Besinnlichkeit bringt Konfliktpotential mit sich. Mit diesen Tipps können Sie heikle Situationen souverän umschiffen und die Weihnachtsfeier hoch erhobenen Hauptes verlassen.
Ist es das Kerzenlicht, das viele Essen, das «World Christmas»-Gedudel oder der vom Kalender diktierte Harmoniezwang? Aus irgendeinem Grund zählen Weihnachtsfeste mit der Familie (der eigenen, aber auch der ausgesuchten) zu den eher unentspannteren Anlässen des Jahres. Wir zeigen, wie sich die Eskalation unter dem Christbaum vermeiden lässt. In der Nähe von offenem Feuer sollte man schliesslich Ruhe bewahren.
Die Begrüssung
Wie reagiere ich auf das neue Weihnachtsoutfit des Gastgebers?
(Bild: www.sunnyskyz.com)
Hier lohnt es sich zu lügen. So früh am Abend schon auf Konfrontation zu gehen, vergiftet die Stimmung. Wenn sich dem Strickpulli mit Weihnachtsmotiv gar nichts abgewinnen lässt, kann man immer noch sagen: «Der gibt bestimmt schön warm.»
Wie heisst noch mal die Tante dritten Grades, die gerade mit ausgebreiteten Armen auf mich zukommt?
«Hey Tschaaaauu. Wie gooohts? Scho lang nüm gseeeh.» Jetzt kommt die Schlüsselstelle, es gibt zwei Optionen:
- Für Schmuckträger: Sich mit den Ohrringen oder der Halskette im feinen Seidenhalstuch verheddern und das ganze durch ruckartige Bewegungen schlimmer machen. Verlegen rot anlaufen und versprechen, für den Schaden aufzukommen (riskant, aber es ist ja Weihnachten, die Zeit der Vergebung). Im Trubel werden Banalitäten wie Vornamen sekundär, nun zählt die gegenseitige Besänftigung und das schlechte Gewissen. Gerettet!
- Flecken statt Löcher: Bei der Umarmung mindestens das Getränk, idealerweise aber auch das Canapé, auf der Garderobe besagter Tante verteilen. Nichts hebt die Stimmung so zuverlässig wie Rotwein auf Seide.
(Bild: 9gag.com)
Das Essen
Es schmeckt nicht gut.
Macht nichts, Essen kann man sich schöntrinken. Statt des Bratens die Tischdekoration loben: «Wo hast Du denn diese lustigen kleinen Schneemänner her? Sind die feuerfest? Oh, offenbar nicht. Vielleicht sollten wir nächstes Jahr wieder auf elektrische Kerzen zurückgreifen. Gibts noch Rotwein?»
Es ist zuviel.
Das Zauberwort heisst Laktoseallergie. Die kann auch spontan entstehen und plötzlich den ganzen Tisch betreffen: «Wusstet ihr, dass Milchprodukte mit Antibiotika verseucht sind?» Alternativ können Sie auch spontan zum Veganer mutieren: «Entschuldigung, das ist mir jetzt wirklich nicht recht und ich meinte, ich hätte es gesagt, aber leider kann ich das nicht essen, wisst ihr, meine Überzeugung…». Dafür hat jeder Verständnis, wenn nicht sogar ein bisschen Betroffenheit übrig.
Die Getränke schmecken gut. Sehr gut.
Der leichteste Fall. Sie klopfen dem Gastgeber auf die Schulter und verlangen nach ausreichend Nachschub. Nichts macht Ihren Gastgeber stolzer als die schamlose Vernichtung seiner alkoholischen Preziosen, insbesondere des 40 Jahre alten Cognacs aus der Kristallkaraffe des unlängst verstorbenen Grossvaters. Loben Sie ausgiebig. Vergessen Sie aber nie: Nicht jeder teilt Ihren Humor. Also verzichten Sie bitte auf Trinkspiele.
Die Bescherung
Es ist… ein Dusch-Gel.
Es gibt keinen liebevolleren Weg, jemandem seine ungeteilte Zuneigung zu beweisen, als ihm einen Klassiker zu schenken. Bedenken Sie allein das Höchstmass an Liebe, das bei der Wahl des Duschgels, der Socken oder der Unterwäsche aufgewendet wurde. Bedenken Sie die Engelsgeduld, die der Bescherende beim Anstehen in der vorweihnächtlichen Kassenschlange aufbrachte. Und denken Sie daran, diese Liebe ungeteilt zu erwidern: Mit einem beherzten Druck auf die Duschgel-Tube, etwa. Oder zeigen Sie dem Haushund gleich mal die neuen Strümpfe – er wird sie lieben!
Es ist… nicht das, was Sie wollten.
(Bild: Screenshot Twitter)
Schön. Sie wollten ein neues Smartphone. Stattdessen steht ein neues Auto in der Garage. Bewahren Sie Ruhe! Atmen Sie durch. Denken Sie daran: Es ist nicht der Zeitpunkt, sich zu streiten. Laden Sie stattdessen eine Social-Media-App zur Frustbewältigung herunter. Da Sie und Ihre Liebsten wahrscheinlich schon lange auf Facebook befreundet sind, empfiehlt sich eine Sparten-Applikation. Wählen Sie Twitter, finden Sie Gleichgesinnte und werden Sie den geschenkten Schrott umgehend wieder los.
Es ist… äh ja, was ist das?
Die schönsten Überraschungen sind die, die man gar nicht als solche erkennt. Zum Beispiel die seltsame Schmuckkiste von Tante Hildy mit diesem seltsamen etwas drin, das eine Halskette sein könnte oder, nein, dafür ist es zu kurz, vielleicht ein Armband? Oder jener Dekorationsgegenstand, der aussieht wie ein… oder doch nicht? Ein Pilz, vielleicht? Nehmen Sie es entgegen, verleihen Sie Ihrem Erstaunen offen Ausdruck, vergessen Sie aber nie, das freudvolle Glänzen in Ihren Augen erscheinen zu lassen, das Tante Hildy zeigt, dass sie keine kaltherzige Angehörige ist, die lediglich an Weihnachten ihre alte Wohnungseinrichtung bei Ihnen entsorgt.
Der Abschied
(Bild: www.troll.me)
Das Essen ist bereits halb verdaut, an das Outftit das Gastgebers haben sich alle gewöhnt und Sie haben die Geschenke so verstaut, dass es gar nicht erst auffällt, wenn Sie sie nicht mitnehmen. So weit, so gut. Bewahren Sie nun die Eleganz und die Virtuosität, die Sie sich während des Abends durch ausreichend Alkoholkonsum angeeignet haben. Benutzen Sie den öffentlichen Verkehr; der strenge Taktfahrplan hilft Ihnen, einer weiteren halben Stunde lockerer Unterhaltung im Hausflur zu entgehen. Und denken Sie daran: Wenn Sie es bis hierher geschafft haben, steht einem gelungenen Abend nichts mehr im Weg.