich finde es sehr schade, dass Kleidungsstücke je nach Ort und Zeitpunkt solch eine andere Bedeutung erhalten. Am Tag im Bikini am Rheinufer zu sitzen ist okay, sich am Abend in einem kurzen Kleid in eine Bar zu setzen wird dagegen als billig abgestempelt.»

Danielle: «Es gibt tatsächlich Situationen, wo ich abends vor dem Ausgehen überlege, ob mein Ausschnitt zu tief ist. Ob ich damit falsche Signale aussende. Ob ich damit ‹tussig› wirke. Eigentlich finde ich es schade, mir solche Fragen stellen zu müssen. Denn es geht ja um meine eigene Selbstsicherheit, ob ich zu meinem Auftritt und meiner Ausstrahlung stehen kann oder nicht. Solange ich Blicke und Komplimente als schmeichelnd empfinden kann, ist das doch etwas Schönes.»

Der Anlass zum Thema: Mittwoch, 11. Februar um 19 Uhr. Mehr Infos sind nur einen Klick aufs Bild entfernt.

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