Die Universität Basel schafft den Bereich Wissenschaftsforschung ab. Ein kurzsichtiger Entscheid.
Sie geht ohne Groll, Sabine Maasen, nur noch bis Ende Januar Professorin für Wissenschaftsforschung und -soziologie an der Uni Basel. Sie schaut nach vorne. Ihr «Programm für Wissenschaftsforschung», unterwegs seit Anfang der 2000er-Jahre, wird abgewickelt. Seine Projekte am Rheinknie laufen aus. Die Mitarbeitenden, die meisten mit befristeten Verträgen, müssen weiterziehen.
Die Wissenschaftsforschung in Basel analysierte in den letzten zehn Jahren unter anderem den Entstehungsprozesses des Gesetzes über die Forschung am Menschen, untersuchte das Wissenschaftsmanagement an Schweizer Unis und beobachtete die Risikodiskussion rund um die Nanotechnologie.
In München baut Maasen ab Frühling 2014 an der Technischen Universität ein mit mehreren Millionen Euro dotiertes Zentrum zur Erforschung der wechselseitigen Beeinflussung von Gesellschaft und Wissenschaft auf, das Munich Center for Technology in Society. Für Maasen ist es ein Karriereschritt, für Basel ein doppelter Verlust.
Ungewöhnliches Vorgehen
Nicht nur verliert die Uni eine profilierte Wissenschaftlerin. Auch ihr Lehrstuhl wird nicht wiederbesetzt, sondern «aus finanziellen Gründen neu ausgerichtet». So formuliert es Roberto Lazzari, Geschäftsführer der Philosophisch-Historischen Fakultät.
Die Mittel der Wissenschaftsforschung verschiebt die Uni in die Politologie, dort zugunsten einer zweiten Professur. Die zuständigen Gremien der Universität fassten den Beschluss im Frühling 2013, als intern bekannt wurde, dass Maasen nach München wechseln würde.
Dass ein Forschungsfeld bei der Gelegenheit aber gleich ganz gestrichen wird, ist eher ungewöhnlich.
Dass Hochschulen bei Abgängen die Budgetzuteilung unter die Lupe nehmen, ist courant normal. Dass ein Forschungsfeld bei der Gelegenheit aber gleich ganz gestrichen wird, ist eher ungewöhnlich. Im Fall der Wissenschaftsforschung in Basel war es eine Abschaffung mit Ansage.
Als der Universitätsrat im Herbst 2012 den Trägerkantonen Basel-Stadt und Baselland unterbreitete, was die Uni an Geldern brauche, um ihre auf sechs Schwerpunkten fussende, seit 2011 entwickelte «Strategie 2014» voll umzusetzen, kam er bis 2017 auf einen Mehrbedarf von 55 Millionen Franken pro Jahr. Das fand selbst er «nicht realistisch», wie es im Antrag heisst, und drückte den Betrag von sich aus auf 20 bis 30 Millionen. Als ein Mittel dazu stellte er in Aussicht, bis 2017 gut 15 Millionen Franken einzusparen «durch Verzichtsplanung bei vakant werdenden Professuren». Also mittels Stellenabbau und -umlagerung.
Feilschen ums Geld
Das reichte den Regierungen in Liestal und Basel aber nicht, und sie kürzten der Universität die beantragten Beitragserhöhungen «deutlich», wie sie in ihrem Beschluss vom 27. August 2013 schreiben. Die Uni wünschte, dass von 2014 bis 2017 die Kantonsbeiträge von 324 auf 356 Millionen Franken pro Jahr steigen sollen. Davon liessen die Regierungen ein Wachstum von 321 auf 329,5 Millionen übrig. Dieses reduzierte Wachstum der Uni bis 2017 segneten die Parlamente in Basel und Liestal Mitte Dezember ab.
In dieses Feilschen zwischen Universität und Regierungen um die Beitragserhöhungen hinein erhielt Sabine Maasen das Angebot aus München. Den uniinternen Entscheidern, wohl ahnend, dass ihre finanziellen Begehrlichkeiten nicht im gewünschten Masse befriedigt würden, kam dies offenbar gelegen. Sie exerzierten durch, was sie in ihrem Antrag mit «Verzichtsplanung bei vakant werdenden Professuren» gemeint hatten. Das bedeutete das Aus für die Selbstreflexion der Wissenschaft an der Universität Basel.
Der Entscheid fiel faktisch unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Zwar ist der Universitätsrat verpflichtet, das Organ der Oberaufsicht über den Universitätsvertrag zwischen Baselland und Basel-Stadt, die Interparlamentarische Geschäftsprüfungskommission (IGPK), «umfassend und rechtzeitig zu informieren im Rahmen ihrer Zuständigkeiten». Aber IGPK-Mitglied Urs Müller-Walz vom Grünen Bündnis hatte bis zur Anfrage der TagesWoche «keine Kenntnis davon, dass der Bereich Wissenschaftsforschung gestrichen werden soll». Er hält es für einen «Affront gegenüber den politischen Entscheidungsträgern im Landrat und im Grossen Rat, dass darüber nicht informiert wurde». Und er fordert, die kritische Auseinandersetzung mit der Forschung müsse für die Universität «zentral sein und auch in Zukunft bleiben», sonst sei «die Gefahr einer unkontrollierten Verselbstständigung der Forschung real».
Der «Fall Wissenschaftsforschung» ist der erste, der öffentlich wurde. Weitere «Umlagerungen» werden wohl folgen. Zwar wissen die Parlamente in Basel und Liestal, dass Professuren gestrichen würden, seit ihre Mitglieder den regierungsrätlichen Ratschlag zur Uni-Finanzierung Ende August 2013 auf den Tisch bekamen. Aber weder in Basel noch in Liestal erhob sich bisher eine parlamentarische Stimme und verlangte Auskunft über die konkreten Ab- und Umbaupläne an der Universität. Dass davon die Hätschelkinder des von Pharma- und Industrieinteressen dominierten Universitätsrats, die Life Sciences, ausgenommen sein werden, ist so sicher wie das Amen in der Kirche.
Dabei wären gerade vor diesem Hintergrund jene Fragen zu diskutieren, über die Ueli Mäder, Soziologieprofessor an der Uni Basel, sagt, sie würden nach der Streichung der Professur von Sabine Maasen hier weniger erforscht: «Wie kommen wir zu unseren Erkenntnissen? Wie hängen Erkenntnis und Interesse zusammen?»
Artikelgeschichte
Erschienen in der Wochenausgabe der TagesWoche vom 10.01.14