Für spektakuläre Schlagzeilen sorgte das Kernforschungsinstitut CERN 2008 mit dem Versuch, die unmittelbaren Folgen des Urknalls nachzuspielen. Viel weniger spektakulär, ja geradezu abgeklärt wirkt es, wenn Capri Connection dies 2012 in der Kaserne Basel auf die Bühne bringt. Aber lehrreich ist das Ganze schon noch ein bisschen.
Es gibt das Theater als moralische Anstalt, als Vehikel der Aufklärung. Es gibt erhabenes Bühnenspiel, tragisches und komisches Theater, Farce und Trash. Und es gibt Capri Connection mit der eigenwilligen und zugleich gefeierten Regisseurin Anna-Sophie Mahler. Das ist so etwas wie Dokumentartheater oder Schultheater (nicht Schülertheater!) für Erwachsene. Auch jetzt wieder in der aktuellen Produktion «Der Urknall oder die Suche nach dem Gottesteilchen», die in der Reithalle der Kaserne Basel zur Erstaufführung kam.
Was ist es, das Goethes «Faust» dazu bringt, mit dem Teufel selbst einen Pakt zu schliessen? Das Streben des Wissenschaftlers und Sinnsuchenden, nach der ultimativen Erkenntnis: «Dass ich erkenne, was die Welt im Innersten zusammenhält», sagt Faust. Auch Capri Connection, eine der interessantesten freien Schweizer Theatergruppen der Zeit, geht in ihrer jüngsten Produktion, die in der Reithalle der Kaserne Basel Premiere hatte, dieser Frage nach. Aber nicht mehr im Sinngeflecht der Aufklärung, sondern im zeitgemässen Universum der exakten Wissenschaften. Der Physik oder besser: Teilchenphysik. Da geht es nicht mehr um des Pudels Kern, sondern um Materie und Antimaterie, um Neuronen, Protonen und um das Urteilchen, das Higgs-Boson oder das Gottesteilchen, was viel eingängiger klingt.
Nun, um was handelt es sich wirklich? Auch wir haben mit Interesse gelesen, dass Forscher am Europäische Kernforschungsinstitut CERN bei Genf im grössten Teilchenbeschleuniger der Welt versuchten, eben Teilchen mit Lichtgeschwindigkeit aufeinanderprallen zu lassen, um so den Zustand unseres Universums unmittelbar nach dem Urknall zu simulieren. Und damit vielleicht das Teilchen zu finden, das eben die Welt im Innersten zusammenhält. Die Theaterleute von Capri Connection haben nun nach eigenen Angaben «mit führenden Wissenschaftlern» unter anderem aus dem CERN Interviews geführt, um diese Erkenntnisse auf die Bühne zu bringen.
Zweckmässiges Interieur
Das klingt trocken. Und sehr theorielastig. Irgendwie nicht so richtig theatral. Das Bühnenbild (Duri Bischof) bestätigt diesen ersten Eindruck. Zweckmässige Tische stehen rum, dahinter Stühle, wie man sie in gängigen Sitzungszimmern findet. Und als Rahmen drum herum die obligaten Flipcharts, Lein- und Stellwände, an denen sich Theoretisches anpappen, draufzeichnen oder hinprojizieren lässt. Ein Laptop, ein Beamer und ein Plastikbecher runden das Bild ab.
«Grau, teurer Freund, ist alle Theorie», möchte man mit Mephisto angesichts dieses Bildes aussprechen. Doch es kommt vorerst ganz anders. Eine Astronautin (Cathrin Störmer) betritt aus dem nebligen Äussern den Raum. Sie doziert über Raum und Zeit, schwarze Löcher, aus denen man nicht mehr rauskommt, es aber nicht merkt weil sich alles so sehr verlangsamt und so. Spannend klingt das, halbwegs einleuchtend, weil in schönen Bildern erzählt, wie grosse Wissenschafter dies halt so tun, wenn sie sich unbedarften Laien zu erklären versuchen.
Understatement der hohen Wissenschaft
Die ferne Welt, in die uns diese Astronautin einführt, entpuppt sich als die zwar entrückte, aber absolut hiesige Welt der Teilchenphysik der Gegenwart. Und man sieht sich drei dieser speziellen Spezies von Mensch gegenüber, die, Federball spielend und ganz und gar unterspannt, ihre abgehobenen Theorien von Materie und Antimaterie, leeren Räumen und so weiter an den uneingeweihten Mann und die unwissende Frau zu bringen versuchen. Nichts von Fanatismus ist da zu spüren, vielmehr scheint alles von sehr viel Understatement geprägt zu sein: «Das ist Wissenschaft. Man macht etwas, das ein wenig neu ist, und auch wieder nicht. Das bringt uns weiter.»
Ist das in Wirklichkeit so? Mag sein. Auf alle Fälle bringen Susanne Abelein, Thomas Douglas und Silvester von Hösslin diese abgeklärten Wissenschaftler und ihr Wissen so selbstverständlich und herrlich abgeklärt herüber, dass man ihnen gerne zuhört und sogar glaubt, etwas wirklich Wesentliches über eben das, was die Welt im Innersten zusammenhält (oder vielleicht auch nicht) zu lernen. «Man kann alles, was da ist auf einen Haufen werfen und sagen, das ist Gott.» Aber so sind wir – ganz Faust irgendwie – eben nicht.
Abruptes Ende
Das geht eine ganze Weile gut so. Ist zwar etwas seltsam, aber ganz amüsant und sogar etwas lehrreich. Aber eben: «Das Weltall kümmert sich nicht um das Überleben der Menschheit». Das unabdingbare Aufbrechen dieser abgehobenen Theoriewelt gelingt diesem Theaterabend nicht so stimmig. Zwar erscheint die Kritikerin der Wissenschaftsbesessenen – die Astronautin vom Beginn ist es. Sie entlarft die Wissenschaftler als Urheber von Experimenten, deren Hauptresultate gar nicht bemerkbar sind. Ausser, dass die so Kritisierten darauf in das eintönige Vor- und Zurückschwanken von Autisten fallen, passiert auf der Bühne aber nicht viel. Zu wenig. Von der angekündigten Klangmaschine von Gerrit K. Sharma ist kaum etwas zu spüren. Zum Schluss steigt die Astronautin wieder in ihren Raumanzug und geht etwas unvermittelt ab. Und auf der Zuschauertribüne dauert es eine ganze Weile, bis sich die Erkenntnis durchgesetzt hat, dass der Abend damit zu Ende gegangen ist.
CapriConnection:
Der Urknall oder die Suche nach dem Gottesteilchen
Von und mit: Susanne Abelein, Thomas Douglas, Cathrin Störmer, Silvester von Hösslin
Regie: Anna-Sophie Mahler, Dramaturgie/Produktion: Boris Brüderlin, Musik: Gerriet K. Sharma, Bühne: Duri Bischoff, Kostüme: Mirjam Egli
Weitere Vorstellungen: 11. – 14. Februar, 20 Uhr (Sonntag, 12. Februar: 19 Uhr),
in der Kaserne Basel